Christian Endres: Sherlock Holmes und die tanzenden Drachen (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Donnerstag, 25. Februar 2016 08:58
Christian Endres
Sherlock Holmes und die tanzenden Drachen
Titelbild: Timo Kümmel
Atlantis, 2015, Paperback, 360 Seiten, 14,90 EUR, ISBN 978-3-86402-220-3 (auch als Hardcover und eBook erhältlich)
Von Irene Salzmann
Sherlock Holmes und Dr. John Watson werden in drei Fällen um Hilfe ersucht: Professor Talbot vom British Museum bekennt, dass ihm das legendäre Schwert Excalibur gestohlen wurde und zu befürchten ist, dass sein neuer Besitzer Queen Victoria stürzen will. Ferner meldet Mr. Jenkins, der königliche Drachenhüter, dass jemand die Tiere zu vergiften versuchte. Letztendlich wendet sich der Musiker Mr. Amadeus an Watson mit der Bitte, seine verschwundene Braut Jeannyvaere, eine Elfe, zu suchen, woraufhin sich Watson zusammen mit seinem Freund Oscar Wilde ins Londoner Nachtleben stürzt und es von einer bis dahin gänzlich unbekannten Seite erlebt.
Tatsächlich gelingt es Holmes und Watson, die Fälle aufzuklären und die Zusammenhänge zwischen ihnen herzustellen, doch als sie soweit sind, ist es offenbar zu spät: Die Einwanderer aus Oberons Reich kehren in ihre Heimat zurück, verschreckt durch einen bevorstehenden Krieg, und nehmen die Magie mit, wodurch die Zauberer der Königin handlungsunfähig werden und auch die Drachen das meiste ihrer Kraft einbüßen. Der Gegner, ein Nachkomme von Artus, zeigt sich davon unbeeindruckt, denn durch Excalibur zieht er Magie zu sich und schart eine gewaltige Armee aus in den vergangenen Jahrtausenden gefallenen Kriegern um sich, denen die Lebenden kaum etwas entgegenzusetzen haben.
Holmes, der von Anfang an Premierminister James Moriarty im Verdacht hatte, während sein Bruder Mycroft und Watson der Überzeugung waren, dass sich der Detektiv in eine fixe Idee verrannt habe, sieht sich bestätigt, aber ihm ist auch klar, dass das Empire nur mit Hilfe seines Intimfeindes - vielleicht - gerettet werden kann…
Christian Endres verlagert die Kriminalfälle Sherlock Holmes’ in eine Parallelwelt, in der es Dampfmaschinen und Magie gibt, also eine Mischung aus Steampunk, Fantasy und SF. Damit es keinen ‚Bruch‘ zu allen bisherigen Erzählungen gibt, heißt es, dass Dr. John Watson als Chronist dieser Fälle seinerseits, inspiriert von Charles Dickens, in eine Parallelwelt verlagert hat, in der es keine Magie gibt. Somit stellen die Mystery-Krimis eine Art Blick hinter die Kulissen in die ‚wahre‘ Welt von Sherlock Holmes dar.
Freilich können sich nicht alle Holmes-Fans mit fantastischen Elementen arrangieren, sondern wollen ihren Helden lieber ‚pur‘ und traditionell genießen, sodass die entsprechenden Einzelromane und Reihen voneinander getrennt publiziert werden. Da im Atlantis Verlag fast ausschließlich Horror, SF und Fantasy erscheint, ist es nicht verwunderlich, hier auch einige Mystery-Thriller um Sherlock Holmes zu entdecken.
Obschon der Hintergrund nun ein wenig bunter und magischer ist, kommt man schnell mit dem Setting zurecht, da es dem Autor aufgrund seines Stils, der dem von Sir Arthur Conan Doyle nachempfunden ist, der Charakterisierung bekannter Protagonisten und der verschlungenen Fälle gelingt, das Feeling der Original-Geschichten aufleben zu lassen und den Leser zu fesseln. Gleichzeitig baut er reale Zeitgenossen (Oscar Wilde) und fiktive Schöpfungen (Cthulhu) ein, teils als aktiv agierende Figuren, teils nur namentlich erwähnt oder als Randphänomen. Auch das sorgt für atmosphärische Dichte.
Wie bereits im Original spielen Frauen keine große Rolle. Abgesehen von der Queen gibt es Hausfrauen (Mrs. Jenkins), Haushälterinnen (Mrs. Hudson), Prostituierte (Jeannyvaere) und belesene Freudinnen, die in Ehefrauen verwandelt werden müssen (Mary Morstan), seltener Spionin/Attentäterin (Irene Adler, die hier keinen Auftritt hat) oder ähnliches. Sie dürfen sich um die Versorgung der Familie kümmern, sofern sie keinem ‚zweifelhaften Gewerbe‘ nachgehen, sich um ‚ihren Helden‘ sorgen und bestenfalls mal ein kritisches Wort sprechen, das er jedoch für gewöhnlich ignoriert. Infolgedessen bleibt auch die Beziehung von Watson und Mary praktisch ein Nebensatz, und er befindet sich stets in einem inneren Zwiespalt, ob er seine Pflicht erfüllt und den Freund, ein ‚Frauen-Feind‘, ins nächste Abenteuer begleitet oder sich trotz aller Liebe am heimischen Herde zu Tode langweilt.
Im Laufe der Handlung werden die einzelnen Stränge verknüpft und immer neue mythische Charaktere eingebunden. Reizvoll ist zudem der Aspekt, dass das Verschwinden der Magie auf den Gegner keinerlei Auswirkungen hat, die Menschen, die sich ihrer entsprechenden Kenntnisse nicht mehr bedienen können, zur Auslöschung der ‚Zombie-Armee‘ aber weiterhin auf Zauberei angewiesen sind. Als der letzte Strohhalm, nachdem gegriffen wird, bricht, ist guter Rat teuer. Ob und wie der Untergang des Empires abgewendet werden kann, muss man schon selbst lesen…
„Sherlock Holmes und die tanzenden Drachen“ ist ein kurzweiliger Mystery-Thriller in der Tradition Sir Arthur Conan Doyles, aufgepeppt mit reichlich Magie, was dem einen gefallen wird und dem anderen nicht. Unabhängig von diesem Diskurs erfüllt Christian Endres alle Erwartungen, mit denen man nach einem Sherlock-Holmes-Roman greift.