Arkadi und Boris Strugatzki: Das Experiment (Buch)

Arkadi und Boris Strugatzki
Das Experiment
(Grad Obretschenny, 1988/1989)
Übersetzung: Reinhard Fischer, bearbeitet und ergänzt von Erik Simon
Heyne, 2018, Taschenbuch, 624 Seiten, 9,99 EUR, ISBN 978-3-453-31918-9 (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Gunther Barnewald

Das vorliegende Buch erschien 1992 erstmals im Ullstein Verlag in deutscher Sprache unter dem Titel „Die Stadt der Verdammten“. Das Werk wurde von den Gebrüdern Strugatzki zwischen 1967 und 1972 geschrieben und verschwand gleich in deren Schublade, da sich beide darüber bewusst waren, dass es niemals würde veröffentlicht werden können in der damaligen Sowjetunion. Ganz im Gegenteil hätte das Werk zur Verhaftung der beiden führen können, wenn man es entdeckt hätte. )

Deshalb fertigte Boris zwei Abschriften an und man übergab das Buch an zwei entfernte aber vertrauenswürdige Freunde, die seine Existenz ebenso geheim hielten, wie die Autoren und einige eingeweihte Freunde.

Erst im Zuge von Glasnost und Perestroika konnte diese Geschichte dann (in zwei Teilen 1988 und 1989) endlich veröffentlicht werden.

In seinem Nachwort macht Boris Strugatzki nochmals klar, wie sehr man sich damals als Schriftsteller in der UdSSR in Achtnehmen musste. Dmitry Glukhovsky macht in seinem Vorwort bereits deutlich, wie bedeutend die Gebrüder Strugatzki damals für die Leser in der Sowjetunion waren, vor allem da die Science Fiction zum Mainstream gehörte und nicht getrennt von anderer Literatur rezipiert wurde. Da der Staat seinen Bürgern ja zudem eine rosige Zukunft versprach und versprechen wollte, man Zukunftsgeschichten immer auch als machbare Utopien dargestellt sehen wollte, fristete die SF hier kein Nischendasein.
Für eine „strahlende Zukunft“ ist die vorliegende Erzählung aber eindeutig viel zu düster und dystopisch.


Geschildert wird in dem Buch die Geschichte des Russen Andrej Woronin, der im Jahr 1951 in eine merkwürdige Stadt kommt. Hier findet angeblich „Das Experiment“ statt. Viele Menschen weilen schon in der Stadt. Sie kommen aus aller Herren Länder, aber aus unterschiedlichen Zeiten, jedoch meistens aus der Zeit zwischen 1945 und 1967.

Andrej beginnt seine Karriere als Müllfahrer, wo er die Invasion einer Pavianherde miterlebt, die den Bewohnern schwer zu schaffen macht. Mit vereinten Kräften wird man der aufsässigen Tiere jedoch Herr.

Andrej freundet sich mit einem Juden namens Isja Katzmann an, aber auch mit einem SS-Offizier namens Fritz Geiger. Dies erweist sich bald als Glücksfall, denn Geiger gelingt es, sich ins Bürgermeisteramt zu putschen und die Macht zu übernehmen.

Schließlich rüstet Geiger eine Expedition ins Unbekannte aus, um erforschen zu lassen, was jenseits der Stadt existiert. Woronin erhält das Kommando, ist er inzwischen doch Ratsmitglied der Stadt. Doch die Expedition droht zu einem furchtbaren Desaster zu werden. Durst, Durchfall und Krankheiten plagen die Männer, die Soldaten beginnen zu meutern. Und immer wieder trifft man auf alte Gebäude aus der Vergangenheit, deren Bewohner auf mysteriöse Weise verschwunden sind...


Was im Klappentext als Meisterwerk der Gebrüder Strugatzki angekündigt wird, erweist sich bei näherer Betrachtung zwar als intellektuell ansprechendes aber nichtsdestotrotz phasenweise langweiliges Buch.

Das Geheimnis der Stadt droht schon im zweiten Kapitel enthüllt zu werden und wird es doch nie so richtig (was aber wieder unglaublich viele Deutungsmöglichkeiten zulässt). Viele Anspielungen aus der Zeit des totalitären Sowjetstaats sind heute kaum noch verständlich oder nachvollziehbar, obwohl man mit einigen Anmerkungen zu einzelnen Anspielungen im Text am Ende des Buchs von Verlagsseite aus versucht, Licht ins Dunkel zu bringen. Aber wer die Zeiten nicht bewusst erlebt hat, dem wird Vieles fremd bleiben!

Vor allem leidet „Das Experiment“ aber am mangelhaften Spannungsbogen, denn nach der Entdeckung des schauerlichen „Roten Gebäudes“ durch Woronin passiert erst einmal lange nicht viel.
 
Obwohl der Roman ähnlich angelegt ist wie der Klassiker „Picknick am Wegesrand“ des Brüderpaares, so fehlen dem vorliegenden Buch doch die frappierenden und den Leser in Bann schlagenden Ideen, welche einen immer wieder aufs Neue gefangen nehmen.

Generell krankt „Das Experiment“ wohl am Versuch der Autoren, zu viel Authentisches und Autobiographisches in der Geschichte unterzubringen. Darüber haben die beiden wohl etwas die Leser aus den Augen verloren, zeichneten sich die anderen Werke der Brüder doch meist dadurch aus, dass die Autoren meisterhaft die Waage zwischen Unterhaltung und hohem Niveau halten konnten, ohne eine Seite zugunsten der anderen zu vernachlässigen. In der vorliegenden Geschichte ist dies leider geschehen, was dazu führt, dass der Lesegenuss erheblich leidet, zwischenzeitlich bei vielen Lesern das Gefühl der Langeweile aufkommen dürfte.

Aus diesem Grund ist, trotz des anspruchsvollen Inhalts, der vorliegende Roman wahrlich nicht das „beste“ Buch der Strugatzkis, auch wenn es summa summarum noch immer empfehlenswert ist und sicherlich zu recht aktuell bei Heyne auch 2018 wieder aufgelegt wird.