Marr, Melissa: Gegen die Finsternis – Elfen 2 (Buch)

Melissa Marr
Gegen die Finsternis
Elfen 2
(Ink Exchange, 2008)
Aus dem Amerikanischen von Birgit Schmitz
Titelgestaltung von Sonya Pletes
Illustration (Tattoo) von Paul Roe
Carlsen, 2009, Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen, 334 Seiten, 17,90 EUR, ISBN 978-3-551-58169-3

Von Irene Salzmann

Huntsdale ist ein verschlafenes Nest – und nur wenige wissen, dass Elfen hier ihr Unwesen treiben. Seitdem Ash als neue Sommerkönigin Keenans Macht stärken konnte und Donia zur Winterkönigin aufstieg, ist es jedoch nur unmerklich ruhiger geworden, denn alles, was für ihre Höfe und die Menschen gut ist, schwächt Irial und seine Dunkelelfen. Verzweifelt sucht der König nach einer Lösung, denn er weiß um den Hunger der seinen – sie ernähren sich von dunklen Emotionen –, aber er will einen Krieg um jeden Preis vermeiden.

Zufällig entdeckt er Leslie, eine gute Freundin von Ash. Das Mädchen scheint das ideale Werkzeug zu sein, denn ihr wurde von ihrem eigenen Bruder etwas Schlimmes angetan, wovon niemand etwas ahnt und das sie dank ihrer Stärke ›überlebte‹. Der Wunsch, nur sich selbst zu gehören und sich zu verändern, führt Leslie in einen Tattoo-Laden. Ein Motiv fasziniert sie auf Anhieb, und kaum hat der Künstler seine Arbeit begonnen, spürt Leslie, dass etwas anders ist.
Plötzlich sieht sie merkwürdige Schatten, einige Menschen wirken wie Zerrbilder, ihre Ängste schwinden, und sie entdeckt in sich eine ungeahnte Kraft. Als sich Leslie dem attraktiven Niall anvertraut, ist es jedoch schon zu spät. Keenans Gefolgsmann darf sie zwar beschützen, ihr aber nicht die Wahrheit sagen, denn Ash will nicht, dass ihre Freundin in die gefährliche Welt der Elfen hinein gezogen wird.
Dieses Schweigen macht alles für Irial umso einfacher, denn nach Vollendung des Tattoos gehört Leslie ihm und fungiert als Kanal, durch den die Gefühle der Menschen zu ihm und seinem Volk strömen – sie füttern. Dass das Mädchen immer schwächer wird, ihre Gefühle und den freien Willen verliert, ist der Preis, der zu entrichten ist. Zu seiner eigenen Überraschung leidet Irial darunter, denn Leslie bedeutet ihm mehr, als er erwartet hätte. Und auch Niall will seine große Liebe retten …

»Gegen die Finsternis« ist nach »Gegen das Sommerlicht« der zweite von inzwischen drei in sich abgeschlossenen Bänden, die die Geschichte einiger Teenager erzählen, die in den Bann der Elfen geraten. Man fühlt sich direkt ein wenig an »Buffy the Vampire-Slayer« erinnert, denn auch in dieser Serie, die wohl so manche der zeitgenössischen Paranormal Romances beeinflusst hat, ist es ein kleiner Ort – Sunnydale – der von übersinnlichen Wesen heimgesucht wird. Die Ähnlichkeit der Namen – Huntsdale – mag man als Hommage sehen, auch wenn die Romane darüber hinaus keine Parallelen zu der populären TV-Serie aufweisen.
In der Tradition anderer phantastischer Serien im Bereich romantischer Dark Fantasy, Mystery und Horror, die momentan die Buchläden fluten, stellt auch Melissa Marr Figuren, die in einem Buch nur eine kleine Rolle innehatten, im nächsten in den Mittelpunkt. Insofern können sich neue Leser problemlos in der Handlung zurechtfinden, denn Vorkenntnisse sind nicht notwendig, und das treue Publikum freut sich über den Aha-Effekt.
In »Gegen das Sommerlicht« wurde geschildert, wie Ash einen Kompromiss erzielte, indem sie zwar Sommerkönigin wurde, aber ihre Beziehung zu Seth aufrecht erhalten konnte, während sie Keenan mit der Winterkönigin Donia zusammen brachte. In kleinen Szenen tauchten Leslie und Niall auf, und auch Irial fand Erwähnung. »Gegen die Finsternis« ist dieser Dreiecksbeziehung gewidmet.
Die Autorin führt den Leser schnell in die Geschichte hinein. Kennt man das vorherige Buch, ist einem das Setting natürlich vertraut, doch auch ohne das Wissen, was zuvor passierte, wird die Welt von Huntsdale schnell lebendig. Überall treiben sich Elfen herum: kleine und große, schöne und hässliche, menschenähnliche und ganz ›andere‹, die einen wollen bloß necken, die anderen quälen und sogar töten, aber gefährlich sind sie alle. Die Teenager mit ihren Tattoos, Piercings und coolen Klamotten muten nicht minder bizarr an.

