Interviews

Im Gespräch mit: Kevin Hearne

Anlässlich seiner Reise durch Deutschland, Österreich und der Schweiz konnte unser Mitarbeiter Carsten Kuhr den Beststeller-Autor Kevin Hearne („Die Chronik des Eisernen Druiden“) in Stuttgart interviewen. Nach einer etwas mühevollen Anreise aufgrund der Zustände auf den deutschen Flughäfen und bei der Deutschen Bahn präsentierte sich ihm ein gut gelaunter Kevin Hearne zum Gespräch.

 

Hallo Kevin. Ich habe gelesen, dass Sie Ken Keyseys „Einer flog über das Kuckucksnest“ als Inspiration und Vorbild ansehen. Warum ausgerechnet diesen Roman und nicht ein Genre-Titel?

Hallo erst mal. Ich freue mich natürlich, zum zweiten Mal in Ihrem schönen Land zu Gast zu sein.
Das Buch ist ja aus Sicht eines Ich-Erzählers geschrieben, der psychisch krank ist. Im Verlauf seiner Behandlung bessert sich der Zustand des Patienten und der Autor hat diesen Prozess auch stilistisch umgesetzt. Die verwandte Sprache des Erzählers spiegelt den Heilungsprozess wider, wird immer ausgefeilter und anspruchsvoller. Das hat mich tief beeindruckt, so dass ich mir dies als Vorbild für meine eigenen Romane nahm. Ich bemühe mich immer, all meinen Figuren eine eigene Ausdrucksweise zu geben, sie passend zu ihrem Background, ihrer Herkunft und ihres Bildungsstandes reden zu lassen.

Die Reihe um den Eisernen Druiden ist weltweit in den Bestseller-Listen - was spricht die Leser, egal aus welchem Kulturkreis sie kommen, so an den Büchern an?

Natürlich in allererster Linie Oberon, der Hund. Nein, ernsthaft, ich glaube, dass die Bücher auch deswegen überall so gut ankommen, weil man sie unabhängig von dem eigenen Glauben, der eigenen religiösen Ausrichtung lesen kann. Es geht um Glauben - Gottheiten spielen ja eine wesentliche Rolle - aber es geht mehr noch darum, dass ein Jeder, auch Götter, für seine Handlungen einstehen muss, und Atticus sorgt dafür, dass auch Götter für ihre Taten verantwortlich gemacht werden.

Was macht Kevin Hearne, wenn er nicht vor seiner Tastatur sitzt und sich für uns Leser neue Geschichten einfallen lässt? Im Netz lassen sich eine Menge Fotos finden.

Oh ja, ich liebe es mit meinem Fotoapparat und nur mit diesem auf die Jagd nach Tieren zu gehen. Hier finde ich Ruhe und Entspannung. Ich lebe ja in Kanada und beobachte da gerne die reichhaltige Vogelwelt. Im September besuche ich mein Mutter in Arizona wieder und werde mich dann wieder auf die Pirsch begeben und die vielen dort vorkommenden Tiere mit Sucher und Linse jagen - besonders die frei lebenden Wildpferde haben es mir da angetan.

Im Nachwort zum zweiten Al-Roman haben Sie berichtet, dass Sie zu Recherchezwecken gerne Australien besucht hätten - Covid-19 hat dies bedauerlicherweise verhindert. Ist das für Sie wichtig, einmal vor Ort gewesen zu sein?

Ja absolut! Für den 6. Atticus-Roman, der teilweise in Deutschland spielt, konnte ich noch nicht auf persönliche Erfahrungen zurückgreifen, aber in Band 8 flossen dann meine Eindrücke aus Berlin mit ein. Es ist einfach ganz anders, wenn ich persönlich vor Ort war, ich kann Details, Stimmungen und Eindrücke verarbeiten - all dies ist mit Google Maps leider nicht möglich. Also reise ich nach Möglichkeit viel, um Land und Leute kennenzulernen.

Gerade in der „Atticus“-Saga werden ja viele ganz unterschiedliche Glaubensrichtungen inkludiert. Christliche Überzeugungen, die Nordische Götterwelt, der Hinduismus, römische und griechische Gottheiten mischen sich ein - wo und wie recherchiert Kevin Hearne für diese Darstellungen?

Nun, die christliche Glaubenswelt ist bekannt, Römer und Griechen kennen wir aus dem Schulunterricht. Schwieriger war es da schon mit den Asen und Wanen. Glücklicherweise sind die alten nordischen Sagas alle im Internet umsonst abrufbar - diese habe ich mir einverleibt. Was den Hinduismus anbelangt hatte ich das Glück auf einem Flug neben einer indischen Frau zu sitzen, die die dann angesprochen habe, ob sie mir etwas über ihren Glauben erzählen könnte. Sie hat dann die entsprechenden Kapitel im Roman auch Korrektur gelesen.
Es ist immer schwierig über etwas zu schreiben, das man nicht kennt. Ich habe einmal eine Kurzgeschichte verfasst, die im S/M-Milieu spielt. Da ich hier auf keinerlei persönliche Erfahrung zurückgreifen konnte war ich froh, in meinem Leserkreis eine Domina zu finden, die mich hier zum Beispiel über das Aussehen eines entsprechenden Kerkers oder das Verhalten informiert hat. Ohne Quellen ist man als Autor hilflos, tragen doch Fakten immer zur inneren Glaubwürdigkeit des Textes bei.
Als Nächstes werde ich noch einmal nach Schottland reisen, um für den nächsten Al-Roman Lokalkolorit zu tanken; vielleicht ergibt sich auf dieser Lesereise durch die deutschsprachigen Länder aber auch ein Motiv, das mich fesselt und als Aufhänger für einen meiner zukünftigen Romane dient - wer weiß.

