Gaiman, Neil: Das Graveyard-Buch (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Donnerstag, 18. Juni 2009 01:00
Neil Gaiman
Das Graveyard-Buch
(The Graveyard Book, 2008)
Aus dem Englischen von Reinhard Tiffert
Arena, 2009, Hardcover, 310 Seiten, 16,95 EUR, ISBN 978-3-401-06356-0
Von Christel Scheja
Neil Gaiman ist vielen Genre-Fans durch seine mehrfach preisgekrönte Comic-Serie »Sandman« kein Unbekannter mehr. Schon damals bewies er, dass er sich wie kein anderer durch die Welten der Phantastik und der Mythen bewegen kann und ihnen dabei gleichzeitig immer noch neue Details und Variationen oder Aussagen abgewinnen kann.
Seit einigen Jahren schreibt er auch vermehrt Romane, von denen einer – »Der Sternenwanderer« – bereits verfilmt wurde, ein anderer – »Coraline« – als Animationsfilm in den Startlöchern steht. Das neueste Buch aus der Feder des 1960 geborenen und heute in den USA lebenden Briten ist »Das Graveyard-Buch«, mit dem er auf seine ganz eigene Art den momentanen Vorlieben der Leser Rechnung zollt.
Eines Nachts dringt ein Mann namens Jack in das Haus der unbescholtenen Familie Dorian ein und ermordet alle friedlich schlafenden Anwesenden bis auf den achtzehn Monate alten Sohn, der es mit mehr Glück als Verstand auf den Friedhof schafft, der direkt gegenüber auf der anderen Seite der Straße liegt.
Von da an bleibt er verschollen, und die Polizei legt ihn als nicht auffindbares Entführungsopfer ad acta. Was niemand weiß, ist, dass sich die Bewohner des Dorfes seiner angenommen haben. Während das geisterhafte Ehepaar Owens den kleinen Jungen versorgt, erklärt sich Silas, der eine Art Wächter des Friedhofs zu sein scheint, zu seinem Vormund. Er weiß genau, wer der Mörder der Familie ist und wie er ihn einzuschätzen hat und beschließt, das Kind, so gut er eben kann, zu beschützen – denn Jack könnte durchaus eines Tages wiederkehren.
Der Junge wird Nobody Owens, kurz ›Bod‹, getauft und wächst in einer Welt fernab der Lebenden auf. Für ihn ist es normal, mit Geistern zu sprechen, zu spielen und zu lernen, und er mag auch den bleichen, hochgewachsenen Silas, der die Sonne meidet wie die Pest. Nur der knurrigen Miss Lupescu mag er nicht richtig trauen, bis sie einmal beweist, dass sie sehr nett sein kann, dann aber auch eine wahre Beschützerin ist.
Er ergründet die Geheimnisse eines alten Hügelgrabes, in dem der schlangenhafte Wächter Sleer auf seinen Meister wartet und drei kostbare Artefakte hütet, lernt die freche Hexe Lisa kennen. Und zum ›Danse Macabre‹ mischen sich alle paar Jahre die Menschen unter die Toten – oder umgekehrt. Nach und nach lernt er auch richtige Menschen kennen – so wie ein Mädchen, das sich aus Versehen auf den Friedhof verirrt. Dann gestattet ihm Silas sogar, auf die Schule zu gehen.
Denn der geheimnisvolle Wächter weiß, dass er den Jungen nicht für alle Ewigkeit auf dem Friedhof verbergen kann und darf. Zum einen ist Bod ein lebender Mensch, der ein sterbliches Leben verdient hat, zum anderen muss er für die Zeit gewappnet sein, in der Silas vielleicht nicht mehr da ist … Und nicht zuletzt treiben die Feinde des Jungen immer noch ihr Unwesen.
Was ist das Besondere an Neil Gaimans Bücher? Es wird sicherlich jeder anders empfinden, aber dem Briten gelingt es wie keinem anderen, Kindheitserinnerungen mit Elementen aus klassischer Lektüre und den immer präsenten Mythen zu verbinden. Dabei erzeugt er mit wenigen Worten eine märchenhaft versponnene Atmosphäre, die aber trotzdem auch die Realität nicht leugnet. Er spielt mit den vertrauten Klischees um Werwölfe, Hexen und Geister – und immer dann, wenn man glaubt, ihn durchschaut zu haben, überrascht er mit einem Detail, das man so noch nicht gekannt hat. Wie immer nimmt er Bezug auf unterschiedliche literarische Quellen, die man umso leichter entdecken kann, je mehr man selbst gelesen hat. Alles in allem stellt der Autor aber die Geschichte in den Vordergrund. Schon junge Leser können ihren Spaß bei Bods Erlebnissen haben, mit ihm fiebern oder sich fürchten, wenn er das alte Hügelgrab erkundet, von dem kaum noch jemand etwas weiß, oder erfahren muss, dass er eigentlich nicht in einer realen Welt gelebt hat. Aber vor allem Erwachsene werden die sehnsuchtsvolle Wehmut der Geschichte nachvollziehen können, wenn sie zu ihrem Ende kommt, und die Magie, die Bods Kindheit umgeben hat, langsam zu verblassen beginnt – ähnlich wie die Geister.
Als besonderes Gimmick bietet der Arena Verlag den Band in einer stimmungsvoll gestalteten Metallbox an, was das Buch zu einem besonderen Geschenk für Alt und Jung macht. Inzwischen ist auch eine etwas billigere Ausgabe ohne die Metallumhüllung erschienen.
Alles in allem ist »Das Graveyard-Buch« mehr als nur eine Geschichte für Kinder. Neil Gaiman beweist wieder einmal, dass er ein begnadeter Erzähler ist, der junge wie alte Leser in seinen Bann schlagen und während der Lektüre verzaubern kann. Denn es fällt schwer, das Buch aus der Hand zu legen, wenn man erst einmal mit ihr begonnen hat.