Matthias Falke: Der Terraformer (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Montag, 03. Oktober 2016 17:01
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Matthias Falke
Der Terraformer
Titelbild: Timo Kümmel
Atlantis, 2014, 300 Seiten, 13,90 EUR, ISBN 978-3-86402-189-3 (auch als Hardcover und eBook erhältlich)
Rezension von Irene Salzmann
Der Terraforming-Ingenieur Anders McCoy arbeitet für die ‚Astrografische Gesellschaft des Clusters für Zivilisierte Welten‘ auf einem namenlosen Planeten. Sein Ziel und persönlicher Ehrgeiz ist es, die leblose Welt in einen bewohnbaren Planeten zu verwandeln, dabei aber die Schöpfung nicht irgendwelchen Programmen zu überlassen, sondern eine Flora und Fauna anzulegen, die auf die Begebenheiten abgestimmt ist und sich selber fortentwickeln und anpassen kann.
Das einsame Idyll, das McCoy durchaus genießt, wird unerwartet von einem Fremden unterbrochen, der die kleine Station entdeckt hat und sie erreicht, bevor seine begrenzten Ressourcen zur Neige gehen. Roderick Stirgardsson, ein Bewohner der Erzwelten, die ihre eigenen Gesetze und Ehrvorstellungen haben, berichtet seinem Gastgeber, dass er auf diesem Planeten ausgesetzt wurde und ein Jahr Zeit hat zurückzukehren, um seine Ehre wiederherzustellen, was de facto unmöglich sein sollte, denn hätte er McCoy nicht gefunden, wäre er erstickt, und ohne Schiff kann der Planet nicht verlassen werden.
Obwohl McCoy mit den archaischen Regeln wenig anfangen kann, empfindet er Sympathie für Roderick, der ihm bei der Arbeit viel geholfen hat. Darum überlässt er ihm die Rettungskapsel der Station und seinen eigenen Kreditchip, sodass der Erzweltler es zum nächsten Außenposten der Astrografischen Gesellschaft und von dort aus weiter an sein eigentliches Ziel schaffen kann.
Kaum ist Roderick abgeflogen, tauchen weitere Besucher auf, und McCoy braucht nicht lang zu raten, um wen es sich handelt: die Feinde seines Freundes. Sie sind Roderick dicht auf den Fersen und wollen ihn um jeden Preis ausschalten. Olaf Orluffson und seine Mannschaft kidnappen McCoy und lassen ihn auf einer Raumstation zurück, um ihn gegebenenfalls später in die Sklaverei zu verkaufen. Da er keine Chance hat zu entkommen, darf er sich relativ frei bewegen und kann Kontakt zu Rodericks Frau Ragnar aufnehmen, die ihren Mann sucht.
Die Station zu verlassen, erweist sich als alles andere als einfach für die beiden. Und wohin sie auch kommen, Orluffsons Leute sind immer in der Nähe, während Rodericks Spur stets vage bleibt. Eigentlich ist das Ganze nicht einmal McCoys Problem, und er hätte auch die Möglichkeit, zu seiner Welt zurückzukehren, aber irgendwie beginnt das lebensbedrohliche Abenteuer, ihn zu reizen…
In der fernen Zukunft hat die Menschheit den Weltraum erschlossen. Es gibt zahlreiche bewohnbare Planeten, aber auch den Ehrgeiz, unwirtliche Welten in wenigen Jahren auf eine Kolonisation vorzubereiten. Die Angestellten der Astrografischen Gesellschaft, die hier als überaus intelligente, beharrliche und zugleich verschrobene Wissenschaftler geschildert werden, die ganz in ihrer Aufgabe aufgehen, wachsen an den Herausforderungen und setzen die modernste Technik ein, um ihre Pläne zu realisieren.
Ihnen, den Bewohnern der Zivilisierten Welten, stehen die Menschen der abgelegenen Erzwelten gegenüber, die zwar ebenfalls fortschrittliche Entwicklungen nutzen und kluge Köpfe in ihren Reihen haben, aber sich altertümlich, ja, barbarisch anmutenden Traditionen unterwerfen.
Infolgedessen treffen mit dem kauzigen, flappsigen, ‚zivilisierten‘ Wissenschaftler Anders McCoy, der Hauptfigur, und dem steifen Roderick Stirgardsson, dessen Frau und ihren Gegenspielern, denen ihre Ehre und die Einhaltung uralter Gesetze wichtiger als das eigene Leben sind, Menschen verschiedener Kulturkreise aufeinander, die ihre Gemeinsamkeiten erst finden und die ungewohnten Anschauungen des anderen zu akzeptieren lernen müssen.
Die Unterschiede werden auch optisch betont: McCoy wird zur Vaterfigur. Er ist älter, abgeklärt, intelligent und mutiger, als er selbst es wusste, denn er mag Roderick und Ragner und wünscht, dass ihnen Gerechtigkeit widerfährt. Sein anfänglicher Fatalismus, das Beobachten und Warten auf den richtigen Moment, um etwas zu unternehmen, wandelt sich immer mehr in selbstbestimmte Aktivität, um dem Feind zuvorzukommen. Roderick, Ragnar und die anderen Erzweltler tragen nicht von ungefähr nordische Namen, sollen sie doch den gewaltigen Wikinger-Typ verkörpern, der in erster Linie seine Größe und Kraft einsetzt, um etwas zu seinen Gunsten zu entscheiden.
Obwohl Roderick ein mysteriöser Mann bleibt - man erfährt nie, für welches angebliche Vergehen er verurteilt wurde -, hat man als Leser ebensowenig wie McCoy Zweifel an seiner Aufrichtigkeit. Etwaige Vorbehalte vergehen spätestens nach dem Auftauchen von Orluffson, der sich in mannigfaltiger Weise als ehrloser Lump erweist.
Obwohl das Buch eher ruhig ist, es nicht sonderlich oft kracht und Blut fließt (Gemetzel zum Selbstzweck ist absolut kein Thema), die Charaktere keine klassischen Helden (der ältliche Forscher, die toughe Ehefrau, der Verurteilte, der seine Ehre wiederherstellen will) und Schurken (der eifersüchtige Emporkömmling mit viel Dreck am Stecken) sind, folgt man gern der Handlung.
In erster Linie fasziniert die Beschreibung dieser Zukunftsgesellschaften und ihrer faszinierenden Technologie. Auch dass sich die Charaktere weiterentwickeln gefällt. Sie ergeben sich in ihr Schicksal und versuchen, im Rahmen ihrer Möglichkeiten, das Beste daraus zu machen beziehungsweise einen Ausweg aus der Misere zu finden. Es wird viel aus der Situation heraus improvisiert, manchmal geht das gut, manchmal nicht. Dennoch hilft kein glücklicher Zufall. Die Protagonisten müssen sich etwas einfallen lassen, um eine Wende herbeizuführen, wobei ihnen die Gegebenheiten entgegenkommen oder zum Verhängnis werden. Von daher kann man nie sagen, wie es weitergeht, ob und wie eine heikle Situation ausgeht.
Diese beiden unterschiedlichen futuristischen Gesellschaftssysteme, die realistischen Charaktere, vor allem aber die krawallfreie Handlung, die immer in Bewegung bleibt, sind die Stärke des Buchs, auf dessen Fortsetzung man schon sehr gespannt sein kann.