Paul Tremblay: A Hand Full of Ghosts – Ein Exorzismus (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Mittwoch, 18. Juli 2018 08:05
Paul Tremblay
A Hand Full of Ghosts – Ein Exorzismus
(A Hand Full of Ghosts, 2016)
Übersetzung: Manfred Sanders
Titelbild: Arndt Drechsler
Festa, 2018, Hardcover, 400 Seiten, 19,99 EUR, ISBN 978-3-86552-659-5 (auch als eBook erhältlich)
Rezension von Carsten Kuhr
Willkommen im Heim einer typischen US-Familie aus dem Osten der USA. Mutter, Vater zwei Kinder, der American Way of life. Das Idyll wird das ersten Mal massiv gestört, als der Vater, hauptsächlicher Ernährer der Familie, seinen Job in einer örtlichen Fabrik verliert. Die Mutter, eine Bankkassiererin, wächst in die Rolle des Familievorstands hinein, der Vater sucht vergebens nach einem Job. Die beiden Mädchen, Marjorie, 14 Jahre alt, und Merry, damals 8, beschäftigen sich mit sich selbst.
All dies ändert sich, als Marjorie krank wird. Das pubertierende Mädchen zeigt psychische Auffälligkeiten, der Psychiater und die Medikamente bringen die Familie an den finanziellen Ruin. Wie die Hypothek für das Haus weiter abbezahlt werden kann, ja wie man ein Essen auf den Tisch bringen kann, steht in den Sternen. Als Marjorie schizophrene Bewusstseinsstörungen und Anzeichen von Besessenheit entwickelt, wird es Merry angst und bang. Während die Eltern streiten, sich der Vater der Religion zuwendet und sich einem Priester anvertraut, der einen Exorzismus durchführen möchte, kommt ein unwiderstehliches Angebot: Eine TV-Produktionsfirma bietet eine große Summe an, wenn sie eine Reality-Soap mit der Familie im Haus drehen darf.
Jahre später erinnert sich die zwischenzeitlich 23jährige Merry anlässlich eines Interviews mit einer Journalistin an die Vorkommnisse, die Heimsuchungen, Ausbrüche und die Verzweiflung…
„A Head Full of Ghosts“ ist eine etwas andere Exorzismus-Geschichte. Wer sich an die Filmvorlagen aus den 80er Jahren erinnert, der wird viele bekannte Szenen wiederentdecken, doch irgendwie ist alles doch ein wenig anders.
Das hängt zum einen damit zusammen, dass sich eine junge Frau an ihre traumatisierte Kindheit erinnert. Zum Selbstschutz hat sie sich innerlich distanziert, wahrt sie diese Distanz, während sie der Interviewerin Rede und Antwort steht.
Im Gegensatz zu diesen fast klinisch unterkühlt wirkenden Kapiteln, begegnet uns in den in der Vergangenheit spielenden Szenen die junge, achtjährige Merry.
Diese erweist sich als kindlich-naiv, liebevoll und fröhlich, so dass wir mit ihr als Erzählerin schnell warm werden. Durch ihre Augen erleben wir die Erkrankung oder Heimsuchung ihrer Schwester ebenso emotional mit, wie den Zerfall der Familie, das Zerwürfnis der Eltern und die Furcht vor den Grausamkeiten der Schwester, die sie eigentlich verehrt und liebt. Das ist von der Darstellung, aber auch der eingesetzten sprachlichen Mittel her kindgerecht und somit überzeugend umgesetzt.
Interessant zu beobachten sind dann die Ähnlichkeiten aber auch Unterschiede der erwachsenen Merry im Vergleich zu dem Kind. Hier wird dann auch deutlich, dass die Erlebnisse ihre Spuren hinterlassen haben. Dagegen bleibt die eigentliche Hauptfigur - wenn sie es denn überhaupt ist -, nämliche Marjorie, blass. Ihre Heimsuchungen - gleich ob man sie dämonisch, schizophren oder als raffinierte Inszenierung zur Aufmerksamkeitserregung ansieht - wirken kaum beängstigend auf den Leser, echtes Grusel-Feeling kommt hier keines auf. Was uns wieder auf den eigentlichen Kulminationspunkt Merry zurückbringt.
Eingestreut werden dann in den Text noch Blog-Einträge, die Merry unter Pseudonym über die mit ihrer Familie damals gedrehte Kultserie veröffentlicht. Diese wirken, gerade weil sich die Verfasserin hier ganz anders, hochgestochen und mit ihrem Fachwissen protzend ausdrückt, fast wie ein Fremdkörper im Text.
Alles in allem also weniger ein Thriller, schon gar nicht ein Horror-Roman,; irgendwie wirkt der Text eher wie eine faszinierende Biographie. Hier zeigt der Text viele interessante, fesselnde Stellen, besticht mit der glaubwürdigen Zeichnung eines Kindes in einer absolut traumatischen Situation.