Daniel Illger: Der Pfad des schwarzen Lichts – Skargat 1 (Buch)

Daniel Illger
Der Pfad des schwarzen Lichts
Skargat 1
Titelbildgestaltung, Illustration im Innenteil und Karten von Monika Wunderer
Hobbit Presse 2015, Paperback mit Klappenbroschur, 570 Seiten, 17,95 EUR, ISBN 978-3-608-94642-0 (auch als eBook erhältlich)

Von Irene Salzmann

Der Bauernjunge Mykar wird aufgrund seines Aussehens bei der Geburt ein „Kind Skargats“ genannt und von den Dorfbewohnern einschließlich seiner eigenen Familie verstoßen, obwohl er wie ein ganz normaler Junge aufwächst und in keiner Weise böse ist. Allein Cay, der Sohn des Priesters, ist freundlich zu ihm und rettet ihn aus der Gewalt einer Bande Halbstarker.

Als Cays Verlobte Alva von fremden Reitern auf bestialische Weise ermordet wird, macht man Mykar zum Sündenbock. Diesmal kann Cay ihm nicht helfen, und man schlägt ihn halb tot. Mit letzter Kraft schleppt sich Mykar an seinen geheimen Lieblingsplatz im Wald, wo er einst das Skelett des Mädchens Danje, einer Hexe, fand, die zu seiner Freundin wurde. Unter der uralten, geheimnisvollen Linde wird Mykar ein Teil der Erde.

Sieben Jahre später wird Rudrick, der grausame Sohn des Barons, erschlagen. Die Schergen nehmen Cay gefangen, um ihn in der Perle, dem Ort, über den der Dorn herrscht, verurteilen zu lassen und zu verbrennen. Um die Unschuld seines einzigen Freundes zu beweisen, kehrt Mykar zurück und begibt sich auf die Suche nach Cay, ohne zu wissen, wohin er sich wenden und was er überhaupt tun soll.

Zufällig wird Mykar in die Auseinandersetzung zwischen dem heruntergekommenen, versoffenen Adligen Justinius mit seinem jüngeren Bruder Edmund hineingezogen. Letzterer will nicht nur seinen Vater, sondern auch Justinius und dessen merkwürdige Magd Scara ermorden. Mykars Eingreifen verhindert das Schlimmste, und die Bande kann vertrieben werden.

Nachdem sich Mykar Scara anvertraut hat, beschließt sie, dass sie und Justinius dabei helfen werden, Cay zu befreien. Auch die mysteriöse Vanice schließt sich ihnen auf Mykars Bitten hin an. Mit ihrer Unterstützung, so hofft er, Rudricks Geist sprechen zu können, um von ihm den Namen des wahren Mörders zu erfahren. Allerdings kann der Geist, der finstere Ziele verfolgt, entkommen, woran Justinius‘ Unwissenheit und Edmunds Perfidität schuld sind. Mykar muss auf die Verfolgung verzichten, um Vanice vor den lebenden Leichen zu retten, die sie fressen wollen. Auch sein planloser Versuch, Cay den Folterknechten zu entreißen, endet glücklos.

Und dann ist der Tag gekommen, an dem Cay hingerichtet werden soll…

Das ist – sehr stark gerafft – die wesentliche Handlung der ersten 430 Seiten. Was dann passiert, geht über die vordergründige Rettungsaktion weit hinaus, und man möchte gar nicht noch mehr verraten, denn nach weiteren 140 Seiten ist zwar das Buch, aber nicht die Geschichte, die in den Welten der Lebenden und Toten und dazwischen spielt, zu Ende.

Sie beginnt relativ traditionell: Ein Außenseiter und der beliebteste Junge eines kleinen Dorfes werden Freunde. Eine Tragödie überschattet den Ort mit furchtbaren Konsequenzen für beide. Die innige Freundschaft bewirkt, dass Mykar die Welt der Schatten verlässt, um Cay vergelten zu können, was dieser Gutes für ihn tat. Obwohl Mykar sich verändert hat, begreift er wenig von dem, was um ihn herum vor sich geht und was er selbst geworden ist. Diese Veränderung ist notwendig, damit er sich überhaupt der Aufgabe stellen kann, die auf ihn zukommt – und Cays Rettung ist lediglich ein wichtiges Puzzle-Stück in einem viel größeren Spiel.

