Interviews
Im Gespräch mit: Thomas Braatz
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- Kategorie: Interviews
- Veröffentlicht: Samstag, 06. Februar 2021 16:19
Man kennt Thomas Braatz als engagierten Vorsitzenden vom Freundeskreis Science Fiction Leipzig, der unter anderem alle zwei Jahre des ElsterCon in Leipzig ausrichtet. Daneben ist er einer der Köpfe hinter dem Verlag Braatz & Mayrhofer, in dem nicht nur zu unrecht vergessene Fantasy-Romane Sir Henry Rider Haggards erscheinen, sondern der sich auch des literarischen Nachlasses von Robert Kraft annimmt. Neben Symposien legt die Edition in unregelmäßigen Abständen Werke Krafts in hochwertigen Hardcover-Ausgaben auf. Grund genug für unseren Mitarbeiter Carsten Kuhr, einmal das Gespräch mit ihm zu suchen.
Hallo Thomas. Macht es noch Spaß nach über 30 Jahren in der Leitung des Vereins tätig zu sein und dafür zu sorgen, dass Leipzig immer wieder interessante Gäste zu Lesungen und Foren empfangen kann?
Hallo Carsten. Als ich die Vereinsführung 1990 übernahm wollte ich einfach nur, dass die monatlichen SF-Treffen weiter stattfinden. Damals waren wir noch am Kulturbund angebunden und kein eingetragener Verein. Wir waren der Freundeskreis SF Leipzig. An einen ElsterCon war noch nicht zu denken.
Es macht immer noch Spaß, Veranstaltungen zu organisieren und insbesondere mit interessanten Gästen ins Gespräch zu kommen. Das fehlt mir in Zeiten der Pandemie. Die Organisierung von Monatsveranstaltungen ist schwieriger geworden, da wir diese nur noch aus dem Vereinsvermögen bezahlen können. Wir bekommen dafür seit einigen Jahren keine Förderung mehr.
Ein ElsterCon zu organisieren ist eine ganz andere Nummer. Hier ist man einem starken Gefühlswechsel ausgeliefert. Mit Näherkommen des Termins steigen häufig der Frustrationsgrad und die Aufregung. Das hängt unter anderem mit den späten Ab- oder Zusagen der Förderanträge oder der Absage von Autoren zusammen. Die Organisation selber muss auf mehrere Schultern verteilt werden. Das klappte beim letzten Con sehr gut, deshalb wird es einen weiteren Con geben.
Wie gelingt es euch, anders als die anderen deutschen Con-Veranstalter, alle zwei Jahre internationale Top-Autoren nach Leipzig zu locken?
Das ist eine Frage, die man dem gesamten Organisationsteam stellen sollte. Dirk Berger ist in der Regel für die internationalen Autoren zuständig, da er mit der englischsprachigen Szene gut vernetzt ist. Die Vorschläge der andern Team-Mitglieder überraschen mich häufig positiv. Schwierig sind die Kontaktaufnahme und die Überzeugungsarbeit. Uns hilft natürlich die Präsenz auf anderen Cons und die finanzielle Unterstützung durch die Stadt Leipzig und den Freistaat Sachsen.
Daneben gibt es ja, soweit ich Südgewächs informiert bin, auch noch einen monatlichen Stammtisch, zu dem ihr immer wieder interessante Vortragende ladet - ist Leipzig die SF-Hochburg Deutschlands, und wie viel ruht da auf deinen Schultern?
Wir führen monatliche Veranstaltungen durch. Im Durchschnitt sind es sechs Veranstaltungen im Jahr. Die anderen Treffen sind allgemeine Vereinstreffen oder sogenannte Grill-Partys. Tatsächlich kümmert sich in der Regel Manfred Orlowski um die Termine, die Absprachen mit den Autoren und die Übernachtungen. Ich habe einen Teil der Aufgabe auf Manfreds und Mario Frankes Schultern abgewälzt. Mario macht die Einladungen, das sogenannte Infoblatt. Ich achte auf die Finanzierung, die Auswahl der Autoren und den Internetauftritt. Eine SF-Hochburg sind wir deshalb nicht. Andere Vereine sind in Bezug auf die Veröffentlichung von SF-Texten und Sekundärtexten zur SF viel aktiver. Der ElsterCon ist sicherlich eine der Anlaufstellen für SF-Autoren. Einen großen Respekt habe ich vor der Leistung des SF-Gruppe Wien, die gibt es seit 1955 und sie unternehmen immer noch viel gemeinsam.
