Interviews

Im Gespräch: David Falk und Timo Kümmel

Aus dem Stand heraus konnte David Falk mit seiner epischen Fantasy-Saga ATHANOR die Leser für sich gewinnen und hat seitdem einen festen Platz in den Regalen der Buchhandlungen und seiner zahlreichen Fans. Die vier Bände der Reihe erschienen erstmals im Piper Verlag und wurden mit Karten des Illustrators Timo Kümmel untermalt, der die Weichen stellte für eine opulente Hardcover-Neuauflage im Atlantis Verlag. Nach der Veröffentlichung des finalen Bandes und getaner Arbeit haben sich die beiden auf ein digitales Geplänkel zusammengesetzt und an dampfenden Teetassen vorbei Fragen zugeworfen...

TK: Deine Tetralogie um ATHANOR mauserte sich ohne eine große Marketingkampagne zu einem Publikumsliebling und auch kommerziellem Erfolg. Und das nicht nur zur Erstveröffentlichung bei Piper, sondern nun auch in der Neuauflage beim Atlantis Verlag. Wie hast du diese Entwicklung erlebt? Gab es auch Durststrecken und Phasen des Zweifels oder hat sich Athanor immer wacker und beharrlich durchgeschlagen?

DF: Bevor der erste Band bei Piper veröffentlicht wurde, konnte ich überhaupt nicht einschätzen, was sich daraus entwickeln würde. Ich hatte keine Tagträume davon, über Nacht auf der Bestsellerliste zu landen und bejubelt zu werden. Ehrlich gesagt, glaube ich auch, dass es gar nicht so erstrebenswert ist, eine solche Berühmtheit zu erlangen. Aber ich hatte natürlich gehofft, dass das Buch nicht sang- und klanglos untergeht, obwohl genau das so vielen Romanen passiert. ATHANOR hat mich dann gleich mehrfach überrascht. Ich war vor dem Erscheinungstermin nach Schweden geflüchtet, um das möglicherweise bevorstehende Desaster nur aus der Ferne verfolgen zu müssen. Stattdessen erhielt ich eine SMS mit der Nachricht, dass schon zwei Wochen nach dem Verkaufsstart eine zweite Auflage gedruckt wurde. Ich stand mitten im Wald und über mir krächzte ein Rabe in den Bäumen. Das war ein vollkommen surrealer Moment. Zwei völlig fremde Welten prallten aufeinander. Daheim entdeckte ich dann ohne Vorwarnung ATHANOR im Weltbildkatalog, in den es immer nur eine kleine Auswahl an Fantasyromanen schafft. Damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet, aber es hat ganz sicher zu den guten Verkaufszahlen beigetragen.
Dass sich Band 1 zum Longseller mauserte, in die dritte Auflage ging und die Reihe auch noch eine Hörbuchfassung bekam, übertraf dann endgültig alle meine Erwartungen. Obwohl die Zahlen mit den Jahren natürlich zurückgingen, war es hart, als der Verlag entschied, keine weiteren Auflagen mehr zu drucken. Ich habe Verständnis für solche kaufmännischen Entscheidungen, aber es kam mir dennoch so vor, als würde ATHANOR lebendig zu Grabe getragen. Da saß er nun in seiner Gruft, ein gezeichneter Veteran siegreicher Schlachten. So sollte er nicht enden müssen, aber ich hatte mit meinen neuen Romanen um die „Krieger des Nordens“ zu viel Arbeit um die Ohren, um mir ernsthafte Gedanken über eine Lösung zu machen. Das war eine Durststrecke, in der dann plötzlich, für mich wirklich wie aus dem Nichts, deine Anfrage in meinem Postfach auftauchte, ob ich mir ATHANOR bei Atlantis vorstellen könnte. Bis heute bin ich dir und Guido sehr dankbar dafür, dass ihr das möglich gemacht habt: Der alte Haudegen zieht in schimmernder neuer Rüstung wieder in den Kampf. Dass er sich dabei auch noch einer solchen Beliebtheit erfreut, habe ich absolut nicht erwartet.

Du hast mal gesagt, dass die ATHANOR-Reihe auch in deiner Karriere einen wichtigen Punkt markiert. Wie hast du das gemeint?

