Patrick J. Grieser: Der Primus (Buch)
- Details
- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Sonntag, 22. September 2013 16:24

Patrick J. Grieser
Der Primus
Titelillustration von Timo Kümmel
Basilisk, 2013, Paperback, 404 Seiten, 16,90 EUR, ISBN 978-3-935706-74-2
Von Carsten Kuhr
Der Weltuntergang beginnt reichlich unspektakulär. Mitten im Wald zwischen Darmstadt und Frankfurt tauchen aus dem Nichts riesige Bahnschienen auf, auf den die Worte Kýrie eléson eingraviert sind. Nach und nach verlängern sich die Schienen, und dann ist der Tag gekommen, da Armageddon über die Welt hereinbricht. Und siehe, sie wird brennen, die uralte Prophezeiung wird wahr werden, die Welt, wie wir sie kennen, wird untergehen.
Zunächst aber stellt uns der Autor seine Protagonisten vor. Wir begegnen einigen Jungs vom Albert Einstein Gymnasium. Wie das bei pubertierenden Jugendlichen so usus ist, stehen bei ihnen PC-Games, das Handy und nackte Frauen hoch im Kurs. Der eine ist ein fieser Schläger, der andere ein Nerd, der dritte mit seine Kamera verheiratet und der Letzte der Runde ein etwas dicklicher Gamer. In eindrucksvollen Szenen stellt uns der Autor seine Gestalten vor, hinterfüttert diese mit einem glaubwürdigen Background und berichtet uns von deren Alltag. Hier weckte er deutliche Erinnerungen an meine eigene Jugend, an die Animositäten unter den Mitschülern, an Gruppen, die sich im Klassenverband finden, und an brutale Schläger, die sich immer wieder einzelne Opfer suchen und diese erpressen.
Im weiteren Verlauf des Buchs begegnen uns auch drei, nein eigentlich vier Erwachsene. Zunächst sind das zwei verheiratete Tunichtgute, die nichts Besseres wissen, als ihre Angetrauten regelmäßig zu hintergehen und ihr Vergnügen in fremden Betten zu suchen. Als vermeintliche Millionäre reißen sie in den Discos der Umgebung Frauen auf, versuchen sich so Selbstvertrauen und Bestätigung zu verschaffen. Ebenfalls im Fokus ist ein Mann für den, nachdem ihn seine Frau verlassen hat, seine Welt zusammenbrach. Seitdem zieht er mit Stetson und Fransenjacke als Arbeitsloser umher, ist nur als der Cowboy bekannt und findet seine Befriedigung im Alkohol und den Hochglanzbroschüren der Sex-Magazine.
Gut das erste Drittes des Buchs nimmt sich Patrick Grieser Zeit, uns seine Figuren vorzustellen, diese in einen glaubwürdigen Rahmen einzupassen und mit Eigenarten und unterschiedlichsten Charakterzügen auszustatten. Das Erstaunliche daran war für mich, dass sich diese doch recht ausführliche Einführung durchaus interessant und kurzweilig las. Immer wieder nahm ich bekannte Charakterzüge wahr, fand mich in Situationen wieder, die ich aus eigener Erfahrung kannte, und folgte sowohl den Jugendlichen wie ihren erwachsenen Pendants in deren Leben. Einzig der ebenfalls als Hauptperson vorgesehene Pfarrer blieb hier ein wenig außen vor.
Als dann die Aliens in Form von großen, humanoiden Wesen in einer Taucheranzug-ähnlichen Bekleidung die Welt in Brand setzen, beginnt das Abenteuer erst. Unsere Protagonisten fliehen, angeleitet durch einen mysteriösen Jungen, der in ihren Träumen zu ihnen spricht, an Bord einer der Züge der Aliens in eine andere Dimension. Hier erwartet sie nicht nur ein Unsterblicher sondern auch eine Mission, auf die sie sich eigentlich nicht einlassen wollen. Es gilt, den Steuerungschip für einen der interdimensionalen Züge zu beschaffen; eine Mission, von der noch keiner, der sie jemals in Angriff genommen hat, lebend zurückkam...
Was ist das für ein Roman den Verlagsinhaber und Autor Patrick Grieser nach Jahren, in denen er nichts Neues publizierte, hier veröffentlicht?
Im ersten Drittel verwöhnt der Roman mit einer sehr detailreichen und überzeugenden Zeichnung der handelnden Personen. Die Bühne, die uns der Autor hier vorstellt, ist uns allen aus der eigenen Vergangenheit bekannt und wirkt in sich greifbar und plastisch. Die Figuren treten förmlich aus den Seiten hervor und nehmen Gestalt an. Wir kennen sie alle, die Loser der Klasse, die Underdogs und die heimlichen Herrscher des Schulhofs. Aber auch die beiden Vergnügungssüchtigen, die die eigene Bedeutungslosigkeit durch Fremdgehen zu übertünchen versuchen, sind bekannte Stereotypen. Hier überzeugt Grieser durch markante, ein paar Mal überzeichnete Darstellungen seiner Figuren, in die wir uns mühelos hineinversetzen können.
Mit der Ankunft der Wesen, die die Welt vernichten, beginnt dann das zweite Drittel des Romans. Zunächst reisen wir mit unseren Helden, so man sie so bezeichnen mag, durch ein entvölkertes und verbranntes Deutschland, dann geht es in eine andere Dimension. Das erinnert in seine Ausführung ein wenig an Dystopien und Post-Doomsday-Szenarien, beinhaltet aber auch Horror- und Grusel-Elemente. Es schließt sich die Beschreibung einer fremden Welt an, die in ihrer Einsamkeit die perfekte Grundlage für das anschließende Rätsel bietet. Wie sich die griechische Götterwelt und die Büchse der Pandora in dieses Szenario einfügen, dürfen Sie selbst nachlesen.
Insgesamt gesehen legt Patrick J. Grieser mit „Der Primus“ ein packendes Buch vor, das insbesondere durch seine Figuren zu überzeugen weiß, jede Menge unerwartete Wendungen für seinen Leser in petto hat und geschickt und versiert Stilelemente des Thrillers mit Horror-Szenarien verbindet.