Letztes Jahr habt ihr trotz Corona den Con, allerdings ohne die ausländischen Ehrengäste, durchgeführt. Wie war das, eine Nummer kleiner und mit Sicherheitsabstand? War es auch im Nachhinein die richtige Entscheidung, den Con nicht abzusagen?
Das war eine großartige Veranstaltung. Noch nie war ein ElsterCon so emotional. Das Thema „Fahrenheit 145 - Erde im Fieber“ stand im Zeichen des Klimawandels und die Corona-Verbreitung ist mit Sicherheit ein Ergebnis des Eingriffs des Menschen in die Natur. Es war die richtige Entscheidung und glücklicherweise der richtige Zeitpunkt.
Wir haben alle Besucher zugelassen, d. h. der Con war nicht kleiner als die vorhergehenden Cons. Der Organisationsaufwand war größer (Abstand, Hygiene…). Ich kann mich nur noch einmal ganz herzlich bei meiner Familie, den Vereinsmitgliedern und den vielen anderen fleißigen Helfern bedanken. Wenn man bedenkt wie sich das Jahr weiterentwickelt hat, wäre eine Verschiebung in den Oktober katastrophal gewesen. Ich glaube, dass es im Jahr 2021 bis zum Herbst schwierig sein wird derartige Veranstaltungen zu organisieren. Der nächste ElsterCon findet turnusmäßig 2022 statt.
Kommen wir zu Deinem zweiten großen Hobby. Robert Kraft liegt Dir am Herzen. Zusammen mit dem Wiener Sammler und Verleger Walter Mayrhofer hast Du schon vor Jahren die Edition gestartet, in der ihr die Werke Krafts in bibliophilen Ausgaben auflegt und vor dem Vergessen bewahren wollt. Wie kamst Du persönlich zu Kraft, was fasziniert Dich an ihm?
Robert Kraft entdeckte ich kurz nach der Wende. Ein Mitglied unseres Vereins machte mich auf diesen Leipziger Schriftsteller aufmerksam. Warum hatte ich diesen Namen noch nie gehört, warum war er den örtlichen Antiquariaten unbekannt? Das weckte meine Neugier. Ich traf Gleichgesinnte, für die Kraft der Lieblingsautor war, den SF-Sammler Heinz-Jürgen Ehrig, dann Walter Henle und Walter Mayrhofer. Mit letzterem gründete ich die Edition, um den Autor zu reanimieren.
Es ist schwer zu erklären, warum einem ein Autor gefällt. Mich begeistern seine Ideen, deren Umsetzung und sein abenteuerlicher Lebensweg. Erst mit dem Buch „Robert Kraft - Avanturier und Selbstsucher“ von Arnulf Meifert begriff ich, das Kraft im Literaturkanon ein angemessener Platz gebührt, wie Meifert ihn fordert, nach jahrelanger Verdrängung und Nichtanerkennung.
Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Walter Mayrhofer?
Walter hatte unabhängig von mir bereits einige Kraft-Nachdrucke Ende der 80er/Anfang der 90er herausgebracht und im kleinen Sammlerkreis vertrieben. Ich denke, wir kamen mit dem Erscheinen der 1. Auflage der Kraft-Bibliographie Ende der 90er Jahre zusammen. Ohne Ihn wäre die Edition nicht entstanden. Er schrieb die Texte ab und schuf damit die Grundlage für den Start im Jahr 2000. Wir schrieben uns viel per eMail. Ich konvertierte die Texte. Er las Korrektur und dann ging es zur Druckerei. Die Kommunikation findet immer noch statt, in der Regel chatten wir alle zwei Wochen.
Es ist ja eine traurige Tatsache, dass die Leser und Sammler langsam wegsterben. Dies hat zur Folge, dass zum einen Sammlungen oftmals von den Erben, auch weil sie nicht wissen, was für Schätze die alten zerfletterten Kladden sind, in der Tonne landen, aber auch, dass der Interessentenkreis für eure Arbeiten schrumpft. Wie siehst Du das? Merkst Du ein zahlenmäßiges Nachlassen der Interessenten? Bekommst Du Material angeboten?
