Interviews

Im Gespräch mit: T. L. Huchu

T. L. Huchu ist ein schottischer Schriftsteller mit simbabwischen Wurzeln, dessen Kurzgeschichten in Publikationen wie „Lightspeed“, „Interzone“, „AfroSF“ und anderen erschienen sind. Er ist der Gewinner des Nommo Award für afrikanische SF/F und stand auf der Shortlist für den Caine Prize und den Grand Prix de L'Imaginaire. Zwischen seinen Romanprojekten übersetzt er Belletristik aus dem Shona ins Englische und umgekehrt.
Mit „Die Bibliothek von Edinburgh“ ist der erste Band seiner Edinburgh-Nights-Reihe kürzlich bei Penhaligon erschienen. Ende November wird der zweite Teil, „Das Hospital von Edinburgh“ aufgelegt.
Anlässlich seiner kurzen Lesereise im Oktober durch zwei süddeutsche Städte hatte unser Mitarbeiter Carsten Kuhr die Gelegenheit, ein kurzes Gespräch mit dem Autor zu führen.

 

(c) privat

Hallo Tendai. Warum hat es Dich aus dem warmen und sonnigen Simbabwe ins kalte, regnerische Schottland verschlagen?

Hallo. Zum einen ist Edinburgh einfach eine wunderbare Stadt. Ich erinnere mich gut daran, wie ich als junger Student das erste Mal aus der Waverley Station, dem Bahnhof von Edinburgh, kam und vor mir das Scott Monument auftauchte, da war ich regelrecht erschlagen. Zudem ist Schottland für Schriftsteller - und ich hatte damals schon den Plan, einmal zu publizieren - ein wirklich gutes Pflaster. Sir William Scott, Ian Rankin, J. K. Rowling haben hier ihre Karriere begonnen. Vielleicht liegt es an der Luft, kaum war ich in meiner neuen Heimat angekommen, wurden meine zu Papier gebrachten Zeilen immer besser.

In Deinem ersten phantastischen Roman, „Die Bibliothek von Edinburgh“, hast Du Dich für eine weibliche Erzählerin entscheiden - warum dies? Wäre nicht ein Junge als Protagonist für Dich einfacher gewesen?

Wenn Dir ein Plot einfällt, dann musst Du Dich als Autor dem so annähern, wie er sich präsentiert. Und die Geschichte um Ropa kam zu mir mit eben diesem Mädchen, fast eine junge Frau, als Erzählerin. Natürlich meinen Viele, dass es einfacher ist, über das eigene Geschlecht zuschreiben, doch ich war und bin umgeben von Frauen. Meine Mutter war eine starke Frau, alle Frauen in meinem Leben hatten ihr eigenes Wesen, ihren Charakter. Zudem finde ich, dass die Dinge, die uns antreiben, die uns umtreiben egal welches Geschlecht wir haben, immer dieselben sind. Wir alle möchten doch Erfolg, Glück, Status, eine Familie, Solidarität. Es ist der Ansatz, wie wir diese Ziele zu erreichen versuchen, die sich dann unterscheiden. Hätte ich im Buch zum Beispiel einen zwei Meter großen, muskelbepackten Mann als Protagonisten, dann wäre das Buch komplett anders. Die Art und Weise, wie dieser einen Konflikt angeht, wie er Lösungen sucht ist doch dann von der Art, wie Ropa die Sachen zu bewältigen sucht, ganz verschieden. Sie ist jung, unerfahren, unqualifiziert - ich wollte ganz bewusst einen Underdog, eine Erzählerin, die in jedem Konflikt fast zwangsläufig unterlegen ist, die sich überlegen muss, wie sie ihre Gegner austrickst, die nach anderen, ungewöhnlichen Lösungswegen sucht. Ropa ist 14 Jahre alt, und muss ihre Familie ernähren, muss arbeiten. Anders als in Europa, das ja nur einen ganz kleinen Teil der Welt darstellt, müssen Kinder in vielen Ländern mit 14 Jahren arbeiten. Unsere Klamotten werden von Kindern in Bangladesch genäht, die seltenen Erden von Kindern aus den Minen geschürft - wir in der westlichen, reichen Welt sind hier sehr privilegiert. Ich habe die Schule mit 14 verlassen, und dann ursprünglich Podologie gelernt. Als ich dann als Fußpfleger gearbeitet habe, waren meine Klienten, die mir ihre Lebensgeschichte erzählten - wir nennen sie nicht mehr Patienten - normalerweise deutlich älter, als ich. Insoweit konnte ich die Situation aus eigener Erfahrung ein wenig nachvollziehen, wie es ist, als sehr junger Mensch für die Ernährung der Familie verantwortlich zu sein. Darüberhinaus hat Ropa eine sehr markante, eigene Stimme und es hat mich gereizt, dieser eine Plattform zu geben. Zudem ist es für mich als Autor herausfordernd, außerhalb meiner eigenen Erfahrung zu schreiben, mich in andere Figuren hineinzuversetzen und mir vorzustellen, wie diese handeln, wie sie denken, was sie motiviert.

