Querschläger (Comic)
- Details
- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Sonntag, 28. Juni 2015 10:58
Querschläger
(Balles perdues)
Original-Szenario: Walter Hill
Textadaption: Matz (Alexis Nolent)
Artwork: Jef (Jean-François Martinez)
Übersetzung: Harald Sachse
Splitter, 2015, Hardcover, 126 Seiten, 24,80 EUR, ISBN 978-3-95839-056-0
Von Frank Drehmel
Beim Namen Walter Hill wird mancher Comic-Connaisseur die Brauen heben, denn Hill hat sich vornehmlich als hollywoodianischer Tausendsassa einen Namen gemacht, als Regisseur („Nur 48 Stunden“, „Die Warriors“ und viele andere mehr) als Produzent zum Beispiel der allseits beliebten „Alien“-Filmreihe oder – unter anderem – als Drehbuch-Autor für Sam Packinpahs Reißer „Getaway“.
Das vorliegende Album basiert auf einem etwa 30 Jahre alten Szenario eben jenes Hollywood-Granden, welches aus (uns) unbekannten Gründen keine filmische Realisation fand, dessen Adaption als Comic jedoch nichts im Wege stand, nachdem sich Hill und Matz bei Dreharbeiten zufälligerweise begegneten und über gemeinsame Projekte austauschten.
Zeitlich verortet ist die Geschichte, welche in Arizona, Chicago und Los Angeles spielt, während der US-amerikanischen Prohibition 1931/32.
Roy „Machine Gun Roy“ Nash verbüßt seit fünf Jahren eine lebenslange Freiheitsstrafe in Illinois, als er eines Tages aus heiterem Himmel aus dem Knast befreit wird, indem man seinen Tod vortäuscht. Hinter dieser Aktion steht der Chicagoer Gangsterboss Nick Canino, der von Nash erwartet, dass dieser im Gegenzug einen heiklen Auftrag erledigt: er soll drei Typen erledigen, die Canino nicht nur Geld schulden, mit dem er ihren spektakulären Coup finanzierte, sondern die Nick insbesondere dadurch hintergingen, dass sie den jungen Fluchtwagenfahrer, den er ihnen stellte töteten, bevor sie sich mit 500.000 US-Dollar absetzten. Um Roy den Auftrag etwas zu versüßen, gestattet ihm Nick, die Beute zu behalten, sollte er das Geld tatsächlich auftreiben, während er selbst mit dem Tod der Verräter zufriedengestellt wäre.
Den ersten auf der Liste, Blondie Egan, erledigt er in Arizona nahezu im Vorbeigehen; doch dann wird der Auftrag kompliziert. Gemeinsam mit seinem Fahrer, Kid Panama, begibt er sich nach Los Angeles, wo er in der Unterwelt die Spur der Flüchtigen – Fulton und Start – finden und verfolgen muss, wo er sich mit dem örtlichen Syndikat anlegt und ihm ein korrupter Bulle namens Valentine seine Hilfe gegen einen stattlichen Obolus geradezu aufzwingt. Wider Erwarten erweist sich sein unwillkommener Partner im Nachfolgenden als feuerkräftige Rückendeckung.
Allerdings wird es für Roy zunehmend schwerer, zwischen Freund und Feind zu unterscheiden, denn auch sein Auftraggeber ist alles andere als begeistert, als er erfährt, dass Roy den Auftrag zum Anlass nimmt, parallel und geradezu obsessiv seine einstige Freundin Lena zu suchen, eine junge Frau, von der ihm nicht mehr als die Erinnerung an schöne Zeiten und ein Bild in einem alten Medaillon geblieben ist.
„Querschläger“ ist eine in atmosphärisch intensive Bilder gegossene Reminiszenz an große Kino-Filme wie „The Untouchables – Die Unbestechlichen“, „Scarface“ oder „Once Upon a Time in America“, an den ikonischen Typus des US-amerikanischen Gangsters, wie er in Hardboiled- und Crime-Noir-Geschichten geradezu zelebriert wurde und wird.
Roy Nash ist ein Mann weniger Worte, ein lakonischer Antiheld, der nur dann redselig wird, wenn es der Erfüllung seines Auftrages dienlich ist oder wenn er auf seine verflossene Liebe zu sprechen kommt; große Emotionen jenseits seiner Obsession für eben diese Liebe, Lena, sind ihm fremd und selbst das Töten ist für ihn ein Handwerk, das getan werden muss ohne zu Zögern, ohne Hass. In seinem Milieu, in den Flüsterkneipen der 30er, in der Unter- und Halbwelt, ist er ein bestens angepasstes Raubtier, das trotz seines gepflegten, fast schon androgynen Aussehens tödlich ist. Dennoch bleibt Nash für den Leser ein Mann ohne Vergangenheit, sodass er nur über sein Handeln im aktuellen Kontext definiert wird.
Auch die Nebenfiguren – der Boss, der korrupte Bulle, die Hure, der Handlanger – entsprechen in der Regel genretypischen Hardboiled-Klischees, weshalb sich Matz und Hill nicht als Vertreter feinsinniger, tiefer Charakter-Zeichnungen hervortun. Auch die Geschichte selbst, die Suche und die Rache Nashs, arbeitet vornehmlich mit Versatzstücken und Anleihen aus klassischen Filmen und einschlägigen Romanen.
Dass das Album dennoch in jeder Hinsicht überzeugt, liegt im Artwork, im Visuellen begründet, welches den Leser schon mit der Splash-Page und der Eröffnungssequenz in den Bann schlägt. In ruhigen, lakonisch-wortkargen Bildern, die in einem blutigen Showdown in einer kleinen Wüstenstadt in einen Ausbruch von Gewalt kulminieren, erzeugt Jef sofort eine Atmosphäre, die in ihren Einstellungen und Perspektiven an das große Hollywood-Kino eines Sergio Leone oder Sam Peckinpah erinnert, ein Eindruck, ein cineastischer Anspruch, der sich durch das komplette Album zieht.
Historische Authentizität wird insbesondere durch das zeitgenössisch-stimmige Ambiente, angefangen bei der Kleidung über Frisuren, den Schmuck und die Waffen bis hin zur Technik in Form von Kraftfahrzeugen sowie die Architektur, generiert und transportiert, wobei Jefs feiner Strich den Details entgegenkommt und wobei gerade in Bezug auf Technik und Architektur das eine oder andere verfremdete Foto seinen Eingang in die Geschichte gefunden zu haben scheint.
In der Kolorierung dominieren warme, ins Sepia spielende Töne, schmutzig-dezente Buntfarben sowie Nuancen von Blau und Grau, sodass viele Panels visuell den Hauch alter, mit der Patina von Jahrzehnten überzogener Fotos atmen, was das historische Moment der Geschichte nochmals unterstreicht. In der Darstellung der Figuren setzt Jef ganz auf markante Typen, was in Hinblick auf Nash – wie oben erwähnt – eine sehr androgyne, weiche Physiognomie bedeutet, bei seinen Gegenspielern hingegen eher das Grobschlächtige, Faltige, was zuweilen fast schon karikierende Züge annimmt.
Ein Interview mit Walter Hill sowie einige Skizzen runden das positive Gesamtbild diese umfangreichen Oneshots ab.
Fazit: Eine in stilistisch wie atmosphärisch stimmige, coole und intensive Bilder gebannte Reminiszenz an den ikonischen US-amerikanischen Gangster-Typus des frühen 20. Jahrhunderts. Ein Comic gewordener Hardboiled- und Crime-Noir-Film. Visuell herausragend! Zugreifen!