Was ist zuerst da - die Charaktere oder der Plot?

Immer die Figuren. Ohne die Charaktere, die die Handlung ja bestimmen, vorantreiben und entwickeln gäbe es keinen Plot.

Entwerfen Sie vor Beginn des Schreibprozesses ein ausgefeiltes Exposé?

Oh nein, nie. Ich lasse mich von der Muse leiten, wie es so schön heißt. Ich setze mich vor meine Tastatur und dann übernimmt die Imagination. Da ist vorher nichts durchgeplant, da verselbständigen sich die Figuren und übernehmen die Handlung, da komme ich plötzlich zu Abzweigungen, die ich nie angedacht hätte. Am Ende muss dann eben alles zusammenpassen und ich gehe noch einmal intensiv über den Text.

Oberon ist ja ein Liebling der Leser. Gibt es da ein reales Vorbild?

Ja, ich hatte zwei Hunde, die beide leider aufgrund ihres Alters während der Pandemie gestorben sind. Die beiden hatten sehr ausdrucksstarke Gesichter, ich wusste immer genau, was sie mir mitteilen wollten. Oberon verdankt seine Existenz sicherlich diesen beiden.

Ich fand den ersten Roman um den Siegelmagier Al wunderbar gelungen. Bei der Fortsetzung hatte ich ab der Mitte des Buches plötzlich und unerwartet den Eindruck, dass der Fokus von Al zu Atticus wechselte - warum?

Es stimmt, dass der Roman die Motive beider Reihen aufgriff und miteinander kombinierte. Ich wollte meinen Lesern zeigen, wie die beiden Protagonisten zusammen agieren können, zumal am Ende der Druiden-Bände doch Einiges um Atticus offen blieb, das jetzt beantwortet wurde.

Al ist ein alter Mensch, mit entsprechenden Wehwehchen. Ich kann mich sehr gut in ihn hineinversetzen; ist das etwas, das Ihnen leicht fällt: über einen alternden Charakter schreiben?

Nun, alte Helden gibt es die der Phantastik wenige. Hier schöpfe ich natürlich auch aus meiner eigenen Erfahrung, finde aber auch, dass gestandene Menschen, die auf ein Leben, das sie geprägt hat zurückblicken können, interessante Dinge zu erzählen haben. Dazu kommt, dass ein Jeder - eben auch Al - natürlich von seinem Erlebten geprägt wird, seine Erfahrungen in sein Handeln einfließen - das ist, denke ich, interessant.

Buck Foi, der Hobgoblin aus „Die Chronik des Siegelmagiers“, ist einer meiner Lieblingsfiguren – aber doch sicher auch bei vielen anderen Lesern?

Oh ja, die Reaktion meiner Leserinnen und Leser ist da ganz eindeutig. Sie lieben den kleinen, frechen Kerl. Er übernimmt in den Romanen ein wenig die Rolle, die bei der Hauptserie Oberon inne hatte. Nur, dass Oberon für mich als Autor eben doch in der Entwicklung limitiert war. Oberon wird immer Pudel-Damen hinterherschauen und sich für Würstchen begeistern. Buck Foi dagegen kann an den Erlebnissen und Auseinandersetzungen wachsen, in die er verwickelt wird, hat das Potential immer interessanter weil vielschichtiger zu werden.

Auf wieviele Bände sind die „Tinte & Siegel“-Romane denn ausgelegt?

Zunächst einmal habe ich mit dem Verlag drei Bände ausgemacht. Wenn die Leserinnen und Leser und der Verlag aber mehr wollen - ich hätte da noch so einige Ideen im Hinterkopf herumspuken, wie es wohl weitergehen könnte. Die Atticus-Romane waren ursprünglich auch nicht auf zehn (US-)Ausgaben ausgelegt. Als ich den ersten Roman einreichte, hatte ich mich bewusst für ein Ende entscheiden, auf das man aufsetzen konnte. Als der Roman dann ein Erfolg wurde, war es mir so möglich mühelos daran anknüpfen.
Gegenwärtig sitze ich an dem letzten, dritten Roman der „Fintans“-Sage (dt. bei Knaur), dann setze ich mich an den dritten „Tinte & Siegel“-Band.

Haben Sie ein bestimmtes Schreibritual, einen Ort, an dem die Kreativität besonders fließt?

Nein, anders als viele meiner Kollegen schreibe ich nicht von 9 bis 5 und ich habe auch keinen festen Arbeitsplatz. Es kann sein, dass ich einen Tag im Café schreibe, dann wieder zu Hause, einen Tag nur 1 bis 2 Stunden, dann wieder den ganzen Tag und wenn nötig auch die Nacht durch, das ist ganz unterschiedlich.

Vielen Dank für das Interview. Wir wünschen Ihnen für die Zukunft alles Gute und dass sie weiterhin solch unterhaltsame Bücher schreiben

Ich habe zu danken!