Du hast vorhin Deine Mutter erwähnt - war sie ein Vorbild für Ropas Großmutter?

Nicht wirklich. Meine Mutter starb 2017, ich vermisse sie immer noch. Gran nimmt mehr die Rolle einer Mentorin ein; Ropa befindet sich zwischen zwei Ratgebern, die sie jede auf ihre eigene Art prägen. Zum einen ihr Dozent, der ihr eigentlich schottische Magie beibringen sollte, aber dazu viel zu beschäftigt ist und ihre Oma, die ihr viel beibringen könnte. Nur, dass es eben ihre Großmutter ist, von der sie etwas lernen sollte. Und mal ehrlich, möchten wir bei der Oma in die Lehre gehen? Ropa hätte die Chance, bekommt immer wieder Hinweise darauf, wieviel ihre Großmutter weiß, wie versiert diese im Umgang mit der magischen Welt ist, lässt die Möglichkeiten, die sie hier hätte ihr Wissen zu erweitern aber sträflich liegen. In den nächsten Bänden wird dann immer deutlicher, dass Gran weit mehr weiß und kann, als man zunächst annimmt.

Mit der Mbira hast Du ein ganz eigenes afrikanisches Instrument als wesentliches Element in die Handlung inkludiert. Wie kamst Du darauf?

Im Roman dreht sich viel darum, mit den Toten zu kommunizieren. In meinem Kulturkreis, in den Überlieferungen der Sona aus der Zeit vor der Christianisierung, gibt es starke Überzeugungen, dass die Verblichenen einen starken Einfluss auf die Welt in der wir leben ausüben. Über die Trommeln und die Mbiras werden die Toten dann vom Medium eingeladen, mit ihnen zu kommunizieren. Die Mbira ist also ein Sona-Instrument, das stark spirituell behaftet ist und in entsprechenden Ritualen eingesetzt wurde und wird. Ropa stammt vielleicht in der zweiten , dritten Generation von nach Schottland immigrierten Vorfahren ab. So wuchs sie mit diesem Instrument auf, es begleitet sie seit früher Kindheit als spirituelles Hilfsmittel, für sie ist dies etwas ganz Selbstverständliches. Zudem ist die Mbira ein wirklich cooles Instrument.

Wie kamst Du auf die Idee, Deinen Plot rund um Nachrichten an und von den Toten aufzubauen?

Geld verbindet alles. Also ist es nur logisch, dass auch in einer Welt in der es Magie gibt, der Kontakt mit den Toten als Geschäft verstanden und genutzt wird. Im Buch nimmt die schottische Geschichte einen recht breiten Raum ein. Die Geister rekrutieren sich aus zwei Quellen - da sind natürlich zum einen die Toten, die ihren Nachfahren, ihren Freunden und Geliebten Dinge noch mitteilen möchten. Sei es, ein Geheimrezept für einen besonderen Kuchen, oder den Fundort von wichtigen Unterlagen, einen Rat oder eine Offenbarung. Zum ynderen bietet sich auch die Gelegenheit, mit der Vergangenheit direkt Kontakt aufzunehmen. Wäre es nicht toll, mit historischen Gestalten, insbesondere der Schottischen Aufklärung, Kontakt aufzunehmen, ihre Art des Denkens besser kennenzulernen, die uns bis heute prägt?

Als Hintergrund Deiner dystopischen Welt taucht eine Rebellion der Schotten gegen den herrschenden englischen König auf. Werden wir in den weiteren Bänden der Reihe hier noch mehr erfahren?