Tatsächlich ist es ein Problem, wenn ein Sammler stirbt. Für mich ist besonders schmerzhaft, wenn dabei seltene Kraft-Ausgaben oder Ausgaben die ich noch nicht besitze verloren gehen. Ende der 90er Jahre besuchte ich viele Sammler und erfasste deren Kraft-Sammlung, insbesondere die Titelbilder und seltene Ausgaben. Als Günter Kosch starb, erfuhr ich das zu spät. Allerdings konnte ich den früheren Teil seiner Sammlung, er hatte diese an das Literaturarchiv in Marbach verkauft, aufnehmen. Sehr gut funktionierte es mit den Erben von Walter Henle und Arnold Tokstein. Ihnen bin ich sehr dankbar für die freundliche Unterstützung. Zum Anfang betrug unsere Auflage 120 Exemplare. Mittlerweile ist sie auf 100 gesunken. Tatsächlich bekomme ich Angebote von anderen Sammlern und Händlern. So erhielt ich Material von Dr. Schegk oder etwas aus dem Greschat-Nachlass. Eine der spannendsten Geschichten war die Kontaktaufnahme zu der Enkelin von Robert Kraft, Vilda. Sie zufällig genau 30 Jahre älter ist als ich und lebt im Norden.
Es geht ja auch unheimliches Wissen und oftmals Material verloren - wie kann man das Interesse an solchen Autoren wie Kraft und Haggard wecken, wie neue Leser an diese heranführen?
Das ist eine schwierige Sache. Wir waren uns einig, dass es keinen Sinn macht, die großen Romane von Kraft zu publizieren. Schon das Abschreiben wäre eine Mammutaufgabe. Wir suchten uns die Texte raus, an die ein Sammler nur sehr schwer herankommt oder die sehr teuer waren (Zeitungsromane, Schreibmaschinenabschrift von Greschat und so weiter). Mehrwert ist die aufwändige Gestaltung, die Titelprägung seit Band 13, die Farbabbildungen und die umfangreichen Nachwörter von Franziska Meifert.
Bei Haggard handelt es sich zum großen Teil um deutsche Erstveröffentlichungen. Zusätzlich veröffentlichen wir Sekundärmaterial oder organisieren Robert-Kraft-Symposien. Damit erreichen wir auch neue Leser. Ich unterstütze Studierende, die ihre Masterarbeiten schreiben und Material benötigen.
Wirst Du als Fachmann da von den alten Fans oder ihren Erben kontaktiert, oder wie läuft das?
In der Regel nehme ich schon zu Lebzeiten den Kontakt auf. Allerdings spreche ich darüber mit dem Sammler direkt. Arnold Tokstein habe ich ein paar Jahre vor seinem Tod besucht und ein ausführliches Interview mit ihm geführt. Da sagte er mir, ich müsste später seine Tochter kontaktieren. Bei Walter Henle war eine Kontaktaufnahme sehr schwierig, da er später im Krankenhaus lag und seine Frau ebenfalls krank war. Ich erreichte, nach intensiver Recherche, einen seiner Söhne telefonisch. Einen Teil des Nachlasses von Rudolf Beissel besaß Siegfried Augustin, der wurde mir von einem Antiquar angeboten. Er erzählte mir, dass die komplette Sammlung nur durch einen Zufall gerettet werden konnte. Die Erben wollten das Haus leerräumen lassen und verkaufen. An den Büchern hatten sie wohl kein Interesse. Der Nachlassverwalter kontaktierte glücklicherweise den Antiquar.
Gibt es da Stellen, die sich um so etwas kümmern, oder liegt es immer wieder bei engagierten Fans sich gegen das Vergessen zu stemmen?
