Sweet Tooth 5: Unnatürliche Lebensräume (Comic)

Sweet Tooth 5
Unnatürliche Lebensräume
(Sweet Tooth 26-33)
Text: Jeff Lemire
Zeichnungen: Jeff Lemire, Matt Kindt
Übersetzung: Gerlinde Althoff
Panini, 2014, Paperback mit Klappenbroschur, 180 Seiten, 19,99 EUR, ISBN 978-3-86201-948-9

Von Frank Drehmel

Der fünfte „Sweet Tooth“-Sammelband enthält die US-Ausgaben 26 bis 33 und weist dementsprechend eine Zweiteilung auf: Die Nummern 26 bis 28 umfassen den Storyarc „Der Präparator“ („The Taxidermist“), der im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts angesiedelt ist und der einen ersten Erklärungsansatz für die Existenz der Hybriden und der Pandemie liefert, während die Hefte 29 bis 32 in das Hier und Jetzt der Geschichte zurückkehren und mit Band 33 einen eigenwilligen künstlerischen und erzählerischen Ansatz bieten.

Wir schreiben das Jahr 1911. Unter Leitung des jungen Dr. James Thacker kämpft sich eine Expedition durch das ewige Eis der Arktis auf der Suche nach dem Verlobten von Thackers Schwester, einem Mann namens Louis Simpson, welcher sich christlichen Missionaren anschloss, die die Eingeborenen Gottesgläubigkeit lehren wollten und die nun allesamt als verschollen gelten. Auch wenn Thacker alles andere als eine imposante Erscheinung ist, fügen sich die knurrigen Expeditions-Teilnehmer, darunter der bärbeißige Kapitän Jaspers, seinen Anweisungen selbst dann, als eines Nachts sämtliche Schlittenhunde von etwas Unbekanntem abgeschlachtet werden und Thacker daher befiehlt, zu Fuß weiterzumarschieren.

Schon bald erreichen sie tatsächlich das Missionshaus und finden dort einen Berg von Leichen, gestorben augenscheinlich an einer schrecklichen Krankheit. Kurz darauf taucht ein verwildert wirkender, in die typische Bekleidung der Einheimischen gehüllter Louis auf, der nicht nur gesteht, dass er die Hunde getötet hat, um sie von der Weiterreise abzuhalten, sondern der ihnen auch die Hintergründe des großen Sterbens erklärt, das nicht vor den Missionaren Halt gemacht hat. Am Anfang stand eine Missachtung alter Mythen der Indianer, am Ende ein Kind, das das Weltbild der Expeditionsteilnehmer auf den Kopf stellt und das Louis nach wie vor um den Preis eines entsetzlichen Blutbades zu beschützen versucht.

Gegenwart. Während Jepperd, Gus und Dr. Singh den Schutz der Biosphäre innerhalb des Staudammes verlassen haben, um die Gefahr, die von Haggertys Leuten ausgeht, zu eliminieren, verschlimmern sich Lucys Seuchen-Symptome, sodass sie von Stunde zu Stunde hinfälliger wird und ihr Tod höchstens eine Frage weniger Tage ist. Doch auch die anderen – Becky sowie die beiden Hybriden Wendy und Bobby – befinden sich in tödlicher Gefahr, denn die Vorahnungen, dass Walter, der Hausherr der Station, nicht das ist, was er zu sein scheint, bewahrheiten sich, kaum das die anderen das Domizil verlassen haben – denn Walter entpuppt sich als perverser, mörderischer Psychopath. Unterdessen spüren Jepperd & Co. Haggertys Leute auf und erleben ebenfalls eine böse Überraschung.

Sowohl im Artwork als auch erzählerisch unterscheiden sich die beiden Storys dieses Tradepaperback erheblich.

„Der Präparator“ ist in weiten Teilen als Tagebuch konzipiert, in dem der Hauptprotagonist – Dr. Thacker – als Ich-Erzähler fungiert und man daher als Leser die Annäherung an das unweigerliche Verhängnis quasi hautnah miterlebt. Obwohl Lemire im Plot und der Figuren-Konstellation das Rad nicht neu erfindet, überzeugt dieser Teil neben der Tatsache, dass der generelle Hintergrund der Serie erhellt wird, durch eine unheimliche, fast schon cthuloide Grundstimmung, zu der das Artwork einen maßgeblichen Teil beiträgt: Kindts Bilder sind gleichermaßen skizzenhaft wie expressiv und weisen in ihrer aquarellierenden, nuancenreichen Farbgebung ein hohes Maß an Atmosphäre und Intensität auf.

Die zweite Geschichte weist im Artwork zwar einen zumindest im Grundtenor ähnlich skizzierenden Duktus auf, wenn auch die Strichführung deutlich feiner ist, ist aber weniger malerisch angelegt, sodass die Atmosphäre trotz einer expressiven Note insgesamt weniger intensiv daherkommt als in Teil 1. Der gegenwärtigen Handlung selbst fehlt es bedauerlicherweise deutlich an Spannung: nicht nur, dass Gus vollkommen hinter Jepperd zurücktritt, die Überraschungen beziehungsweise der Plot-Twist werden durch permanente Andeutungen gleichsam vorweggenommen.

Fazit: Im ersten Teil eine atmosphärisch und inhaltlich überzeugende Geschichte, die Licht in das Dunkel um die Seuche und die Hybriden-Kinder bringt, im zweiten Teil nur noch ganz nett und nicht wirklich fesselnd.