 

TK: Ich hatte mit Bleistift, Kreide, Kohle und Tusche gezeichnet, nach Aquarell- und Acryl- die Ölfarbe für mich entdeckt und während meines Kunststudiums nur noch naturalistische Selbstportraits in Überformaten gemalt.
Mit den ersten Schritten als freiberuflicher Illustrator kehrte ich all dem vor zwölf Jahren den Rücken zu. Ich sah für mich keine Möglichkeit, mit herkömmlichen Malmitteln einen Fuß in die Tür zu kriegen und setzte mich vor den Computer. Und die Jahre der Bildbearbeitung und Arbeit am Grafiktablett hinterließen ihre Spuren. Sie eröffneten mir ganz neue Möglichkeiten, um explizit und effizient für Druckerzeugnisse zu arbeiten, aber sie entfremdeten mich auch dem eigentlichen Wesen der Malerei und des Zeichnens.
Ich hatte vorher für ein paar andere Projekte schon hier und da Kleinigkeiten ähnlich erarbeitet, aber die Karten für deine ATHANOR-Reihe sind in ihrer Stringenz genau der Punkt, an dem ich mein Grafiktablett nicht mehr nur genutzt habe, um fotogestützt naturalistische Bilder digital zu malen, sondern wieder zur Zeichnung zurückgefunden habe. Und das hat sich unendlich gut angefühlt und war immens wichtig für mich, weil ich durch den Computer die Bindung dazu schlichtweg verloren hatte.
Heutzutage sind mir das meist die liebsten Aufträge - sozusagen das Beste beider Welten.

Da wir gerade bei Synergien und Verschmelzungen sind: Du bedienst dich des gewohnten Personals. Elfen, Drachen, Trolle, Orks … doch gewinnst diesem Ensemble in meinen Augen neue ungewohnte Facetten und Motivationen ab, z.B. auch durch die Einbindung und Konfrontation mit den Chimären. Siehst du dich in der Tradition großer Wegbereiter der High Fantasy und/oder versuchst diese derart neu zu denken?

DF: Beides (lacht). Die „Gründerväter“ der Fantasy – allen voran Tolkien – haben Welten entworfen und Werke geschaffen, die ich als Jugendlicher sehr gern gelesen habe und die mich natürlich geprägt und später auch zum eigenen Schreiben inspiriert haben. Deshalb wollte ich die Fantasy nicht komplett neu erfinden. Wäre es dann überhaupt noch Fantasy? Man darf nicht vergessen, dass die Fans und Leser des Genres gewisse Erwartungen haben. Wenn man als Autor mit zu vielen dieser Erwartungen bricht, macht man sich nicht viele Freunde. Trotzdem wäre es mir viel zu langweilig gewesen, mich auf die üblichen Völker und ihre Klischees zu beschränken. Nehmen wir als Beispiel die Zwerge: Dieses Volk ist mittlerweile so fest mit bestimmten Eigenschaften wie Sturheit, Bodenständigkeit oder Körperkraft verbunden, dass es ohne diese Merkmale nicht mehr stimmig wirkt. Lässt man sie alle weg, macht ein Zwerg als Figur keinen Spaß mehr. Er ist dann eher ein Gnom, ein Kobold oder was auch immer für ein Geselle, aber kein archetypischer Zwerg. Natürlich wollte ich trotzdem auch bei diesem Volk wenigstens ein paar eigene Akzente setzen. So stammen sie in Athanors Welt Ardaia in direkter Linie von den Trollen und Riesen ab, verdammen Magie, nur weil sie gar nicht merken, dass sie ähnlich magiebegabt sind wie Menschen, und proben den Aufstand, wenn sie im „falschen“ Jenseits landen.
Auf der Suche nach Wegen, um mich mit weniger „Altlasten“ kreativ auszutoben, bin ich rasch bei der griechischen Mythologie gelandet und habe deren Chimärenensemble um ein paar eigene Kreationen erweitert. Faune, Harpyien und Zentauren sind zwar auch nicht neu, bringen aber herrlich eigenwillige Akzente ein. Als Autor erfreut man sich ja manchmal an etwas seltsamen Dingen, aber es war wirklich witzig, ohne Schnabel jeden Buchstaben daraufhin abzuklopfen, ob ein Wesen mit Schnabel ihn wohl aussprechen kann. Sich ganz auf die Fremdartigkeit einer Kreatur einzulassen, gehört für mich zu den spannendsten Aspekten des Genres.

