Mats Strandberg: Das Heim (Buch)

Mats Strandberg
Das Heim
(Hemmet, 2017)
Übersetzung: Nina Hoyer
Tor, 2018, Paperback, 424 Seiten, 14,99 EUR, ISBN 978-3-596-70367-8 (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Gunther Barnewald

Nach dem Bestseller „Die Überfahrt“ wagt sich der junge schwedische Grusel-Autor hier an ein ganz besonderes Thema, nämlich eines, welches den Horror schon in sich trägt: Ein Altenpflegeheim. Während heutzutage alle alt werden wollen, aber niemand alt sein möchte, ist dies wohl eines der schwierigsten Themen in unserer Gesellschaft.

Und schon in den ersten Kapiteln zeigt Strandberg, dass er bereit ist, dahin zu gehen, wo es wirklich weh tut und wo der wahre blanke Horror sitzt: Bei einer normalen Schicht der Pflegekräfte im hier lyrisch Nebelfenn genannten Altenheim mit all den dementen Insassen, die sich mit Fäkalien beschmieren, deren Körper wie der Geist kaum noch funktioniert oder deren Persönlichkeit dermaßen verändert ist, dass der Umgang mit ihnen für jeden zur Zumutung wird, vor allem für Frauen, die naturgemäß hier aber in der Mehrzahl sind.

Wer als Leser über die ersten erschreckenden Seiten hinweg kommt, der wird mit einer spannenden Geschichte belohnt, die durch ihre prägnante Atmosphäre und die wunderbar beschriebenen Charaktere besticht.


Zur Geschichte: Nach einem Schlaganfall und einer anschließenden Wiederbelebung ist die alte Monika Edlund nicht mehr dauerhafter Herrscher über sich selbst, wird immer dementer und baut immer mehr ab. Während sich ihr Sohn Björn hinter seiner Familie und seinen Pflichten versteckt, bleibt alle Verantwortung an ihrem anderen Sohn Joel hängen, der als Versager und Drogenwrack gilt und in dessen Leben wohl gar nicht so gelaufen ist, wie er und andere sich dies erhofft hatten.

Joel übernimmt die Betreuung seiner Mutter in deren Haus auf dem Land für kurze Zeit, bis Monika endlich ins Altenheim Nebelfenn ziehen kann. Was niemand wirklich ahnt: Etwas Dunkles und Bedrohliches hat sich an Monikas Fersen geheftet, ist aus dem Jenseits nach dem Schlaganfall mit ihr in unsere Welt gekommen.

Joel wundert sich zwar über große fettige Flecken im Haus seiner Mutter, schreibt dies jedoch ihrer Demenz zu. Im Altenheim tauchen diese Abdrücke dann jedoch auch auf und bald zeigt sich, dass Monika geheime Dinge über jeden Anwesenden dort zu wissen scheint, die sie eigentlich gar nicht wissen kann.

Eine der Pflegerinnen ist dermaßen entsetzt, dass sie aus ihrem Nachtdienst flieht und gleich darauf den Job kündigt.

Auch die anderen merken nach und nach, dass plötzlich unheimliche Dinge in der Einrichtung vor sich gehen, was die Arbeit noch viel schlimmer macht als ohnehin, hat man doch zum Beispiel einen alten Mann auf der Station, der, bedingt durch eine bestimmte Art von Demenz, alle Mitarbeiterinnen belästigt, beleidigt und begrapscht, sich an ihnen festklammert oder an deren Haaren zerrt. Und dieser ist wahrlich nicht die einzige Zumutung, welcher sich die unterbezahlten Pflegekräfte oft aussetzen müssen und mit der sie irgendwie gelernt haben zu leben.

Zum Glück findet Joel in der Pflegerin Nina, mit der er dereinst eine Band hatte und sogar einen Plattenvertrag, bis Nina schwanger wurde und so endlich ihrem drogenabhängigen Kollegen entfliehen konnte, eine Verbündete, die ihm glaubt, dass mit seiner Mutter etwas nicht stimmt. Auch wenn die zwei sich, nach dieser Vergangenheit, erst einmal zusammenraufen müssen.

Doch bald nehmen die unheimlichen Ereignisse im Nebelfenn überhand und die Todesrate im Heim steigt, was nur deshalb nicht auffällt, da Sterben hier zur Normalität gehört.

Doch was will das Fremde aus dem Jenseits von den Menschen? Welche Macht hat es und wie weit ist es bereit, zu gehen?


Dem Autor zugute halten muss man den dichten Spannungsbogen und den grimmigen Realitätsgehalt seiner Geschichte, die wunderbar recherchiert ist.

Ob Horror-Leser jedoch eine Geschichte lesen wollen, die so nahe an unser aller Realität ist? Zumal man manchmal das Gefühl hat, dass der Alltag im Nebelfenn viel schlimmer ist, als die Bedrohung durch das Jenseitige, dass alles, was der Autor sich hier ausdenkt, verblasst unter dem Alltag der hier beschäftigten unterbezahlten Pflegekräfte.

Denn eines zeigt das Buch doch recht deutlich: Wer hier arbeitet, braucht keinen Nervenkitzel in Form von Horror-Literatur mehr zu lesen, hat er doch täglich schreckliche Herausforderungen zu meistern, die genug „Horror“ in sich bergen. Und an genau dieser Stelle liegt der Schwachpunkt dieser Geschichte, ist doch die Bedrohung durch das seltsame dämonische Wesen nach den täglichen Eindrücken des Heims nur noch ein laues Kasperle-Theater, ein Mumpitz, der den Leser kaum noch schockt. Der wahre Horror ist hier die Realität. Und dies ist auf der anderen Seite der Verdienst dieses tollen Romans, mit aller Vehemenz darauf hin zu weisen!