The Wake (Comic)

Scott Snyder
The Wake
(The Wake 1-10, 2013/2014)
Übersetzung: Bernd Kronsbein
Titelbild und Zeichnungen: Sean Murphy
Panini, 2015, Hardcover, 228 Seiten, 24,99 EUR, ISBN 978-3-95798-111-0

Rezension von Elmar Huber

Das Heimatschutzministerium der Vereinigten Staaten tritt mit einer außergewöhnlichen Entdeckung an die renommierte Meeresbiologin Lee Archer heran. Eine Entdeckung, die es ihrem beruflichen Ehrgeiz unmöglich macht, das ‚Angebot‘ zur Mitarbeit abzulehnen. Bereits die Zusammenstellung des wissenschaftlichen Projektteams - ein Professor für Volkskunde und Mythologie, ein hochintelligenter und skrupelloser Jäger seltener Meerestiere sowie ihr früherer Vorgesetzter von der National Oceanic and Atmospheric Administration - lässt Archer ahnen, dass etwas weit Größeres im Gange ist, als sie es sich vorzustellen vermag.

Auf einer geheimen und illegalen Ölbohrplattform auf dem Meeresgrund wird ein Wesen gefangengehalten, das den Theorien einiger Evolutionswissenschaftler neue Nahrung gibt. Ausgehend von einigen körperlichen Eigenheiten des Menschen gegenüber anderen Säugetieren soll der moderne Mensch sich zu einem weit größeren Teil im Wasser entwickelt haben, als bisher angenommen. Und nur ein Teil dieser ‚Wassermenschen‘ kam an Land, um sich dort zu Festlandbewohnern weiterzuentwickeln. Der im Wasser verbliebene Teil hat sich dort vermehrt und wurde zu erbarmungslosen und effizienten Jägern, den Mers. Die Situation eskaliert und innerhalb einer Woche haben unzählige der Mers die Küstengebiete des Festlands bis zu 100 Meilen ins Landesinnere überschwemmt.

200 Jahre später herrscht eine neue Weltordnung. Die Menschheit hat sich notgedrungen auf das Leben mit dem Wasser eingestellt und befindet sich im ständigen Krieg mit den Mers. Die Jägerin Leeward verkauft Mer-Köpfe, aus denen sich eine Droge extrahieren lässt, auf dem Schwarzmarkt, um damit ihre technische Ausrüstung aufzurüsten. Sie glaubt an die Geschichten, die ihr ihr Vater erzählt hat, von einem riesigen goldenen Netz, mit dem man alle Mers fangen kann. Mit einem illegalen Funkgerät hört sie die Frequenzen ab und stößt dabei auf einen Funkspruch von Lee Archer, die behauptet zu wissen, wie man die Welt retten kann. Gemeinsam mit einer Bande Piraten macht sich Leeward auf die Suche nach der Quelle der Übertragung, die sie, gleichzeitig auf der Flucht vor der Governess und ihren Soldaten, um die halbe Welt führt


Was für ein Brett! Nicht umsonst gilt Scott Snyder („American Vampire“, „Swamp Thing“, „Wytches“) als einer der derzeit besten Autoren der Comic-Branche - alleine sein „Batman“-Run spricht für sich. Mit „The Wake“ legt er eine abgeschlossene SF-Action-Horror-Achterbahnfahrt vor, die förmlich nach einem Effektspektakel auf der großen Leinwand schreit.

Dabei wird nicht nur die gut durchdachte Story erbarmungslos nach vorne getrieben, auch die Charakter-Entwicklungen nehmen einen gebührenden Platz ein. Snyders große Kunst ist es, beides Hand in Hand gehen zu lassen und das Tempo trotzdem hoch zu halten. Er zieht die optisch beeindruckende, doch zunächst dramaturgisch eher simpel anmutende Monster-Geschichte immer weiter auf. Während die Menschen in der unterirdischen Ölbohrinsel gegen einen übermächtigen Feind um ihr Leben kämpfen, taucht er ab in die Historie der menschlichen Entwicklung und schiebt bildgewaltige Anekdoten über Meerjungfrauen und geschichtliche Flutkatastrophen ein, die alle auf die Mers als gemeinsamen Nenner deuten. Und doch fühlt sich die Geschichte schlank an, ohne ein Gramm überschüssiges Fett auf den Rippen.

Im zweiten Teil der Story, die 200 Jahre in der Zukunft angesiedelt ist, wird das klaustrophobische „Alien“/„Abyss“/„Deep Blue Sea“-Szenario der US-Ausgaben 1 bis 5 von einem „Waterworld“-Endzeit-Abenteuer-Setting mit deutlicher Piraten-Attitüde abgelöst. Eine neue Heldin übernimmt das Ruder, findet Verbündete und setzt alles daran, die Quelle einer ominösen Funkbotschaft zu finden, die die Rettung der Welt bedeuten könnte. Und weder Autor noch Zeichner müssen hier weiterhin die festgesteckten Regeln beachten, die noch in der Unterwasserstation galten.

Hat man die letzte Seite dieses Bandes umgeblättert, muss man erst einmal wieder zurück in die Wirklichkeit finden. Ein größeres Kompliment kann man einem Autor wohl nicht machen. Auch wenn die Story immer wieder eigenwillig ausbrechen will, hält Snyder sie doch gekonnt im Zaum.

Bei den Bildern von Sean Murphy („Punk Rock Jesus“, „Chrononauts“) wünscht man sich dagegen auf jeder Seite mindestens Albenformat. Die Zeichnungen sind einerseits skizzenhaft, andererseits detailreich, doch immer derart kraftvoll und dynamisch, dass einem beim Lesen schier die Luft weg bleibt. Noch dazu strotzt die Story inhaltlich wie grafisch vor Ideen, die ein wahres Feuerwerk in den Hirnsynapsen abfackeln.

Panini Comics den kompletten Band mit allen zehn Einzelausgaben als stabiles Hardcover im normalen Comicformat.

Originell, dicht und inhaltlich wie grafisch eine Wucht. Vollkommen zu Recht Gewinner des Eisner Awards als Beste abgeschlossene Serie 2014.