Anja Bagus (Hrsg.): Ætherseelen (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Montag, 19. Dezember 2016 19:23
Anja Bagus (Hrsg.)
Ætherseelen
Edition Roter Drache, 2016, Paperback, 122 Seiten, 10,95 EUR, ISBN 978-3-946425-26-7
Rezension von Carsten Kuhr
Seit einigen Jahren gibt es sie auch in deutschsprachigen Buchhandlungen. Die Rede ist von Büchern, die man unter dem Siegel Steampunk vertreibt. Steampunk, das sind phantastische Werke, die zumeist in einer früheren Zeit angesiedelt sind, in der dampf- oder aetherbetriebene Erfindungen ihre Spuren in der Gesellschaft hinterlassen haben.
Leider war dieser Subgattung bei uns nie der große Erfolg beschieden wie in den angloamerikanischen Ländern. Das mag auch daran liegen, dass sich die Werke recht uniform vorstellen. Angesiedelt sind sie in aller Regel im London zur Zeit Königin Victorias, über den Himmel fahren Luftschiffe (Zeppeline) - ansonsten erwartet den Leser wenig sensationell Neues.
Anders, ganz anders macht es Anja Bagus in ihrer Ætherwelt. Kein simpler Dampf sondern eine merkwürdig grüne Substanz ist für die beschriebenen Besonderheiten verantwortlich. Diese verändert Flora wie Fauna, macht ganze Gebiete unbewohnbar und weckt bislang als Märchen verschriene Wesen aus ihrem Jahrhunderte andauernden Schlummer. Menschen werden umgeformt, entwickeln phantastische Kräfte und werden nur zu oft ausgegrenzt und gejagt. Desweiteren dient der Æther Erfindern als Energiequelle und formt die Umwelt immer mehr um.
Nun hat Bagus mit der Anthologie „Ætherseelen“ ihre Schöpfung auch anderen Autoren geöffnet und eine Sammlung von entsprechenden Geschichten veröffentlicht. Als Vorgabe diente, dass sich die Beiträge neben dem Æther mit der Nacht von Allerheiligen beschäftigen sollte; sonst wurden den Verfassern keine Zügel angelegt.
Zwölf Autoren legen insgesamt vierzehn zumeist recht kurze Geschichten vor.
„Das Scharren an der Hintertür“ von Olaf Stieglitz berichtet uns von einem Mann, dem geweissagt wurde, dass er erst sterben wird, wenn er vorher seinen Tod geträumt hat. Mit diesem Wissen stellt er sich den gefährlichsten Aufgaben - doch dann beginnt er zu träumen.
In dem sehr kurzen „Das mechanische Herz‘ von Ingo Muhs ist der Titel verräterisch.
Ingo Muhs „Brausefrosch“ stellt uns ein paar Kinder vor, die es eigentlich nur gut mit dem blauen Giftfrosch ihres Vaters meinen. Brausepulver ist ja so gut, doch dann stirbt der Frosch - bis der grüne Æther eingreift.
„Johann Gotthold Memminger und die verschwundenen Kinder von Wien“ von Anna Hild schildert uns ergreifend intensiv von Kindern, deren Leichen in einem Wiener Krankenhaus verloren gehen. Sei es, dass es sich um totgeborene Föten handelt, um abgetriebene Kinder oder gar um ermordete Babies; sie alle verschwinden scheinbar unauffindbar - bis sich ein badensischer Ermittler mit besonderen Gaben der Sache annimmt… Die wohl atmosphärisch dichteste und inhaltlich wie stilistisch überzeugendste Arbeit des Bandes.
„Grün ist die Hoffnung“ von Pascal Krämer stellt uns eine junge Frau vor, die im Wald von einem Wesen eingesponnen wird - mit zeitlich doch recht weitreichenden Folgen.
Ein Katzenwesen steht in „Marie“ von Katherina Ushachov im Zentrum der Geschehnisse. Eigentlich soll Marie nur einen Schatz suchen, doch dann erweist sich der Wächter desselben als…
Jens Gehres zeigt uns in „Neues Leben“ einen Mann, der seine Ehefrau aus dem Wochenbett eigentlich in den Sarg legen müsste. Das Kind ist schwach aber gesund, allein die Mutter hat die Strapazen der Geburt nicht überlebt. Doch der Mann ist nicht bereit, seine Frau loszulassen und sucht Hilfe im Æther.
Eine Arbeiterin in einer ostdeutschen Porzellanfabrik steht in „Augen im Dunkeln“ von Billie Przgendza im Zentrum der Aufmerksamkeit. Als sie ein junger, charismatischer Mann anspricht, schlägt sie alle Warnungen in den Wind.
Eine auf den ersten Blick klassische Gruselgeschichte mit Æther wartet in „Vom Johan mit der Laterne“ von Bernar LeSton auf uns. Ein Mann wird in die Irre geführt, rächt sich dann als Geist aber an der Täterin.
„In den Wäldern der Sierra Nevada“ von K. R. Sanders entführt uns in die Wildnis der Westküste der USA. Hier soll ein Ranger nach dem Rechten sehen - bis er von seltsamen Lauten an den Ort seiner Nemesis gelockt wird.
Ein Mann braucht sein Hobby. Und wenn er dann seine Æther betriebenen Spielsachen vorführt, wie in „Nebulös“ von Margarethe Alb, dann…
Gleich zwei Beiträge steuert Dorothe Reimann bei. „Afrika“ wie auch „Die Jungfernfahrt der Goetzen“ entführen uns in die afrikanische Kolonie des Kaiserreichs. Auch hier wallt der grüne Nebel und bringt Kinder wie Erwachsene in Gefahr. Eine Gefahr, gegen die einheimische Medizinmänner vorgehen.
Anja Bagus schließt mit „Die Pforten des Jenseits“ den Band dann ab. Vor Jahren hat die ungebildete Magd ihr ungetauftes Kind verloren. Sie weiß aus der Bibel und den Predigten, dass das Kind somit niemals in den Himmel kommen kann. Als sie den Kampf gegen den Krebs zu verlieren droht, will sie nichts lieber, als mit ihrem Kind vereint zu werden - dafür aber muss sie in die Hölle kommen.
Die gebotene Qualität der Beiträge ist recht unterschiedlich. Neben tollen Geschichten, die inhaltlich wie stilistisch zu überzeugen wissen, gibt es auch Erzählungen, die einfach zu kurz ausfallen, um dem Autor und dem Rezipienten die Möglichkeit zu geben, wirklich in den Plot einzutauchen. Insgesamt gesehen aber wird das Bild der Welt der Anja Bagus ausgeweitet, um faszinierende Facetten bereichert und noch interessanter.