Leslie, die ihr zerrüttetes Elternhaus hinter sich lassen möchte, ist in den gut aussehenden, geheimnisvollen Niall verknallt und ärgert sich, dass Ash nicht zulässt, dass sie ihn näher kennen lernt. Dann wird sie von Irial auserwählt, den sie als faszinierend und beängstigend zugleichzeitig empfindet. Der Titel der amerikanischen Originalausgabe nimmt vorweg, was passiert: Durch eine Tinte, die aus Irials Blut und seiner Essenz gewonnen wurde, bindet das Tattoo Leslie an den König der Dunkelelfen (»Ink Exchange«).
Im Nachwort erfährt man, dass die Autorin, die selber Tattoos trägt, diesen Punkt zum Dreh- und Angelpunkt des Romans machte – und der Entwurf des Künstlers Paul Roe ist hier auch abgebildet. Leslie betrachtet dieses Motiv als wie für sie gemacht und lässt es sich stechen, trotz der vorsichtigen Warnungen des Künstlers, einem Halbelf. Je weiter die Arbeit voranschreitet und je länger Leslie unter dem Einfluss der magischen Tinte steht, umso mehr verfällt sie Irial. Als sein Mittel zum Zweck verliert sie ihre eigenen Gefühle und benötigt gleichzeitig seinen Hunger, um von den Emotionen der Opfer befreit zu werden.
Da Irial Leslie liebt, bindet er sie nicht absolut, wodurch ihr die vage Chance bleibt, sich von ihm zu befreien – falls sie das will und die nötige Kraft findet. Dadurch wird Irials ambivalenter Charakter bestätigt. Er ist, was er ist, und das gleiche gilt für sein Volk. Sie sind nicht grausam aus Boshaftigkeit, sondern weil es ihrer Natur entspricht und sie nur durch Exzesse die Emotionen von Elfen und Menschen erhalten, die sie als Nahrung benötigen.
Auch Niall ist nicht ganz das, was er anfangs zu sein scheint. Sein Geheimnis und seine Beziehung zu Irial werden jedoch relativ früh enthüllt. Genauso wie Leslie ist er letztlich ein Opfer, doch im Gegensatz zu ihr hat er nicht wirklich eine Wahl. Er konnte sein Schicksal aufschieben, hat aber Irials geschicktem Schachzug nichts entgegenzusetzen, denn es gibt Regeln, denen sie alle gehorchen müssen.
Das Ende bietet eine überraschende und schlüssige Lösung, die überhaupt nicht zuckrig ist, aber hoffen lässt. Da sich Melissa Marr in ihrem dritten Buch (»Fragile Eternity«) wieder Ash und Seth zuwendet, bleibt vorerst offen, ob auch dieser Handlungsstrang weiter verfolgt wird.

Die Protagonisten sind unkonventionell, aber sympathisch, die Handlung präsentiert sich als Mix aus Realität und bizarrem Albtraum, die romantischen Beziehungen verwässern nicht den phantastischen Plot – und die Summe fasziniert. Die Autorin schreibt flüssig und versteht es, ihre Leser zu fesseln. Ihre beiden Romane sind wahre Pageturner, die nicht nur jugendliche Leser ab 14 Jahren sondern auch das reifere Publikum ansprechen, insbesondere die weiblichen Fans von Titeln wie »Elfenkönigin«, »Im Zwielicht« oder »Biss zum Morgengrauen«.