Wie sähe es denn aus, wenn ich dir beim Arbeiten über die Schulter schauen würde? Ich bin ja ziemlich oldschool und mache meine Notizen auf Papier, deshalb habe ich einen Illustrator auch mit Papier und Bleistift vor Augen. Gibt es das überhaupt noch?

TK: Das hoffe ich doch sehr! Ich selbst kritzele im Moment aber nur mal gelegentlich was vor mich hin, auch wenn die Pläne, mal wieder mehr in der Richtung zu machen, stets präsent sind.
Wie ich für gewöhnlich arbeite, hängt stark von dem ab, was ich darstellen möchte, also im Klartext, wie viel Fotomaterial als Grundlage mit einfließt. Dabei versuche ich nach Möglichkeiten, meine eigenen Fotos zu verwenden, auch wenn ich in den letzten Monaten immer mal wieder auf Material aus Bilddatenbanken zurückgreifen musste.
Meist bestehen meine Bilder aus einer wilden Collage etlicher Foto- und Strukturschnipsel, die ich dann „digital per Hand“ am Grafiktablett übermale.
Je höher der Phantastikgrad des Dargestellten desto mehr gemalt und selbst aufgebaut, je realer desto mehr Fototreue und Mediengestaltung.
Die Hintergründe der ATHANOR-Karten bestehen bspw. aus Fotostrukturen. 98% der eigentlichen und zeitaufwendigen Arbeit war das digitale Zeichnen all der kleinen Details.

Wie gestaltet sich denn deine Schreibpraxis, dein Aufbau bei einem mehrere Romane umfassenden Projekt? Entwirfst und planst du im Vorfeld alles bis ins Detail und fabulierst dem Skelett anschließend Fleisch auf die Knochen? Gibt es Raum für unerwartete Entwicklungen oder hast du immer die Zügel in der Hand?

DF: Am Anfang glaube ich immer, die Zügel in der Hand zu halten. Ich weiß gar nicht wieso. In der Praxis reißen mir die Figuren, die Geschichte oder das Testleserfeedback früher oder später IMMER selbige aus der Hand. Da kann ich mir vorher noch so fest vornehmen, dieses Mal alle härter an die Kandare zu nehmen. Jede Geschichte will auf eine bestimmte Art und Weise erzählt werden. Jede Figur wird irgendwann lebendig und tanzt aus der Reihe. Manchmal komme ich mir wie der Direktor in einem Flohzirkus vor. Aber das ist völlig okay. Ein gutes Beispiel ist Band 2, weil bei der Arbeit an ihm alle drei Varianten vorkamen. Wie immer hatte ich vorab ein Exposé geschrieben, also ein Handlungsgerüst, an dem ich mich zum gewünschten Ende entlanghangelte. Beim Schreiben beschlich mich jedoch allmählich das Gefühl, dass die Geschichte meine beiden Hauptfiguren in eine Richtung trieb, die sie unausstehlich werden ließ. Ich ignorierte die vage Ahnung, denn von der Geschichte selbst war ich überzeugt. Diese Ignoranz ließ mir mein kritischster Testleser aber nicht durchgehen. Sein verheerendes Feedback lautete sinngemäß: „O Mann, das ist ja der reinste Zickenkrieg!“ Und übermäßig spannend fand er die Story auch nicht, weil ihn der Dauerzwist der Hauptfiguren so nervte. Das muss man als Autor erst einmal verdauen. Nachdem ich eine Nacht darüber geschlafen hatte, wusste ich jedoch, dass er absolut richtig lag. Glücklicherweise kam mir sehr schnell die rettende Idee, wie ich die Figurenkonstellation mit einem kleinen Kniff verändern konnte, ohne den Rest der Geschichte verwerfen zu müssen. Trotzdem folgte danach ein enormer Kraftakt, denn ich musste zwei Drittel des Romans umschreiben und neue Szenen einfügen, ohne den bereits in den Verlagskatalogen verkündeten Erscheinungstermin zu gefährden. Obwohl es sehr anstrengend war und wieder einmal mein Zeitplan über den Haufen geworfen wurde, hat diese Umgestaltung den Roman auf ein viel höheres Niveau gehoben. Mehr Spannung, mehr Drama und spritzigere Dialoge.
In meinem Schreibprozess gibt es also zwei gegensätzliche Elemente: Auf der einen Seite betreibe ich umfangreichen Weltenbau, Vorausplanung und etliche Monate strenger Schreibdisziplin, aber auf der anderen Seite entwickelt sich vieles erst beim Schreiben, denn ich wäre doch dumm, an meinen ursprünglichen Ideen festzuhalten, wenn mir „unterwegs“ viel bessere Lösungen und coolere Wendungen einfallen.

