Charlaine Harris: Vampirgeflüster (Buch)

Charlaine Harris
Vampirgeflüster
(Dead and Gone)
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Britta Mümmler
dtv, 2010, Taschenbuch, 348 Seiten, 8,95 EUR, ISBN 978-3-423-21222-9

Carsten Kuhr

Ruhe scheint eingekehrt zu sein in das Leben unserer gedankenlesenden Kellnerin aus Bontemps, Louisiana. Nachdem der Vampirkrieg beigelegt ist, sich die Staubwolken nach der Explosion des Hotels verzogen haben und die Karten neu gemischt sind, kann sie endlich aufatmen. Kellnern ist angesagt, dazu müsste sie dringend einmal alte Schulden der monetären Art eintreiben, und sich um ihr chaotisches Liebesleben beziehungsweise dessen Nichtvorhandensein kümmern. Doch, wie heißt es so schön: erstens kommt es anders als ...

Eines Morgens findet sie vor der Wirtschaft, in der sie arbeitet, an einem Holzkreuz den gefolterten Leichnam ihrer Schwägerin, der noch halb in der Metamorphose zwischen Mensch und Tier verfangen ist. Kurz zuvor haben sich nach den Vampiren auch die Gestaltwandler den Menschen offenbart, doch das Coming Out hat neben Akzeptanz auch neue Ressentiments geschürt.

Dass aber ausgerechnet ihre alte Freundin Arlene sie verrät, und beim Plan Sookie ans Kreuz zu nageln aktiv mithilft, hätte sie nie vermutet. Damit nicht genug wird sie auch noch in den Krieg der Elfen hineingezogen, und ihr elfischer Urgroßonkel hat nur einen Wunsch – Sookie muss sterben ...

Nachdem zwischenzeitlich die TV-Verfilmung der ersten Teile der Sookie-Stackhouse-Saga auch über unsere heimischen Bildschirme flimmerte, hat bei dtv ein Umdenken angesetzt. Hatte man nach dem Ankauf der Rechte die ersten drei Bände noch zum Kleinverlag Feder & Schwert ausgelagert, erschien in den letzten Monaten eine äußerlich an den Auftritt der Fernsehserie angepasste Neuauflage der gesamten Bände im Rahmen der dtv-Taschenbücher. Daneben setzt der Verlag die Edition mit den weiteren Romanen fort.

Vorliegendes Werk aber tut sich zu Beginn schwer. Nach den mitreißenden Abenteuern rund um die Königin der Vampire und dem Putsch ist Sookie in ihre beschauliche Heimat zurückgekehrt. Leser, die die Reihe bislang nicht goutiert haben, werden es allerdings schwer haben, dem Geschehen zu folgen. Immer wieder wird auf Ereignisse aus den vorhergehenden Teilen Bezug genommen, gibt es Anspielungen, ja, wird schlicht Wissen aus den beiden letzten Jahre im Leben unserer Ich-Erzählerin vorausgesetzt. Dabei geht es im ersten Drittel des Romans recht chaotisch zu. Das, was die Serie insbesondere in ihren ersten Teilen auszeichnete, das überzeugende Bild des Lebens in einem kleinen Kaff im amerikanischen Süden mit einer sympathischen, oft naiv agierenden und doch herzensguten Protagonistin, das habe ich vermisst. Stattdessen denkt Sookie viel über ihr Leben und ihre Situation nach, verfällt (eigentlich ihrem Charakter gar nicht entsprechend) in Selbstmitleid und agiert, na, nennen wir es einmal sprunghaft. Das hat, und ich beziehe mich hier ausdrücklich nur auf das erste Drittel des Buchs, Soap-Charakter, das gleitet ab in die Niederungen der amourösen Verwicklungen gängiger Romance-Titel. Dann aber besinnt sich die Autorin doch noch auf alte Stärken. Plötzlich und unerwartet – aber höchst willkommen – nimmt der Plot Fahrt auf, steigert sich das Tempo und die Dramatik. Dabei wirkt unsere Hauptperson dieses Mal seltsam gehemmt, reagiert mehr, als dass sie das Heft des Handelns in die Hand nimmt.Letzteres ist zwar angesichts der dramatischen Geschehnisse, die auf sie einstürzen, verständlich, ist man aber von der mit beiden Beinen in der Realität verankerten Sookie so nicht gewohnt.

Schon immer war die Frage, an wen sie sich letztlich binden würde, ein Thema, nie aber sah der Leser Sookie so hin- und hergerissen, wie im Finale dieses Bandes.

Es bleibt abzuwarten, ob und wie die Autorin ihre Serie fortentwickeln wird. Die Versuchung, sich dem gegenwärtig angesagten Trend hin zur Romance Fantasy anzuschließen, ist groß. Dies würde aber gleichzeitig bedeuten, dass die dezidiert ausgearbeitete Vampir- und Gestaltwandlergesellschaften mehr in den Hintergrund rücken würden, und dass der Spannungs- und Actionfaktor sich deutlich vermindern würde.

Vorliegendes Buch beweist, dass die Serie trotz der anfänglichen Schwächen das Potential hat, verlorengegangenes Terrain wieder gutzumachen und den Leser mit ihrer ganz eigenen Mischung aus einer überzeugend gestalteten Umgebung, faszinierenden Figuren und einer actionreichen Handlung zu fesseln.