Marvel Exklusiv 108: Thanos (Comic)

Jason Aaron
Thanos
Marvel Exklusiv 108
(Thanos Rising 1-5, 2013)
Aus dem Amerikanischen von Michael Strittmacher
Zeichnungen von Simone Bianchi
Panini, 2014, Paperback, 120 Seiten, 14,99 EUR, ISBN 978-3.86201-892-5 (auch als Hardcover erhältlich, 25,00 EUR)

Von Britta van den Boom

Ein unperfektes Kind in einer perfekten Welt: Auf dem Saturnmond Titan wird Thanos mit einer genetischen Mutation geboren, die ihm ein fremdartiges Aussehen gibt. Abgesehen davon ist der hochintelligente, freundliche und sanftmütige Junge jedoch anscheinend ganz normal und durchaus beliebt – sein einziges Leid sind die Erinnerung daran, wie seine Mutter ihn gleich nach der Geburt töten wollte, und die Ignoranz seines zu beschäftigten Vaters.

Das klingt nicht nach dem Material, aus dem die Geißel des Universums entstehen wird, der sich selbst als Gott betrachtende Thanos, Zerstörer von Welten. Und wenn es nicht eine Mitschülerin von ihm gegeben hätte, die ihn schrittweise vom Pazifisten zum Mörder macht – erst aus Rache, dann aus wissenschaftlichem Interesse auf der Suche nach dem Grund für sein Anderssein, dann zum Vergnügen und letztlich in völliger Gleichgültigkeit, dann hätte es keinen Superschurken im Marvel-Universum gegeben, mit dem zahlreiche Helden ihre Kräfte hätten messen können.

Doch der junge Thanos erliegt den Einflüsterungen seiner Freundin, die ihn ewig mit ihrer Liebe lockt und ihm gleichzeitig zu verstehen gibt, dass er ihrer nur wert sein wird, wenn er noch mehr tötet und zerstört. Seine Versuche, sich diesem Einfluss zu entziehen, führen Thanos von seiner Heimatwelt fort und in die fernsten Winkel des Universums – doch letztlich holt sie ihn immer ein. Und irgendwann, nach unzähligen zerstörten Welten und millionenfachem Morden, muss er erkennen, wer diese Frau wirklich ist, die ihn so fasziniert. Und dass selbst diese Erkenntnis ein Irrtum ist.

Es ist eine finstere und blutrünstige Geschichte, die Jason Aaron da erzählt, im Mittelpunkt die gequälte – und quälende – Figur Thanos, die Jim Starlin 1973 ins Leben rief und die eine steile Karriere als Superschurke begann. Aaron beleuchtet das Entstehen dieses Antagonisten, seine Herkunft und die Gründe für seine Monstrosität. Dass er dabei mit klassischen Bildern spielt – dem Anderssein, der Vernachlässigung durch die Eltern, zwei der Grundelemente für so manchen Verbrecher der Comicwelt –, kann man etwas uninspiriert finden. Doch die Art, wie Aaron behutsam und mit viel Zeit die Entwicklung des Jungen darstellt, ist gut gemacht – gerade auch die flüssigen Dialoge tragen die Geschichte voran.

Es bieten sich genug Gelegenheiten für Thanos, den Pfad der Gewalt zu verlassen, doch in seinem ungestillten Hunger nach Antworten auf den Sinn seiner Existenz gibt er sich der Führung seiner Jugendfreundin hin, die sehr genau zu wissen scheint, welche Abgründe in ihm lauern. Beruhigend, dass in unserer Welt nicht alle unglücklichen und verwirrten Jugendlichen eine solche Ratgeberin an ihrer Seite haben.

Das ferne, exotische Universum, in das sich Thanos dann begibt, unterscheidet sich von allem, was uns vertraut ist, hauptsächlich dadurch, dass die Leute bizarr aussehen und die Architektur befremdlich ist. Alle Verhaltensweisen dieser Aliens, gerade der vielen Frauen, die Thanos im Laufe seiner Reise findet, sind ernüchternd normal – ja, es gelingt ihm sogar, mit jeder seiner Geliebten Kinder zu zeugen, ein Umstand, der bei manchem Genetiker zu spontanem Protest führen dürfte.

So verdichtet sich der Eindruck, dass das SF-Setting nichts anderes ist als die Kulisse für ein Psychodrama, die Entstehung eines Massenmörders, das in fast jeder beliebigen Umgebung hätte stattfinden können. Nichtsdestotrotz ist es gut gemacht und spannend, und die Zeichnungen von Simone Bianchi setzen die düstere Atmosphäre und skurrile Schönheit von Thanos und seiner Welt gekonnt, detailreich und eindrücklich um. Sicherlich sind gerade die späteren Gewalttaten von Thanos arg übertrieben, doch das ist eben der Stoff, aus dem Superschurken sind.

Wenn man diese Prämissen nicht groß hinterfragt und sich auf die Geschichte einlässt, so ist „Thanos“ ein spannender, gut gemachter, gut erzählter und in sich schlüssiger Comic, der nicht nur Freunden des Marvel-Universums gefallen wird.

Der Comic wird ergänzt durch die Cover der US-amerikanischen Einzelausgaben sowie einem Vorwort von Christian Endres und einer kurzen Biographie der beiden Macher des neuen Thanos.