Aphrodite IX 2: Der 700-Jahr-Plan (Comic)

Matt Hawkins
Aphrodite IX 2
Der 700-Jahr-Plan
(Aphrodite IX 6-11, 2013/2014)
Aus dem Amerikanischen von Claudia Fliege
Titelillustration und Zeichnungen von Stjepan Sejic
Panini, 2015, Paperback mit Klappenbroschur, 132 Seiten, 16,99 EUR

Von Irene Salzmann

Die Killer-Androidin Aphrodite IX erwacht nach Jahrhunderten in einer ihr unbekannten Welt. Nur wenige Menschen besiedeln noch die Erde: die in der Stadt Genesis lebenden mutierten Gen und die durch kybernetische Implantate verstärkten Bewohner der Ortschaft Spheros. Beide Gruppen kämpfen um die letzten Ressourcen und sind bestrebt, den ihnen verhassten Gegner auszulöschen.

Während Aphrodite bei den Gen Aufnahme findet, schließt sich ein zweiter Schläfer, Robert J. Burch, dem Feind an. Über den grünen Fleck auf Aphrodites Wange, einem Implantat, kontrolliert und zwingt er sie, unter ihren Wohltätern zu morden. Zwar kann sie sich der Manipulation entziehen, doch ist es ihr unmöglich geworden, in Genesis zu bleiben. Sie flieht vor ihren Häschern nach Norden in die Ödzone, wo sie von einer dritten Gruppe angegriffen wird.

Diese steht unter der Leitung des Cyborgs Aphrodite XV, die nach dem Kampf davon überzeugt ist, die echte Aphrodite IX gefunden zu haben. Wie ihre ‚Geschwister‘ ist die Androidin Teil eines komplizierten Plans, in dem es um nichts Geringeres als um die Herrschaft über die Erde geht. Allerdings will sich Aphrodite IX den anderen, die ebenfalls erwacht sind und sich in einer Station im Erdorbit versammelt haben, nicht anschließen, da sie entsetzt ist über den Grund für ihre und die Existenz der Gen und Cyborgs sowie das Ziel derjenigen, die diese Zukunft gestaltet haben.

Außerdem ist das Implantat dabei, sich zu reparieren, sodass Burch Aphrodite früher oder später erneut in seine Gewalt bekommen wird. Um das zu verhindern, muss sie ihn ausschalten. Um endlich frei zu sein, wagt sie sich zurück auf die Erde, wo zwischen den Gens und den Cyborgs der totale Krieg ausgebrochen ist, welcher die Entscheidung bringen soll. Für Aphrodite ist es ein Wettlauf mit der Zeit.

Bislang wusste der Leser kaum mehr über die Titelfigur als diese selbst. Das zweite Paperback überrascht darum durch eine Vielzahl von Enthüllungen, die man gewiss nicht hat erahnen können. Wer hätte auch gedacht, dass Aphrodite IX nicht einfach nur eine gesteuerte Killerin ist, sondern eine ungewöhnliche Schöpfung beziehungsweise der wesentliche Bestandteil einer Inszenierung, die verantwortlich für die aktuelle Entwicklung der Erde ist und zum Ziel hat, fast gottgleiche Androiden – die Namen wurden der griechischen Mythologie entlehnt (die Olympier) – über die verbliebene Menschheit herrschen zu lassen?

Natürlich fragt man sich dann, weshalb die Verantwortlichen ihre nahezu unverwüstliche Marionette zahlreichen Gefahren ausgesetzt haben, durch die Aphrodite hätte getötet/zerstört werden können, und worüber die neuen Götter herrschen wollen, wenn die Erde verwüstet ist und kaum Menschen übrig sind… Doch diese neue Richtung konnten David Finch und David Wohl, als sie die Serie vor fast zwanzig Jahren starteten, nicht vorhersehen, und Autor Matt Hawkins verlegte mit dem Relaunch die Handlung zum einen weit in die Zukunft, zum anderen unterlegte er sie mit diesem gewaltigen Background.

Plötzlich ist Aphrodite auch nicht mehr allein. Es gibt mehrere von ihrer Art, ausnahmslos mit der Nummer IX. Sie werden vorgestellt, doch ihre Geschichten und Absichten bleiben vage. Offenbar können sie nicht auf vergleichsweise prägende Erfahrungen, wie Aphrodite sie trotz vieler Erinnerungslücken hat, zurückblicken, oder sie sind einfach brave Befehlsempfänger, die am Plan ihrer Schöpfer festhalten wollen, denn trotz Animositäten untereinander wirken sie machthungrig, arrogant, skrupel- und gewissenlos. Durch das Auftauchen dieser ‚Geschwister‘ wurde der Grundstein für den nächsten Handlungsbogen gelegt, der Aphrodite in Konflikt mit den anderen Androiden bringen dürfte.

Trotz des erwähnten kleinen Mankos ist die Handlung überzeugend und spannend. Die Titelheldin steht mit ihren Ängsten und Wünschen ganz im Mittelpunkt und erweist sich einmal mehr als verunsicherte und zugleich toughe, junge Frau, die trotz ihrer überlegenen Kräfte vor allem auf den Verstand setzt, Hilfe annehmen und Opfer bringen kann, dabei ihrem Gewissen immer treu bleibt. Sie kämpft für ihre Freiheit, aber ihr Peiniger Robert J. Burch ist nicht der einzige, der sie zu lenken versucht.

Auch die übrigen Charaktere sind vielschichtig angelegt und entwickeln sich weiter. Beispielsweise begegnete Aphrodite dem Gen Marcus, einem Krieger, der sich wenig um die große Politik und die Religion scherte, und beide entwickelten Gefühle füreinander. Nachdem sie jedoch seine Angehörigen ermordet hatte, ist er hin und her gerissen zwischen Liebe und Hass und wird zum gottesfürchtigen, fanatischen Anführer seines Volkes. In Spheros stellt Aphrodite fest, dass die Cyborgs, die schon fast jegliche Menschlichkeit verloren haben, doch noch zu Gefühlen fähig sind, sogar die eiskalte Vollstreckerin. Sehr gelungene Szenen!

Die Illustrationen sind ganz so, wie man sie von der Serie und Stjepan Sejic kennt. Manche seiner digitalen Kunstwerke sind atemberaubend aufgrund ihrer Detailvielfalt und realistisch anmutenden Ausführung. Anderes wieder wirkt etwas konstruiert und zusammengestückelt, wenn die Zeichenprogramme ihre Grenzen erreicht hatten und von Hand nachgebessert wurde. So bleibt immer ein etwas zwiespältiges Gefühl, das man nie verspürte, als noch David Finch die Serie illustrierte. Aber was gefällt, ist Geschmackssache.

Auf jeden Fall bietet die Serie sowohl etwas fürs Auge als auch packende SF-Unterhaltung für reifere Leser, die nicht nur nach Action und Erotik verlangen, sondern vor allem großen Wert auf entwicklungsfähige, mehrschichtige und glaubwürdige Charaktere legen. Allerdings sollte man Band 1, „Das Aphrodite-Protokoll“, gelesen haben, um die Zusammenhänge leichter verstehen zu können.