Ja, das ist eine der durchgängigen roten Fäden in den Büchern. Ich wollte ganz bewusst zu Beginn meine dystopische Welt nicht in einem Prolog vorstellen. Andere Verfasser erklären im Prolog ihre Welt, was passiert ist, damit diese zu der Bühne wird, auf der sie dann ihre aktuelle Handlung präsentieren. Ich entschied mich für einen anderen Ansatz. Ich erzählte meine Geschichte(n) aus der Sicht einer Vierzehnjährigen in einer Welt, in der sie schauen muss, wie sie und ihre Lieben überleben. Sie kümmert sich einen Dreck um die Geschichte, es gibt einfach wichtigere Dinge, die sie umtreibt. Ihre Umgebung ist das, was sie kennt, sie hat nie etwas anders kennengelernt. Im Rahmen ihrer magischen Studien wird Ropa dann nach und nach erfahren, was das große einschneidende Ereignis war, das die Welt so drastisch verändert hat. Ich wollte diese Offenbarungen als organischen Part des Plots nach und nach in diesen einfließen lassen, statt den Leser gleich zu Beginn mit Fakten zu erschlagen.

Lass uns einen kurzen Exkurs weg vom Buch machen. Was meist Du, wird Schottland das Vereinigte Königreich verlassen?

Oh, schwere Frage. Ich haben damals für die Separation gestimmt, aber Vieles hängt auch hier, wie eigentlich immer, mit der Geschichte zusammen. Im 17. Jahrhundert war Schottland das Armenhaus Europas. Es gab Hungersnöte, Aufstände, Not und Elend. Ich greife hier Einiges davon im zweiten Roman auf. Anfang der 1700er Jahre begann England damit, sein Empire aufzubauen. Schottland hatte seine eigene Monarchie, wobei beide Königshäuser eng miteinander verwandt waren. Charles ging dann nach London und wurde der König nicht nur von Schottland, sondern zugleich auch von England. Dies führte dazu, dass, als es zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Schottland und England kam, beide Parteien vom König verlangten, den Krieg zu finanzieren. Schottland nahm die englische Kolonisation als Vorbild für entsprechend eigene Versuche, sich als Kolonialmacht zu etablieren. Man versuchte Panama zu kolonialisieren, um sich unter anderem an den Transportgebühren für den Warenaustausch zwischen Nord- und Südamerika und gesund zu stoßen. Sie nahmen Kredite von ihren Bürgern auf, um ihre Schiffe auszurüsten, da der englische König den Engländern verboten hatte, die schottischen Bemühungen monetär zu unterstützen. Die Bürger Schottland finanzierten das Wagnis - und verloren alles. Malaria dezimierte die Truppen, man benötigte frisches Geld für eine zweite Expedition - mit ähnlich katastrophalem Ausgang. Die Spanier schmissen sie aus dem Land. Jetzt waren sie pleite, das Land lag am Boden. Der einzige Ausweg war eine Vereinigung mit England - England bezahlte die Schulden, dafür mussten sie 1707 ihr Parlament und ihre Unabhängigkeit aufgeben. Nun waren sie Teil der Kolonialmacht, verdienten am Sklavenhandel, Geld aus den Kolonien floss nach Schottland - daraus wurden dann die beeindruckenden Gebäude in den schottischen Städten finanziert. Diese Historie ist auch einer der Gründe, warum Großbritannien die EU verlasen hat. Das Empire war früher eine, nein für 300 Jahre die Weltmacht schlechthin. Und jetzt soll man sich in einer Gruppe mit anderen Staaten als gleichberechtigt einreihen und immer wieder Kompromisse eingehen? Schaut man sich die Länder heute an, so stellt man fest, dass England und Schottland Vieles trennt. Ich denke, die Unabhängigkeit würde Schottland die Chance auf Entwicklung geben, England kann dann noch mehr in die rechts-konservative Ecke rutschen.

Schaut man sich die internationale phantastische Buch-Szene an, so fällt sofort auf, dass neben den unterrepräsentierten Frauen kaum People of Color im Markt sind. Woran liegt dies Deiner Meinung nach? Hast Du selbst schon mit Diskriminierung im Verlagswesen Bekanntschaft gemacht?