Aber zurück zu dir: Ist die Arbeit am Computer/Tablett direkt vergleichbar mit dem Zeichnen von Hand oder fürchtest du, dass dabei Fähigkeiten verloren gehen könnten?

TK: Es gibt etliche Künstler, die wirklich digital malen, ihre Bilder von Grund auf so am Computer erarbeiten, wie sie es auch auf Papier oder einer Leinwand machen würden – und dann eben noch als Bonus haben, wie extrem simpel man am Computer alles manipulieren und neu komponieren kann, was mit „den alten“ Malmitteln niemals nicht möglich wäre.
Die ausgenommen würde ich sagen: Oh ja, in meinen Augen geht da verdammt viel verloren. Technik, Gefühl, Intensität – und am allerwichtigsten: Demut, Wertschätzung und Respekt!
Alles Handgemachte hat für mich von Natur aus eine höhere Wertigkeit gegenüber Computererzeugnissen, womit ich diese aber nicht schlecht machen oder diskreditieren möchte. Damit würde ich mir auch selbst einen Strick drehen ...
Beide Wege verlangen ihre individuellen Fertigkeiten und Entwicklungswege, sollten nach meinem Empfinden aber nicht miteinander verglichen werden oder konkurrieren müssen.
Fakt ist aber, dass computergenerierte Werke die Arbeiten mit herkömmlichen Malmitteln auf breiter Front aus dem Markt verdrängt haben, weil sie billiger, schneller, effektvoller und nahezu unendlich biegsam für Kundenwünsche sind. Ich sehe da gerade nur noch die letzte Bastion des Kinderbuchs und wenige Exoten, die sich behaupten können.
Sollte ich eine Prognose für die Zukunft formulieren, sähe die sehr düster aus …

Apropos düster, frei aus meiner Erinnerung schrieb Amanda Palmer in ihrem Buch „The Art of Asking“, dass Kunst ein Verschlüsselungssystem ist, Kreative in ihren Werken Themen behandeln, die sie unterschiedlich intensiv verschleiern. Amanda mit ihren (Song-)Texten also fast greifbar an realen Gegebenheiten bleibt, während ihr Mann Neil Gaiman in seinen Geschichten mit einer höheren Fiktionscodierung arbeitet.
Illustrationen sind natürlich eine andere Baustelle, weil ich Gedankengut anderer visualisiere. Arbeite ich allerdings an eigenen Bildern, stelle ich immer wieder fest, dass selbst unbewusste Entscheidungen am Ende Sinn ergeben und ich mit Platzhaltern und Bedeutungshüllen arbeite und sehr viel Privates hineininterpretieren könnte, wenn ich denn wollte.
Ich weiß um deine Naturverbundenheit, die ja auch ganz allgemein ihren Niederschlag in der Fantasyliteratur findet. Sind die fallenden Säulen der Natur und des Lebens, wie etwa „Das ewige Licht“ und die Bedrohung durch die Drachen und die Untoten als Preis für Machtgier, Raubbau und eine Kettenreaktion, die man in Gang gesetzt hat, aber nicht fähig ist, sie aufzuhalten, als Metapher für unsere Welt und unseren verzweifelten Kampf gegen den Klimawandel denkbar?
Oder erfreue ich mich da einfach an einer kleinen Parallelinterpretation?

