Ann-Kathrin Karschnick: Phoenix – Tochter der Asche (Buch)

Ann-Kathrin Karschnick
Phoenix – Tochter der Asche
Titelillustration von Timo Kümmel
Papierverzierer, 2013, Paperback mit Klappenbroschur, 394 Seiten, 14,95 EUR, ISBN 978-3-944544-50-2 (auch als eBook erhältlich)

Von Carsten Kuhr

Man schrieb den 25. Mai 1913. Ein Experiment mit einer metaphysischen Maschine misslang – und ein Drittel aller Einwohner Europas starb. Der Rest wurde verstrahlt, und nur dem Eingreifen der Saiwalo, überirdischer Wesen, die erst durch die Strahlung in Verbindung mit unserer Realität treten konnten, retteten die Überlebenden. Kriege gegen Amerika schlossen sich an, bevor unter der sanften aber strengen Hand der Saiwalo Ruhe und Frieden in Europa einkehrte. Überall auf dem Kontinent sprach man deutsch, die Mitglieder der Kontinentalarmee sorgten dafür, dass Verbrechen kaum mehr vorkamen und wenn dann schnell und effizient geahndet wurden.

Den Preis für das Überleben zahlten alle. Die normalen Menschen mit dem Verlust ihrer Freiheit und ihrer Träume, die sogenannten Seelenlosen, Menschen, die nach ihrem natürlichen Tot wieder erwachen und mit besonderen Kräften ausgestattet sind, mit ihren Kräften, die die Saiwalo ihnen brutal und mitleidlos entreißen.

Tavi, oder eigentlich Claudia, lebt seit mehreren tausend Jahren als Phoenix. Mit ihren Schwingen erhebt sie sich in die Luft, kann fliegen und hat ihr Leben der Rettung Unschuldiger aus dem Feuer gewidmet. Bis sie eine rätselhafte Mordserie in der Stadt, die ihr gerade Unterschlupf bietet, aufschreckt. Acht Morde werden mitten in Hamburg verübt, Verbrechen, die auch den ermittelnden Leon vor Rätsel stellen. Zunächst vermutet der Angehörige der Kontinentalarmee Tavi als Schuldige, doch dann muss er sich eines Besseren besinnen. Die unfreiwillige Zusammenarbeit mit der Phoenix bringt ihn, der nur an seine Karriere dachte und den Vorgaben der Saiwalo blind vertraute, zum Nachdenken; zumal er, ganz gegen seinen Willen, von der Seelenlosen fasziniert ist. Zusammen suchen sie den Mörder, kommen sich dabei emotional wie weltanschaulich näher, bis es in der Verwahrstelle, dem Hauptquartier der Kontinentalarmee, bei dem Versuch den Ziehsohn Tavis aus der Folterhaft zu retten, zum dramatischen Showdown kommt…

Was ist dies für ein Roman, der dieses Jahr den Preis für den Besten deutschsprachigen Roman beim Deutschen Phantastik Preis einheimsen konnte? Nun, die Atmosphäre erinnert an eine Endzeitstimmung, es gibt von Nicolas Tesla entwickelte Energiewaffen, Drohnen und Flugscheiben, die sogenannten Seelenlosen erinnern an eine Mischung aus Superhelden und Märchenwesen, der Plot zunächst an einen Kriminalroman.

Erstaunlich ist, dass es der Autorin gelingt, aus all diesen Bestandteilen ein in sich stimmiges Ganzes zu schaffen, das den Leser an die Seiten fesselt. Zugrunde liegt dieser Faszination zum einen ein ungewöhnliches Weltbild, das sich dem Leser erst nach und nach erschließt. Durch die wechselnden Sichtweisen – jedes der relativ kurzen Kapitel wird abwechselnd aus Sicht von Tavi beziehungsweise von Leon erzählt – bekommen wir nach und nach, ohne große Info-Dumps, die Welt und ihre Machtverhältnisse sowie Historie vorgestellt. Dazu gesellen sich mit den beiden Hauptfiguren Protagonisten, die interessant gezeichnet sind. Beide haben ihre Geheimnisse, haben Leid erfahren und wurden durch dieses geprägt. So begegnen uns lebensechte, vielschichtige Figuren, die ihrem Charakter gemäß handeln und sich fortentwickeln. Bislang bleiben insbesondere die Antagonisten – die Saiwalo – noch relativ diffus. Bis ins Finale erfahren wir von diesen nur über Hörensagen, sie selbst, ihre Herkunft, Motivation und Pläne bleiben – noch zumindest – im Dunkeln. Hier werden die beiden abschließenden Bände der Trilogie sicherlich weitere Ausführungen und Erkenntnisse bringen.

Stilistisch wartet Karschnick mit einer bildgewaltigen Sprache auf, die sich nicht nur angenehm liest, sondern den Leser förmlich in die Handlung hineinzieht. Versteckt hat die Autorin in ihrem Plot die Fragen nach persönlicher Freiheit und nach der Zulässigkeit von Rebellion gegen ein totalitären Regime eingearbeitet.

So ist dies ein Roman, der inhaltlich wie handwerklich überzeugt und zurecht auf dem Treppchen ganz oben stand.