Michael Siefener: Der Ballsaal auf der dunklen Seite des Mondes (Buch)

Michael Siefener
Der Ballsaal auf der dunklen Seite des Mondes
Titelbild: Timo Kümmel
Atlantis, 2016, Paperback, 166 Seiten, 11,90 EUR, ISBN 978-3-86402-336-1 (auch als Hardcover und eBook erhältlich)

Von Irene Salzmann

„Wo bist Du? Ich, männlich, 33, suche dich schon so lange. Ich bin schüchtern und draufgängerisch, romantisch und sachlich, sehnsüchtig und resigniert, gebildet und kann staunen wie ein Kind.
Ich will deine Seele trinken und mit dir auf der dunklen Seite des Mondes tanzen.
Bitte schreibe mir.
HN 4309 ZGK 50590 Köln.“

 

Anna Tiedemann führt ein geruhsames Leben, seit sie nach einigen Enttäuschungen wieder Single ist. An ihrer Arbeitsstelle schätzt man sie wegen ihres Fleißes. In der Früh geht sie Joggen, und abends schaltet sie den Fernseher an oder liest ein Buch. Etwas Aufregendes ist ihr schon lange nicht mehr passiert.

Die kleine Freude, beim Italiener mit ihrer besten Freundin Elke über Kerle und alles Mögliche zu tratschen, wird Anna gründlich verdorben, denn Elke hat ihren neuen Schwarm Alexander mitgebracht. Die beiden können kaum die Finger voneinander lassen, und so manche Bemerkung über Annas Single-Dasein ist außerordentlich demütigend. Es kommt aber noch schlimmer, als Elke ihr eine Kontaktanzeige zuschiebt und meint, der Schreiber wäre doch genau der Richtige.

Verärgert zahlt Anna ihre Rechnung und geht. Erst zu Hause stellt sie fest, dass sie den Zettel zusammen mit der Quittung eingesteckt hat. Sie wirft die Anzeige in den Müll. Aber immer wieder kehren ihre Gedanken zu den Zeilen, die sie gelesen hat, zurück. Eigentlich glaubt Anna nicht an glückliche Beziehungen, die von Partnerschaftsagenturen oder durch Annoncen eingefädelt wurden. Woher soll man wissen, an wen man da gerät?

Schließlich siegen Annas Neugier und die Hoffnung, vielleicht doch noch einen netten Mann kennenzulernen. Sie schreibt an die Postfachadresse und wartet auf Antwort, teils diese Aktion bereuend, teils voller Sehnsüchte. Als sie schon nicht mehr damit rechnet, liegt tatsächlich ein Brief von Bodo Sierck im Briefkasten. Beide erkennen einander als Seelenverwandte - aber warum weigert sich Bodo, Anna zu treffen und die platonische Freundschaft auf die nächste Ebene zu heben? Trotzdem verfällt Anna Bodo immer mehr und merkt gar nicht, wie sie sich verändert…


„Der Ballsaal auf der dunklen Seite des Mondes“ ist kein fantastischer Roman, eigentlich auch kein richtiger Thriller, sondern ein Drama, das eine Atmosphäre voller Thrill und Horror aufbaut. Michael Siefener erzählt die bedrückende Geschichte von Anna Tiedemann, die durch eine banale und doch verführerisch klingende Kontaktanzeige aus ihrem Alltag gerissen wird und zunehmend ihrem Briefkontakt Bodo Sierck verfällt.

Obwohl Anna hin und wieder aufzuwachen scheint, kommt sie von ihrem mysteriösen Verehrer einfach nicht los. Ihre Liebe zu ihm nimmt immer manischere Züge an. Auch Elke, die sich von Alexander getrennt und wieder Zeit für die langjährige Freundschaft hat, kann die Spirale ins Verderben nicht durchbrechen. Als Anna endlich doch noch Bodos Adresse herausfindet und ihn mit ihrer Identität konfrontiert, erlebt sie eine böse Überraschung, denn nichts ist so, wie es schien, und damit ist das Ganze noch nicht einmal vorbei.

Die Inszenierung ist dem Autor hervorragend gelungen, und man darf die Tragödie durchaus einen Pageturner nennen. Alles beginnt ganz harmlos, aber man begreift schnell, dass die Bekanntschaft Anna nichts Gutes bringt, und dass, je länger sie von Bodo träumt, es immer weniger wahrscheinlich ist, dass sie von ihm loskommt. Langsam und unaufhaltsam eskaliert die Situation.

Was weniger überzeugt, ist die Freundschaft von Anna und Elke. Eine ‚Freundin‘, die sich so herablassend wie Elke benimmt, wird nicht lange eine Freundin bleiben. Vielleicht liegt es daran, dass sich ein Autor oft weniger gut in die Rolle einer Frau versetzen und eine Frauenfreundschaft beschreiben kann als eine Autorin, die quasi aus dem Nähkästchen plaudert. Doch das Verhältnis der beiden lässt einen immer wieder schlucken, und auch als Elke letztendlich Anna zu helfen versucht, wirkt es recht oberflächlich und aufgesetzt. Das ist aber auch schon das einzige Manko des ansonsten packenden Romans.

Eine realistische und darum umso schaurigere Lektüre, die man erst aus der Hand legt, nachdem man die letzte Seite gelesen hat.