DF: Wie du selbst andeutest, müssen wir zwischen bewusst und unbewusst verwendeten Metaphern unterscheiden. Athanor tritt uns im ersten Band als letzter Überlebender einer apokalyptischen Katastrophe entgegen. Ich hatte die Drachen dabei eher als Analogie zum Atomwaffenarsenal vor Augen, also als Massenvernichtungswaffen, mit denen sich die Menschheit selbst ausgelöscht hat. In dem Irrglauben, die Auswirkungen des Einsatzes kontrollieren zu können, haben ein paar wenige Machthaber eine fatale Entscheidung getroffen. Als Historiker begegnet man diesem Größenwahn, dieser Selbstüberschätzung von Anführern in der Geschichte immer wieder, und es ist leider nicht unwahrscheinlich, dass auch Atombomben irgendwann erneut zum Einsatz kommen werden, wenn wieder einmal eine Führungselite sich selbst oder ihre Chancen auf den Sieg überschätzt. Insofern habe ich Athanors Hintergrund bewusst so gestaltet, und die Untotenplage könnte man als Folge des Einsatzes dieser Massenvernichtungswaffen werten. Denn so wie ein Atomkrieg Verstrahlung und daraus resultierende Krankheiten nach sich ziehen würde, gäbe es auch in Athanors Welt keine Heere von (Un-)Toten, wenn nicht so viele Menschen im Drachenkrieg gestorben wären.
Trotzdem hast du auch das Naturthema richtig erkannt. Dass es ebenfalls enthalten ist, habe ich allerdings erst in den Folgebänden bemerkt. In diesem Fall unbewusst, entwickelte ich die Geschichte in eine Richtung, in der das Gleichgewicht zwischen Leben und Tod völlig aus der Balance geraten ist. Die Toten nehmen überhand und lösen noch mehr Sterben aus. Eine Spirale ist entstanden, die in die völlige Vernichtung allen Lebens führt. Obwohl einzelne Figuren das Problem erkannt haben, sind die meisten jedoch noch viel zu sehr mit sich selbst und ihren Egoismen beschäftigt, um den Kampf gegen den eigenen Untergang aufzunehmen. Dass Nationen - oder hier die verschiedenen Völker - Konkurrenzdenken und Zwistigkeiten überwinden müssen, um sich der übergeordneten Bedrohung entgegenstellen zu können, ist ein „uraltes“ Fantasymotiv, das sich als Parallele zum derzeitigen Weltgeschehen geradezu aufdrängt.
Da ich ein sehr politischer Mensch bin, wäre es aber auch ein Wunder, wenn es mein Unterbewusstsein nicht schaffen würde, die Eindrücke, die von außen auf mich einstürmen, in meine Geschichten zu packen. So ist mir selbst erst im Nachhinein aufgefallen, dass die Elfen mit Athanor und den Vertriebenen aus Dion genauso abweisend und erniedrigend bis feindselig umgehen, wie hier bei uns immer wieder mit Flüchtlingen umgegangen wird - bis hin zum gewalttätigen Angriff. Genau wie etliche Menschen hierzulande, haben die Elfen Vorurteile und Ängste und werden gerade mit ganz anderen ernsthaften Problemen konfrontiert, für die sie nun in den Fremden, den Flüchtlingen einen Sündenbock sehen. Erst beim Überarbeiten dieser Szenen habe ich bemerkt, wie nah sie am aktuellen Geschehen waren, und es hat mir dann auch Spaß gemacht, der realen Welt diesen Spiegel vorzuhalten.

Kommen dir denn die besten Ideen für Illustrationen schon beim Lesen oder spielst du eher herum und probierst verschiedene Dinge aus?

TK: Meistens, und so war es bei ATHANOR, funkt es sofort während der Lektüre und ich markiere mir direkt alle Textstellen, die mir Bilder eingeben. Eher selten muss ich erstmal in mich gehen und grübeln, was es denn werden soll.
Ich erinnere mich, dass ich Guido und dir, neben einer groben Erklärung zu meinen Plänen für die Titelbilder, schrieb, dass ich da in meinem stillen Kämmerlein erstmal rumprobieren und wir uns vielleicht auch noch was anderes überlegen müssten, aber was ich wollte, hatte ich klar vor Augen. Ich war mir nur nicht sicher, ob ich es auch gebacken bekommen würde.

Zieht es dich manchmal zurück nach Ardaia? Erscheinen Figuren mit neuen Geschichten vor deinem inneren Auge und wäre ein Wiedersehen für dich denkbar, oder ist das letzte Wort geschrieben?