Auch wenn Mykar die Hauptfigur und Cay die Triebfeder seines Handelns ist, haben die Helfer, die sich seiner Sache anschließen, nicht minder wichtige Rollen inne und schildern mit ihm im Wechsel die Ereignisse. Allein Scara ist keine Erzählerin, da ihre Gedankengänge nicht den gewohnten Bahnen folgen, Passagen aus ihrer Perspektive entsprechend schwierig zu schreiben gewesen wären und sie dadurch zu viel von sich preisgegeben hätte. So jedoch gehen regelmäßig Impulse von ihr aus, und sie ist fast schon eine dea ex machina.

Justinius ist die Person, die den deutlichsten Wandel vor den Augen des Lesers erlebt. Vom abgehalfterten, in Ungnade gefallenen Sprössling eines Adligen fällt er zunächst noch tiefer, wächst dann jedoch durch die Aufgabe, die ihm aufgenötigt wurde und die er schließlich sogar bewältigen will, als er erkennt, dass er längst in eine böse Angelegenheit gezogen wurde, deren Tragweite noch nicht absehbar ist. Er wirkt trotz seiner Derbheit von allen am menschlichsten und nachvollziehbarsten.

Vanice unterliegt gleichfalls einem Wandel in etwas, das sie gar nicht sein will. Zwar offenbart der Autor ihre Vergangenheit und deutet an, was auf sie zukommt, doch möchte man die Details an dieser Stelle nicht vorwegnehmen, da sie mit zu den interessantesten Entwicklungen gehören und für noch einige Überraschungen gut sein dürften.

Noch nicht umfassend geklärt sind die Rollen von Cay, der weißen Hexe Danje, der schwarze Hexe Aiona und einiger anderer, die teils Mykar aus unterschiedlichen Gründen unterstützen, teils auf der Seite von etwas stehen, das schlimmer ist als Skargat.

Der Roman ist flüssig und unterhaltsam geschrieben. Die Charaktere reden auffällig viel miteinander oder lassen den Leser an ihrem inneren Monolog teilhaben. Auf diese Weise wird nach und nach die Welt Ebera nebst ihrer Regeln erklärt und der Werdegang einiger Figuren geschildert. Vieles davon erscheint im ersten Moment überflüssig, die Handlung zu überfrachtet. Weniger wäre hier womöglich mehr gewesen, aber vielleicht wird der komplexe Hintergrund später noch von Bedeutung sein.

Nicht immer nachvollziehbar sind die Beweggründe von Mykars neuen Freunden, ihn zu begleiten. Für gewöhnlich erhalten die Helfershelfer den Auftrag dazu, sie haben persönliche Motive oder sind einfach überaus edelmütig. Hier sind es Mykars Geschichte und Cays Schicksal, wodurch sich erst Scara, später Justinius und Vanice veranlasst fühlen, sich für die beiden zu verwenden, obwohl die Chancen, Cay zu retten, annähernd null sind. Sie opfern ihre Zeit und Ressourcen, begeben sich in Gefahr – und die Frage nach dem Warum bleibt, denn dass es um die Abwendung einer immensen Bedrohung geht, erfahren sie erst am Schluss.

Trotzdem wirkt die Story keinen Moment langweilig oder gar undurchdacht, und man verfolgt interessiert, die Geschehnisse. Am Ende ahnt man, dass die Situation für die Protagonisten weiter und auf verschiedenen Ebenen eskalieren wird. Das Böse hat noch keinen Namen, und so wartet man nun gespannt auf die Fortsetzung.

„Der Pfad des schwarzen Lichts“ wendet sich an ein reiferes Publikum, das traditionelle (Dark) Fantasy mit einer Queste zur Vernichtung einer bitterböse Macht schätzt. Die Genre-Archetypen sind vorhanden, aber etwas modifiziert, sodass der strahlende Held (noch) fehlt. Der Autor schreibt unterhaltsam und versteht es, den Leser in die Handlung hineinzuziehen, doch sollte man Geschichten, die sich sehr langsam entwickeln und die viele Worte für Erklärungen brauchen, mögen.