Uncanny X-Men 5 (Comic)

Brian Michael Bendis
Uncanny X-Men 5
(Uncanny X-Men 23-26, 2014)
Aus dem Amerikanischen von Jürgen Petz
Titelillustration von Chris Bachalo
Zeichnungen von Chris Anka, Chris Bachalo, Tim Townsend u.a.
Panini, 2015, Paperback, 100 Seiten, 12,99 EUR, ISBN 978-3-95798-346-6

Von Irene Salzmann

Auch nach dem Tod von Professor Charles Xavier geht das Leben für die X-Men weiter. Die Lücke, die er hinterlassen hat, kann niemand füllen, und die Wunden aller reißen erneut auf, als Jennifer Walters alias She-Hulk jene Schüler sich einzufinden bittet, die dem Verstorbenen nahestanden und denen er sein Vermächtnis anvertrauen wollte.

Notgedrungen müssen die X-Men, die sich James „Logan“ Howlett angeschlossen und von Scott Summers abgewandt haben, die Anwesenheit von Letzterem hinnehmen. Doch auch Cyclops ist wenig erpicht darauf, nach allem, was geschehen ist, an der Testamentseröffnung teilzunehmen und vielleicht der Nutznießer zu sein. Infolgedessen ist die Verlesung von „Charles Xaviers letztem Willen“ eine besonders schlimme Qual für jeden.

Allerdings kommt es noch übler, als befürchtet. Das Vermächtnis entpuppt sich als Geständnis: Vor vielen Jahren begegnete Professor X einem Kind mit einer solch enormen Macht, dass er unfähig war, es anleiten oder gar kontrollieren zu können. Um zu verhindern, dass Matthew Malloy wider Willen eine Katastrophe entfesselt, wendet er einen Trick an, um das Vertrauen des Jungen zu gewinnen, der ahnt, was er bereits getan hat, sich vor sich selbst fürchtet und schließlich darum bittet, dass seine Erinnerung gelöscht und die furchtbare Gabe ausgemerzt wird. Professor X tut sein Möglichstes, aber das ist nicht genug – denn bei dem erwachsenen Matthew lockern sich die Bindungen, die Folge ist die absolute Zerstörung seines Umfelds, SHIELD erweist sich als machtlos, und die X-Men sollen das Problem lösen…

Nur vordergründig geht es um das Grauen, das der neue Mutant auslöst, ohne zu begreifen, was mit ihm und um ihn herum passiert. Matthew Malloy ist mehr als ein Omega-Mutant, er ist eine Person mit unglaublicher, zerstörerischer Macht, und kann er nicht aufgehalten werden, dann sind sämtliche bisherigen Aktionen, die aus Angst vor Mutanten gegen diese unternommen wurden, ein Klacks – sofern überhaupt jemand übrigbleibt, der sich noch Sorgen machen kann. Die Macht des jungen Mannes erinnert gewiss nicht von ungefähr an die des Phoenix‘, der Cyclops als Gefäß benutzt hatte und ihn dazu trieb, Professor X zu töten.

Tatsächlich werden die inneren Konflikte von Cyclops und Professor X in den Mittelpunkt gestellt: Cyclops hasst sich dafür, dass er sich von der Phoenix-Kraft hat korrumpieren lassen, unter ihrem Einfluss viel Unheil anrichtete und seinen Mentor tötete, doch da er davon überzeugt ist, alle Mutanten beschützen zu müssen, entzieht er sich jenen Organisationen, die ihn für seine Taten vor Gericht stellen wollen, und bricht mit allen Freunden, die ihm nicht verzeihen können. Sein Weg erinnert immer mehr an den, den einst Magneto beschritt, während ausgerechnet der Hardliner Wolverine die Ideale des Professors verkörpert.

Professor X wiederum, der immer an die Humanität appellierte und seinen Schülern hohe Ideale vermittelte, erweist sich einmal mehr als ganz normaler Mensch, der einst einer Schwäche nachgab und zu Mitteln griff, die er selbst verurteilte, in diesem Fall die Blockade von Erinnerungen und einer desaströsen Fähigkeit bei einem Kind. Genauso wie Cyclops eigentlich Gutes hatte tun wollen mit der Phoenix-Kraft, wollte Professor X auf diese Weise verhindern, dass Matthew zum Massenmörder wird und der Hass auf die Mutanten eskaliert.

Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, ist es Cyclops, der sich in Vorwürfen ergeht, dass sie alle von ihrem Mentor getäuscht wurden, der Wasser predigte und selber Wein trank. Man kann sagen, er hat nun ein Ventil für seinen Selbsthass gefunden, den er auf Professor X projiziert. Gewissermaßen versucht er, sich selbst zu belügen, indem er sein eigenes Vergehen in den Hintergrund schiebt und den Toten wegen seiner aus reiner Not geborenen Maßnahme an den Pranger stellt.

Vergleicht man die Geschehnisse, so möchte man unterstellen, dass Professor X keine andere Wahl hatte, um Matthew unschädlich zu machen, dem immerhin über Jahre hinweg ein normales Leben möglich war. Cyclops hingegen hat bewusst Entscheidungen getroffen, sich schließlich dem Phoenix ergeben und seinen Mentor nicht verschont, obwohl er ihn keineswegs hätte töten müssen.

Die Reaktionen der anderen Anwesenden werden gleichfalls beleuchtet, aber sie haben momentan nur die Rollen von Kommentatoren inne, die selber unglücklich sind über diese Beichte und nach wie vor Cyclops nicht vergeben können. Vor allem einer seiner ältesten Wegbegleiter, Iceman alias Bobby Drake, trägt schwer an Cyclops’ Verhalten, während Wolverine die sprichwörtliche Ruhe selbst ist. In allen brodelt es, und so Mancher zeigt Vernunft oder heftige Gefühle, die man nicht von ihm erwartet hätte.

Natürlich begibt sich ein X-Men-Team an den Krisenort, denn das Testament wurde praktisch zu spät eröffnet: Matthew ist erwacht, in Panik und hat getötet. Mit diesem Cliffhanger endet der Band, sodass man die Fortsetzung unbedingt kaufen muss, will man erfahren, ob und wie die Erben von Professor X ein quasi unlösbares Problem lösen. Schade nur, dass die Zeichnungen recht comichaft anmuten, was jedoch dazu führt, dass man sich mehr auf die Story als auf die Bilder konzentriert, was gewollt sein kann.

Ein starker Band, der vor allem durch die Story, weniger durch die Illustrationen überzeugt und auch von Neueinsteigern problemlos gelesen werden kann.