DF: Wenn mich mein Leben bisher eines gelehrt hat, dann: Sag niemals nie! Nachdem ich Band 4 abgeschlossen hatte, waren diese Welt und Athanors Geschichte für mich auserzählt. Es hätte sich wie eine Wiederholung angefühlt, in Ardaia zu bleiben. Deshalb habe ich eine völlig eigenständige neue Reihe begonnen. Mittlerweile habe ich jedoch genügend Abstand und könnte mir für die Zukunft vorstellen, irgendwann nach Ardaia zurückzukehren. Vielleicht mit einem Aufstand der Chimären, die nur auf eine Gelegenheit warten, um ihren verbannten Schöpfer aus seinem Gefängnis am Sternenhimmel zu befreien.

Für die neue Ausgabe von ATHANOR hast du dich wieder intensiv mit der Reihe beschäftigt und auch alle Bände noch einmal gelesen. Was hat dir eigentlich am besten daran gefallen? Hast du eine Lieblingsfigur? Vielleicht eine, die sonst gar nicht so im Vordergrund steht?

TK: Mein größtes persönliches Vergnügen war es natürlich, die gesamte Gestaltung an mich reißen zu dürfen und alles unter Kontrolle zu haben, hehe … Im Ernst, das war mir wirklich ein Fest – vor allen Dingen eben auch, weil ich die Titelbilder wie die Karten gestalten konnte, bzw. die größtenteils digital so gemalt habe wie vor fünfundzwanzig Jahren meine ersten Tuschegrafiken. Diesen Brückenschlag und die Verschmelzung mit der Vergangenheit, habe ich als sehr heilsam und belebend empfunden.
Dank meiner meistens eher beängstigenden Vergesslichkeit konnte ich die Zweitlektüre deiner Tetralogie übrigens fast mit jungfräulichen Augen erleben und erneut gespannt mitfiebern. Dabei hat mich wieder maßlos fasziniert, wie sehr du mir den Atem mit den Bildern raubst, die du heraufbeschwörst. Genau wegen diesem Sense of Wonder schlägt mein Herz für die Phantastik. Für so was lebe ich!
Und ich liebe Orkzahn, den Haudrauf mit dem Herzen am rechten Fleck, seine geradlinigen, aber nie durch Falschheit verdorbenen Gedankengänge und die grundehrliche Freundschaft, die Athanor und er teilen.

Wie eben schon gesagt, bestaune ich deine cineastisch opulenten Panoramen, und wie du Monumente und phantastische Wunder deiner eigenen Welt inszenierst. Denkst du selbst derart bildhaft beim Schreiben oder bin ich einfach nur der wie bekloppt dankbare Boden auf den die Saat fällt?

DF: Ich bin sicher, dass Leser und Autor auf eine gewisse Art auf derselben Wellenlänge liegen müssen, damit der Funke überspringt. Deshalb haben wir alle Lieblingsautoren, während wir mit anderen nicht so viel anfangen können. Tatsächlich habe ich beim Schreiben aber auch Bilder vor meinen inneren Augen. Solange ich die Szene nicht wie einen Film vor mir sehe, kann ich nicht anfangen, sie zu beschreiben. Und es ist manchmal verdammt frustrierend, ständig zurückspulen zu müssen, weil ich nicht so schnell formulieren kann, wie die Geschehnisse vor mir ablaufen. Ganz zu schweigen vom Tippen! Da hilft auch kein Diktiergerät, denn ich würde in einer Kampfszene hektisches Zeug faseln wie ein irrer Sportreporter und müsste den Film beim Niederschreiben doch wieder in die Endlosschleife schicken, weil ich in der Eile so viele Details gar nicht erwähnen könnte. Bei den großen Panoramen halte ich mich dagegen eher zurück. Ich habe zwar ein Bild, aber ich versuche, es nicht ausufernd zu beschreiben, sondern nur genau die Bausteine, die die Fantasie des Lesers braucht, um aus seinen eigenen Erinnerungen die passende Szenerie entstehen zu lassen. Als Leser langweilt es mich, wenn ein Autor eine ganze Seite braucht, um mir ein Gebäude zu beschreiben, bevor die Story endlich weitergeht. Deshalb habe ich mir diesen anderen Ansatz angewöhnt. Man könnte sagen: Ich liefere eine grobe Skizze, eine Farbpalette und ein paar kleine Details, die andeuten, wie der Rest von der eigenen Vorstellungskraft auszumalen ist. Ob das funktioniert, weiß ich erst, wenn mir die Leser davon berichten. Auch deshalb sind die Testleser so wichtig für mich.