Es gibt wohl verschiedene Möglichkeiten, die eigene Sammlung der nächsten Generation zu übergeben. Leider wird man kaum einen Sammler finden, der eine komplette Sammlung übernimmt. In der Regel hat man die meisten Bücher und sucht nur noch etwas Spezielles. Ich suche zum Beispiel Sekundärmaterial (Briefverkehr der Sammler mit dem Karl-May-Verlag oder Briefverkehr untereinander). Öffentliche Stellen wären die Phantastische Bibliothek in Wetzlar, das schon erwähnte Deutsche Literaturarchiv in Marbach, Universitätsbibliotheken, Stadtarchive und das Zeitgeschichtliche Forum Leipzig. Problematisch ist, dass man nicht weiß, wie die Zugangsbedingungen sind und ob sich jemand um die Sammlung kümmern wird (Erschließung, Verwertung). Ich denke da an die Sammlung Bleymehl, die glücklicherweise von einer Uni zur Phantastischen Bibliothek Wetzlar kam. Ein Veranstaltungspunkt auf einem Bärcon hatte den Titel „Geht die Sammlung mit ins Grab“. Heinz-Jürgen Ehrig, der mit diskutierte, schrieb „1991 beim Bärcon hatten wir eine Diskussion, ob die Sammlung mit ins Grab kommt. Das Ergebnis der Diskussion war, dass es ideal wäre, wenn die Phantastische Bibliothek Wetzlar einen Bestandskatalog hä̈tte. Dann könnte ich aus meiner Sammlung vielleicht 5 Prozent rausnehmen, um deren Lücken zu stopfen, und die verbleibenden 95 Prozent verkauft man. Dann hätte der Erbe noch was, und Wetzlar wäre ein ganzes Stück weiter bei der Vollständigkeit.“ Nun, das Ergebnis kennen wir. Ehrlicherweise muss man sagen, dass die Bibliothek aus allen Nähten platzt. Sie hat mit dem Jules-Verne-Nachlass von Wolfgang Thadewald die nächsten Jahre zu tun.
Tatsächlich sind die Fans die aktiven Treiber, wenn es um die Veröffentlichung von Texten geht (siehe das Projekt Walter Kabel). Für einen Verlag ist das finanziell nicht abbildbar, wenn er damit seine Brötchen verdienen muss. Ich habe schon viele Kleinverlage gesehen, die nach der Veröffentlichung von ein paar Bänden ihrer Lieblingsautoren wieder verschwunden sind.
Was plant ihr für die nächste Zukunft? Welche Veröffentlichungen sind spruchreif? Wird es neben Kraft auch mit Haggard weitergehen? Walter, der hier die treibende Kraft ist, ist ja leider erkrankt.
Im März wird der 16. Robert-Kraft-Band mit dem Titel „Die Arbeiten des Herkules - Erzählungen - Ephemera“ erscheinen. Damit wurden alle kurzen Texte von Kraft in der Edition veröffentlicht. Erstmalig wird man die Handschrift von Kraft sehen. Es folgen Zeitungsromane und Einzelbände. Der Band 17 enthält die Romane „Die Schatzkammer Pharaos“ und „Das Schwert des Damokles“ und Band 18 „Ein geheimnisvolles Rätsel“ und „Das Glück von Robin Hood“. Für die weiteren Bände werde ich demnächst eine Umfrage unter den Käufern starten. Weitere einbändige Romane sind geplant und der Abdruck des unvollständig vorliegenden Textes von „Vier Frauen und nur ein Mann“. Wir benötigen freiwillige Helfer, die Texte abschreiben („Novacassas Abenteuer“, „Das Hohelied der Liebe“, „Der Graf von Saint Germain“, „Die Nihilit-Expediton“, „Wenn ich König wäre“ und „Die Rätsel von Garden Hall“). Dieses Abschreiben ist wichtig, unabhängig davon, ob wir den Text in der Edition veröffentlichen. Man benötigt den Text in elektronischer Form für eine bessere und leichtere Forschung.
Die Haggard-Ausgabe geht weiter, solange Walter sich darum kümmern kann. Ich erstelle lediglich das Layout, platziere die Bilder und kümmere mich um den Versand in Deutschland. Ende Januar erhielt ich die erfreuliche Nachricht von Walter, dass der Übersetzer Hans-Joachim Ludwig nach „Der roten Eve“ mit „Smith und die Pharaonen“ weitermachen wird. Das Original enthielt weitere Geschichten, die wohl noch nicht veröffentlicht wurden. Du siehst, es geht weiter.
Vielen Dank, dass Du uns Rede und Antwort gestanden bist. Wir wünschen Dir und euren Projekten für die Zukunft alles Gute!