Jessica Jones: Alias 1 (Comic)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Sonntag, 25. September 2016 09:20
Brian Michael Bendis
Jessica Jones
Alias 1
(Alias 1-15, 2001/2002)
Übersetzung: Bernd Kronsbein
Titelillustration und Zeichnungen: Michael Gaydos, Bill Siencewicz, Mark Bagley u.a.
Panini, 2016, Paperback, 352 Seiten, 30,00 EUR, ISBN 978-3-95798-955-0
Rezension von Christel Scheja
Jessica Jones dürfte für die meisten Leser nur eine Superheldin unter vielen gewesen sein, und auch als sie eigene Wege gin, nicht ganz so sehr aus der Masse herausgeragt haben. Denn auch andere Superhelden wie Daredevil und der Punisher bewegen sich durch eine düstere und nüchterne Welt, die nicht den epischen Glanz der Superhelden besitzt. Erst durch die Netflix-Serie sollte sich das Blatt wenden, stellte man die toughe Heldin doch plötzlich gegen einen üblen Feind, der Interesse weckte und sehr charismatisch des ehemaligen Doctor Who David Tennant in Szene gesetzt wurde.
Jessica Jones war einmal Jewel, aber sie hat ihren Superheldenkollegen den Rücken gekehrt und sich dazu entschieden, ein ganz normales Leben zu führen, wenn man das Dasein als Privatdetektiv so nennen kann. Sie will nur für die einfachen Menschen da sein und diese unterstützen. Allerdings muss sie auch damit leben, dass sich ihre Wege doch immer wieder mit denen ihrer früheren Partner kreuzen, ob sie nun will oder nicht. Eine Wahl lässt ihr das Leben ihr nicht.
So scheint der Fall eines verschwundenen Mädchens einmal eine Abwechslung zu sein, denn sie muss dazu in die Kleinstadt reisen, in der die Verschollene gelebt hat und findet dabei Interessantes heraus. Die junge Frau war hoch begabt, andererseits hat man sie aber auch für eine Mutantin gehalten und entsprechend behandelt. Kann es sein, dass das auch der Grund für ihr Verschwinden ist? Mehr als einmal wird Jessica deshalb vor einen Spiegel gestellt, spürt die Feindseligkeit der normalen Leute am eigenen Leib.
Das ist etwas anderes als die üblichen Routinefälle, in denen sie untreue Ehegatten beschattet. Und manchmal passiert es eben auch, dass sie sich mit Typen herumschlagen muss, die ebenfalls übersinnliche Gaben besitzen, oder ruppige Zeitungschefs, die Freaks wie sie am liebsten weg von den Straßen haben wollen.
Trotz allem bleibt sie das, was sie ist und lässt sich nicht beirren: eine Frau, die längst keine idealistischen Vorstellungen mehr hat, sondern eher desillusioniert ist und ihren Frust in Alkohol ertränkt oder eben auch in einem One Night Stand mit einem gewissen Luke Cage.
Wer nur die Netflix-Serie kennt, wird erstaunt sein, denn die Geschichte verläuft doch etwas anders als erwartet, gibt es in dem dicken Band doch absolut keinen Verweis auf die Themen, die sich durch die 13 Folgen im Fernsehen ziehen, nur einige wenige Szenen - wie etwa die die Beziehung zu Luke Cage - lassen sich in Details wieder inden. Auch einige der Fälle scheinen locker an die Comics angelehnt zu sein. Daher sollte man nicht allzu enttäuscht sein, wenn man auf die Comic-Vorlage neugierig war und nun nichts von dem vorfindet, was einem im Fernsehen gefallen hat.
Kilgrave spielt keine Rolle, stattdessen werden hier eher die Verbindungen von Jessica zu den anderen Superhelden, sei es nun den Avengers oder Spider-Man aufgezeigt. Hin und wieder gibt es auch Begegnungen mit denen, die doch ab und zu in das dunkle New York geraten sind. Daher gibt es immer wieder Anspielungen auf ihre Zeit als Jewel, ihre Kräfte und ihre Freundschaften. Für die eigentlichen Fälle spielen diese allerdings eine geringere Rolle.
Große Stärke besitzt die Serie vor allem dann, wenn es um die Schicksale normaler Menschen geht oder derjenigen, die wie Jessica Jones eigentlich eher ein normales Leben führen wollen und trotzdem zu Freaks abgestempelt werden. Auch weiß die Heldin zu gefallen, die mal keinen Hehl aus ihren allzu menschlichen Schwächen und Unzulänglichkeiten macht und sich nicht scheut, auch zu rauchen oder zu trinken.
Letztendlich ragt die Serie allein schon durch ihre nüchterne, ruhige Erzählweise, die düstere Crime-Noir-Atmosphäre und die facettenreiche Heldin aus der Masse anderer Superhelden-Comics heraus, weil Jessica Jones mal kein einen Spandex-Anzug tragendes Abziehbild ist, sondern ein interessanter Mensch.
Es lohnt sich daher durchaus, einem Blick in „Alias“ 1 zu werfen, gerade wenn man gebrochene und sehr menschliche Superhelden mit Ecken und Kanten mag, die in einer düsteren aber dadurch auch realistischen Welt agieren, in der man nie weiß, was als Nächstes passiert und so die Spannung hoch bleibt.