Gab es etwas, das dich bei der visuellen Umsetzung besonders herausgefordert hat? Etwas, woran du ein bisschen zu knabbern hattest, wie es sich darstellen lässt?

TK: Die Stilisierung ist da durchaus ein Problem, gerade wenn mich ein Bild so beeindruckt. Natürlich können meine Darstellungen von bspw. dem Ewigen Licht, Lykarons Turm oder ganz allgemein aller Elfenerzeugnisse nur extrem vereinfachte Sinnbilder sein. Aber das finde ich auch gut. Ich denke, gerade die Simplifizierung erlaubt den Lesern nach wie vor ein eigenes Bild gestalten zu können und meine kleinen Zeichnungen nur als Türöffner an der Hand zu haben, um die eigene Phantasie zu befördern.

In Bezug auf die Leser klopft bei mir aber direkt ein ganz anderer Gedanke an … Wir dürften uns einig sein, dass die Sozialen Medien nicht nur persönliches Vergnügen und Fluch, sondern auch eine viel zu lange grob fahrlässig unterschätzte Gefahr für die Gesellschaft und deren Manipulation darstellen. Auch wenn ich vieles nicht missen möchte, bewundere ich dich doch nicht wenig dafür, dass du dich dem so standhaft verweigerst. Neben deiner Page kann man dich eigentlich nur über die regen Leserunden zu deinen Romanen greifen. Vermisst du manchmal den weiteren Kontakt zu deinen Lesern und zur Phantastik-Szene?

DF: Meine Leser können doch jederzeit einen Kommentar auf meinem Blog posten oder mir eine eMail schreiben. Ich antworte sogar (lacht). Die Leserunden haben mir auch viel Spaß gemacht. Zu manchen Teilnehmern habe ich immer noch Kontakt. Ein Mal habe ich von einer Leserin eine Weihnachtskarte per Post bekommen, so ganz analog, das war eines meiner schönsten Weihnachtsgeschenke! Im Grunde sehe ich es so: Wem wirklich etwas daran liegt, mit mir Kontakt aufzunehmen, der hat dazu ganz einfache Möglichkeiten und tut es auch. Wer nur auf dem Laufenden bleiben möchte, was rund um meine Bücher passiert, abonniert eben meinen Blog. Ich wüsste gar nicht, was ich auf facebook, twitter und Co. darüber hinaus noch von mir geben sollte. Mich interessiert doch auch nicht, was meine Lieblingsautoren gefrühstückt haben, wie sie ihren Bart frisieren oder ob sie sich täglich über Trump aufregen. Die sollen schreiben! Also Bücher natürlich, keine facebook-Postings. Etwas anderes ist der Kontakt zu befreundeten Kollegen. Mit denen bin ich per eMail durchaus vernetzt und treffe sie auch gern persönlich. Ihren fb-, twitter- oder instagram-accounts zu folgen, ist dafür kein Ersatz, deshalb brauche ich das gar nicht.

Was mich noch interessieren würde: Als Autor habe ich immer mal Phasen, in denen ich an meiner Arbeit zweifle oder nicht weiterkomme, weil ich blockiert bin. Gibt es bei dir auch solche Momente?

TK: Was soll ich darauf antworten? Täglich, stündlich, minütlich – das trifft alles zu! Zweifel, Versagensängste und Unsicherheiten sind meine ständigen Begleiter. Soweit möglich versuche ich, deren positive Effekte mitzunehmen, also dass ich mich dadurch hinterfrage und danach strebe, mich zu entwickeln und dazu zu lernen. Sie also auch nicht nur in Bezug zu meiner Arbeit, sondern meinem ganzen Leben zu setzen und entsprechend nach Balance und Ausgleich zu suchen, damit die Dinge wieder fließen können.
Natürlich will auch ich im ersten Affekt mit dem Kopf durch die Wand, wenn es mal wieder nicht läuft und ich nur Bockmist fabriziere, aber nichts schafft mehr Klarheit und sortiert die Karten neu, als das Oberstübchen zu entlüften und bewusst die Distanz zu suchen. Abschalten, zur Ruhe kommen, rausgehen in die Natur oder ein Gespräch mit verständnisvollen Menschen bringt unendlich viel mehr, als sich an den Schreibtisch gekettet in den Wahnsinn zu treiben und selbst zu geißeln ...