Auch hier lohnt wieder die historische Sicht. Wir wissen, dass in den 50er bis weit in die 80er Jahre Frauen in der Phantastischen Literatur ausgegrenzt wurden. Alice B. Sheldon musste sich einen männlichen Namen zulegen (James Tiptree Jr.), um überhaupt veröffentlicht zu werden. Diskriminierung in der Verlagsszene ist also leider keine neue Entwicklung. Die Verleger präsentieren sich zwar sehr gerne als weltoffen und tolerant, ja als Vorkämpfer für Gleichberechtigung, doch die Wirklichkeit sieht leider anders aus. Es heißt immer, wenn die Story gut ist, wird sie veröffentlich, ganz egal welche Hautfarbe oder Geschlecht der Autor/die Autorin hat. Das ist - sorry für den Ausdruck - Bullshit!
Ich selbst habe das erlebt. Ich habe ein Manuskript an einen Verleger geschickt, wir dürfen hier nicht vergessen, dass die Verleger sich selbst als die liberalsten Vorkämpfer für Gleichberechtigung sehen, und dann kommt als Reaktion auf meine Einsendung: Wir lieben das Manuskript, toll geschrieben, klasse Ideen, sprachlich wunderbar formuliert, aber, wir haben schon einen schwarzen Autor unter Vertrag so dass wir das Buch leider nicht veröffentlichen können. Auf Twitter kann man bei dem Arthur-C.-Clarke-Award-Preisträger Tade Thompson exakt dieselbe Geschichte nachlesen, wie sie mir passiert ist. Tatsächlich höre ich dies von so gut wie jedem People of Color, es ist schlicht eine traurige Tatsache, dass wir heute, mehr denn je, in einer Buchwelt leben, in der Rassismus tagtägliche Übung ist. Die Verlage publizieren jedes Jahr jede Menge mittelmäßige Romane altbekannter Prägung. Wenn dann ein Manuskript kommt, das einen neuen, einen frischen Weg einschlägt, dann wird das abgelehnt. Jeder schmückt sich mit ein klein wenig Diversität; ja, wie haben T. L. Huchu publiziert, wie toll und progressiv wir doch sind - und dann klopfen sich alle selbst auf die Schulter... doch die Realität sieht anders aus. Gerade nimmt der öffentliche Druck, die Türen für Autoren aus anderen Kulturkreisen zu öffnen, ein wenig zu, doch das hätte auch schon vor 50 Jahren passieren könne, ja sollen. Und dann hört man unter der Hand: Die nehmen den Platz den guten weißen Autoren weg. Sie entgegnen bei Nachfragen dann so etwas wie: Wir machen keine Bücher von Minoritäten, weil die sich nicht verkaufen. Sie verkaufen sich nicht, weil sie nicht aufgelegt werden, weil keine Werbung dafür gemacht wird. Als Leser brauche ich keinen Autor, der aus demselben Kulturkreis stammt wie ich - ich brauche Bücher, die mich faszinieren, die frischen Wind ins Genre bringen. Und die Leser können natürlich nur das kaufen und lesen, was die Verlage auch herausbringen.

Was muss sich hier Deiner Meinung nach ändern -wo kann man anfangen?

Die Strukturen aufzubrechen ist ein sehr langsamer Prozess, der viel Zeit benötigen wird. Die Verlagsszene klopft sich ja selbst immer auf die Schulter, sagt, dass immer mehr Frauen in entscheidender Position arbeiten, dass diese dann vielleicht auch objektiver an die Auswahl von Manuskripten gehen. Letztlich ist es eine Frage der Macht und des Wollens. Entschieden wird immer von demjenigen, der das Geld hat. Wenn aber Autoren unterschiedlichster Herkunft am Markt beweisen, dass sich ihre Bücher verkaufen, dann geht die Tür einen weiteren Spalt auf.

Was kannst Du uns über Band 2 sagen?

Die Geschichte von Schottland, die Royal Bank von Schottland aber auch die Geschichte der Magie spielen eine noch größere Rolle. Kinder werden krank, die Hinweise führen tief in die verborgenen Geheimnisse der schottischen Magie. Der neue Fall für Ropa...

Ganz herzlichen Dank für das interessante Gespräch. Wir wünschen Dir für Deine Zukunft alles Gute!

Ich habe zu danken!