Cixin Liu: Der dunkle Wald (Buch)

Cixin Liu
Der dunkle Wald
(Heian Senlin, 2008)
Übersetzung: Karin Betz
Titelbild: Stephan Martinière
Heyne, 2018, Paperback, 818 Seiten 16,99 EUR, ISBN 978-3-453-31765-9 (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Gunther Barnewald

Die Fortsetzung zu dem sensationellen Roman „Die drei Sonnen“ des chinesischen Autors Cixin Liu ist der Mittelteil einer Trilogie und kommt mit 800 Seiten recht voluminös daher (wer übrigens Band 1 noch nicht kennt, sollte diese Rezension nicht lesen, denn natürlich wird hier viel vom Inhalt von „Die drei Sonnen“ verraten).

Leider gilt für dieses Werk die gleiche Einschränkung wie für Dmitry Glukhovskys dritten „Metro“-Roman („Metro 2035“): Der dröge Auftakt und die eher bräsige erste Hälfte machen die Geschichte eher zu einem Lesehemmer als zu einem Lesebeschleuniger. Hier hätten weniger Seiten sicherlich weniger Langeweile erzeugt.

 

Zur Geschichte: Nachdem die chinesische Wissenschaftlerin Ye Wenjie den Bewohnern eines Nachbarsonnensystems verraten hat, dass die Menschen einen wunderbaren, idyllischen Planeten bewohnen, beschließen diese Aliens, ihre wegen der drei Sonnen von vielen Unwägbarkeiten immer wieder erschütterte Welt zu verlassen, zur Erde zu reisen und diesen Planeten zu übernehmen, nachdem sie die Ureinwohner (also uns) komplett ausradiert haben.

Da sie uns technisch vollständig überlegen sind, hat die Menschheit auch in 400 Jahren, wenn die Invasoren wohl eintreffen werden, keine Chance. Zumal die Bewohner von Trisolaris dank einer fortschrittlichen physikalischen Technik (den sogenannten Sophonen) auf der Erde alle Gespräche und Handlungen aller Menschen in Echtzeit überwachen können und zudem alle neueren Forschungen durch Manipulation der Ergebnisse beeinflussen können. Einziger Schwachpunkt der Aliens: Da sie Gedankenleser (Telepathen) sind, kennen sie die Konzepte des Lügens und Betrügens nicht, verraten so den Menschen auch frank und frei ihre Absichten.

400 Jahre bleibt der Menschheit nun, um einen veritablen Plan gegen ihre eigene Vernichtung zu ersinnen. Dazu werden vier weise Menschen weltweit heraus gedeutet, die, jeder für sich, einen Plan gegen die Invasion ersinnen sollen, wobei ihnen alle Ressourcen der Menschheit zur Verfügung gestellt werden. In Anlehnung an die östlichen Techniken der Meditation werden diese vier als „Wandschauer“ bezeichnet.

Der scheinbar unbedarfteste von ihnen ist der chinesische Astronom und Soziologe Luo Ji, den die Invasoren aber als Einzigen wirklich zu fürchten scheinen. Doch welche Ideen hat der Mann wirklich? Und ist er auch bereit an sich selbst zu glauben? Wird er wirklich für die Menschheit einstehen oder es sich nur gutgehen lassen mit all den Ressourcen?


Wenn schon im ersten Teil eine Chinesin die Welt erschüttert, ist es klar, dass auch in der Fortsetzung allein ein Chinese das Heil über die Welt zurückbringen kann! So wird bald klar, dass alle anderen Luschen sind, deren Pläne verheerende Nebenwirkungen entwickeln (frei nach dem Motto: Gemeinsam in den Abgrund). Abgesehen von diesem peinlichen „Chinazentrismus“ leiden die ersten 475 Seiten daran, dass viel zu wenig passiert, es kaum voran geht mit der Handlung. Erst als der Autor die funktionierende Kryogenik (also das Einfrieren lebendiger Menschen mit erfolgreichem Wiederauftauen nach Jahrhunderten) aus dem literarischen Ärmel schüttelt und so Luo Ji 200 Jahre in die Zukunft versetzt, nimmt die Geschichte wieder vehement Fahrt auf.

Auch wenn der weitere Plot (hier das Motto: Hochmut kommt vor dem Fall) dann wahrlich lichtjahreweit zu sehen ist, so kann man den Autor trotzdem nur loben für die Vehemenz, mit der er den menschlichen Hochmut in Schutt und Asche legt. Alle Achtung!

Der abschließende Plot, der auf einem Experiment Luo Jis aus der ersten Hälfte beruht (und einen Deus ex Machina beschwört), ist dann allerdings so schräg, dass man als Leser nicht weiß, ob man laut applaudieren oder lang anhaltend buhen soll, denn einerseits ist er originell, andererseits aber auch an den Haaren herbei gezogen.

Besonders beeindruckend ist dagegen des Autors Schilderung der Welt in 200 Jahren. Hier kann Cixin Liu wieder eindeutige Glanzpunkte setzen, auch in seinen wunderbaren Beschreibungen.

Wer sich durch die 800 Seiten durchkämpft, wird sicherlich reich belohnt, denn vor allem die zweite Hälfte ist aller Ehren wert und eine würdige Fortsetzung des Sensationsromans „Die drei Sonnen“. Die ersten 475 Seiten sind jedoch eindeutig zu langatmig, blass, unoriginell, einschläfernd, einfallslos und ausufernd geraten und schmälern den Gesamteindruck erheblich.

Ein besonderes Lob für die gute Übersetzung und die vielen erklärenden Anmerkungen am Ende des Buchs!