Wie gehst Du mit diesen Momenten um? Hast du Techniken entwickelt, die dir helfen, wieder zu dir und in den Fluss zu finden?

DF: Ein gewisses Maß an Selbstzweifeln ist für Autoren wohl normal und eigentlich gesund, denn wer sich für ein unfehlbares Genie hält, dürfte eher das Gegenteil davon sein. Wie sehr mich Zweifel blockieren und was dagegen hilft, kommt darauf an, worum es sich handelt. Bei einer Sinnkrise, in der ich mich frage, warum ich überhaupt schreibe, obwohl das so anstrengend und langwierig und finanziell oft nicht gerade vorteilhaft ist, muss ich andere Geschütze auffahren als bei einer Schreibblockade, die im Text selbst begründet liegt. Wenn ich mit einer Szene einfach nicht vorankomme, nicht richtig hineinfinde, obwohl im Exposé ziemlich genau steht, was ich schreiben wollte, dann stimmt fast immer was am Exposé nicht. Ganz oft wählt man beim Planen die erste Lösung, die einem einfällt. Meistens ist es das, was ich „die konventionelle Lösung“ nenne. Sie fällt mir nämlich – ganz unbewusst - deshalb als erste ein, weil sie bereits in vielen Büchern und Filmen verwendet wurde. Dadurch fühlt sie sich gut und vertraut an. Es ist auch gar nicht nötig, auf Teufel komm raus immer eine unkonventionelle Lösung zu verwenden, denn auch das wäre ermüdend und würde erzwungen wirken. Auf die Mischung kommt es an. Daher sind solche Schreibblockaden bei mir ganz oft nur ein Anpfiff meines inneren Lektors, der mich vom eingeschlagenen Weg schubst, damit ich die Sache noch einmal aus einer anderen Perspektive betrachte. Und zwar so lange, bis ich den richtigen Dreh gefunden habe. Im übelsten Fall dauert das zwei, drei Tage, in denen ich aber keineswegs grüble. Grübeln macht alles schlimmer. Genau wie du gehe ich dann raus in die Natur und lasse mir den Wind um die Nase wehen. Ich beschäftige mich entweder mit Dingen, die überhaupt nichts mit dem Schreiben zu tun haben, oder bespreche das Problem mit jemandem, der vielleicht eine neue Sichtweise einbringt, auf die ich selbst nicht gekommen wäre. Irgendwann springt mich die richtige Lösung förmlich von der Seite an. Dann klappt es mit dem Schreiben auch wieder, als wäre nie etwas gewesen.

Das hat Spaß gemacht. Noch 'n Tee?

David Falk und Timo Kümmel
im Februar 2021


DAVID FALK (*1972) fand vom Studium der Geschichte über den Umweg der Computerspielsucht zum Schreiben von epischen Fantasy-Romanen. Als Historiker folgt er den Spuren unserer Ahnen durch Europa und lässt sich davon zu ausgefeilten Fantasy-Welten inspirieren.
Aktuell taucht er mit der Reihe „Krieger des Nordens“ ein in die römisch-germanische Vorstellungswelt, um daraus seine eigenen Mythen und Helden zu schöpfen.
Aktuelles zu seinen Romanen gibt es hier.

TIMO KÜMMEL (*1980) erlag von Kindesbeinen an der Sehnsucht nach anderen Welten und seiner Liebe zur phantastischen Literatur. Er absolvierte die Fachoberschule Gestaltung, eine schulische Ausbildung zum Holzbildhauer und studierte zwei Jahre lang Freie Malerei und Grafik, bevor er sich als freiberuflicher Künstler und Illustrator selbständig machte. Zahlreiche Buchcover und Illustrationen entstammen seiner Schmiede und irrlichtern durch das ganze Spektrum der Phantastik.
Mehr über den Künstler und stets aktuelle Informationen zu seinen Projekten und Veröffentlichungen finden sich hier.


Für alle Fans und eBook-Leser stellen wir die Karten, die in den Hardcovern als kolorierte Vorsatzblätter enthalten sind, kostenlos für den Ausdruck oder auch als Wallpaper zur Verfügung.
Sie finden sich auf der Verlagsseite hier.

Hinweis: Eine etwas kürzere Version der Plauderei wurde im Magazin "phantastisch!" abgedruckt.