Der große Tote 1: Die Tränen der Bienen (Comic)

Der große Tote 1
Die Tränen der Bienen
(Le grand mort, Tome 1 : Larmes d’abeille)
Szenario: Régis Loisel & Jean-Blaise Djian
Zeichnungen: Vincent Mallié
Farben: Francois Lapierre
Übersetzung: Uwe Löhmann
Lettering: Frans Stummer
Ehapa, 2008, Hardcover, 64 Seiten, 12,00 EUR, SBN 978-3-7704-3168-7

Von Frank Drehmel

Auf Einladung einer Freundin reist die Pariser Studentin Pauline auf das flache Land, um sich dort über die Ferien in Ruhe auf ihre bevorstehende Magisterarbeit in Wirtschaftswissenschaften vorzubereiten.
Schon ihr nächtliches Eintreffen auf dem kleinen Bahnhof des Kaffs Val de Troudec steht unter einem schlechten Stern. Nicht nur, dass ihr die Zigaretten während der Bahnfahrt ausgegangen sind, auch das Auto, das ihr dort eine Freundin für sie abgestellt hat, macht Mätzchen. Hilfe erhält sie von dem jungen, freundlichen Erwan, den sie aus Dankbarkeit zu seinem kleinen abgelegenen Häuschen inmitten der idyllischen Landschaft kutschiert. Als sie jedoch ihren Weg fortsetzen will, muss sie sich damit abfinden, dass nun auch noch der Tank leer ist und sie gezwungen sein wird, die Nacht entweder im kalten Auto oder der heimeligen Hütte Erwans zu verbringen.

Sie entschließt sich zu Letzterem und lernt so einen jungen Mann kennen, der ihr von einer Parallelwelt und dem Kleinen Volk erzählt, die er schon besucht haben will. Obwohl derlei Gespräche nicht unbedingt geeignet sind, das Vertrauen einer rationalistischen Städterin zu gewinnen, findet sich Pauline am nächsten Morgen bereit, Erwan tiefer in die Einsamkeit zu folgen, wo dessen Mentor und Meister, der alte, blinde Cristo nahe einem so genannten Cromlech – einer jungsteinzeitlichen Megalithformation – haust.
Die beiden Männer überreden Pauline sich ein verdünntes Elixier – die Tränen der Bienen – in die Augen träufeln zu lassen, um den Blick für die andere Welt zu öffnen. Widerstrebend willigt die Studentin ein und findet sich augenblicklich in einer fremden Umgebung wieder. Doch da die Wirkung der Tropfen nicht lange anhält, ist ihre Reise, während der Pauline ihre Brille im »Drüben« verliert, nur von kurzer Dauer.
Als sich Erwan anschließend die unverdünnten Tränen der Bienen appliziert und vor den Augen der Frau entschwindet, beschließt Pauline, ihm zu folgen, und missachtet dabei die Warnung Cristos, dass sie in der Parallelwelt für Erwan, der dort einen wichtigen Auftrag zu erledigen hat, zu einem tödlichen Ballast werden könnte. Zudem ahnt Pauline nicht, dass in jener fremden Welt die Zeit anders verrinnt als bei ihr daheim, so dass es zunächst einmal gilt, Erwan zu finden.

Régis Loisel – Jahrgang 1951; 2003 mit dem bedeutendsten europäische Comic-Preis, dem »Grand Prix de la Ville d’Angoulême«, ausgezeichnet – dürfte dem deutschen Publikum in erster Linie sowohl durch seine Arbeit an der Comic-Reihe »Auf der Suche nach dem Vogel der Zeit« als auch die sechsbändige Mini-Serie »Peter Pan« bekannt sein, während Co-Szenarist Jean-Blaise Djian trotz eines respektablen Œuvres zu den bei uns eher unbekannten frankobelgischen Autoren gerechnet werden muss (auch wenn Werke von ihm schon auf Deutsch veröffentlicht wurden).

In »Die Tränen der Bienen« entwerfen die beiden Szenaristen eine Geschichte, deren leichter, von einem Hauch Mystery durchdrungener Charme anfänglich geradezu überwältigend ist, die später jedoch ihren »Sense of Wonder«sowie den erzählerischen Schwung weitgehend einbüßt. Solange die Story im Hier spielt, prägen lockere Dialoge sowie der Kontrast zwischen dem zur Arroganz neigenden, eingebildeten Stadtmädchen und straightem, leicht versponnenem Landei-Jungen die Handlung. Diese Lockerheit geht mit dem Wechsel ins Drüben weitgehend verloren, ohne dass an ihre Stelle etwas anderes – zum Beispiel Spannung oder Originalität – tritt. Im Gegenteil, die Reise der beiden Protagonisten wirkt dröge, langatmig und ziellos, die Dialoge verkommen zur nörgeligen Rätselei. Zudem beginnt Paulines und Erwans gemeinsames Abenteuer in der Anderswelt mit einem wahrhaft bösen Logikfehler, der sich auf die unterschiedlichen Zeitabläufe beider Welten bezieht und den ein Erbsenzähler wie ich kaum verzeihen kann. Nähere Ausführungen will ich mir hier allerdings schenken und darauf vertrauen, dass der Fehler sofort jedem Leser ins Auge springt.

Die leichten, klaren Zeichnungen Vincent Malliés sind in der ersten Häfte des Albums durchaus gefällig und vermögen in Verbindung mit der Kolorierung Lapierres eine zum Teil idyllisch-pittoreske, zum Teil eher rustikale Landschaft atmosphärisch stimmig in Szene zu setzen. Stilistisch zwar ebenbürtig, aber dennoch weniger ansprechend ist die Parallelwelt visualisiert, denn ihr mangelt es an exotischem, mystischem Flair, an originellen Details, so dass Hintergründe wie Figuren banal und langweilig – ja geradezu tot – erscheinen.

Fazit: Die anfänglich zwar charmante Story, der jedoch im weiteren Verlauf der »Sense of Wonder« abgeht, so wie das unterm Strich unspektakuläre Artwork hinterlassen einen ambivalenten Eindruck und die Hoffnung auf eine deutliche Steigerung im Folgeband …