James Tiptree Jr.: Zu einem Preis (Buch)

James Tiptree Jr.
Zu einem Preis
Sämtliche Erzählungen 4
Aus dem Amerikanischen von Christiane Schott-Hagedorn, Frank Böhmert, Michael Preissl und Sebastian Wohlfeil
Septime, 2013, Hardcover, 540 Seiten, 23,30 EUR, ISBN 978-3-902711-06-9

Von Carsten Kuhr

James Tiptree Jr. erschien als Autor im phantastischen Feld quasi aus dem Nichts. Über den damaligen Newcomer, der mit seinen melancholischen, ergreifenden Geschichten die Magazine und ihre Leser förmlich im Sturm eroberte, war Ende der 60er Jahre schlicht nichts bekannt. Erst Jahre später wurde die Identität gelüftet, offenbarte sich, dass sich hinter dem männlichen Pseudonym mit Alice Bradley Sheldon eine Frau verbarg, die 1987 durch Suizid aus dem Leben schied.

Vor zwei Jahren entschied der in Wien beheimatete Septime Verlag, sich ihres Oeuvres anzunehmen und das Werk dem Leser gesammelt in einer hochwertigen Hardcoverausgabe vorzulegen. Das interessante und höchst lobenswerte Projekt erhielt medienwirksame Unterstützung unter anderem von Denis Scheck, ein erster Band mit Kurzgeschichten („Quintana Roo“) erschien, eine Biographie („Das Doppelleben der Alice B. Sheldon“) folgte.

Nun legt der Verlag den zweiten Band der gesammelten Geschichte der Autorin auf, dem in Kürze ein dritter Band („Houston,. Houston!“) folgen soll.

Vorliegendes Buch vereint zehn Novellen und Kurzgeschichten aus dem Zeitraum zwischen 1975 bis 1985 sowie einige Auszüge aus der umfangreichen Korrespondenz zwischen seinen Deckeln.

Wie wir dies von Tiptree Jr. gewohnt sind, warten weder große Raumschlachten noch ein munteres, lustiges Geschehen auf den Leser. Tiptree Jr. war immer an den Beziehungen zwischen den Geschlechtern interessiert, lotete menschliche Verhaltensmuster und deren Grenzen, übernommene Rollenverständnisse und Denkweisen aus, und berührt dabei die Leser durch die oftmals sehr intimen, aufwühlenden Geschichten. Tragisch, melancholisch, bewegend, nachdenklich, so könnte man die Geschichten treffend umschreiben, manches mal bitter-bös, dann wieder sehr traurig, rühren die Storys den Leser.
Man kann hier als Rezipient schlicht nicht außen vor bleiben, muss sich positionieren, Stellung beziehen und oftmals bittere aber zutreffende Wahrheiten über die Gattung Mensch akzeptieren.

Tiptree Jr. nutzte ihre Außerirdischen immer als Spiegel für die Art und Weise, wie das Tier Mensch sich, evolutionär bedingt, verhält. Alte, eigentlich überkommene Verhaltensmuster, das Dominieren der unterlegenen Spezies, die Vernichtung alles Fremden, wird ebenso thematisiert wie der schwierige Umgang mit Sterbenden (besonders beeindruckend in der Geschichte „Zu einem Preis“).

Für die im Band enthaltene Geschichte „Die Screwly Solution“, die sie unter dem Pseudonym Racccona Sheldon veröffentlichte und die später von Joe Dante für die TV-Serie „Masters of Horror“ verfilmt wurde, erhielt sie 1977 den Nebula Award.

Insgesamt zeigt auch der zweite Sammelband (abweichend von der Veröffentlichungsreihenfolge eigentlich Band 4 der gesammelte Erzählungen), warum Tiptree Jr. zu den großen, was sage ich, den größten phantastischen Autoren gehört – eben weil sie nicht blinden Fortschrittsglauben predigt, weil sie den Menschen, durchaus kritisch beäugt, in den Mittelpunkt ihrer aufwühlenden Geschichten stellt. Und vorliegend erhält der Leser zehn mustergültig neu ins Deutsche übertragene Beispiele, die ihn zu Tränen rühren werden, ihn nachdenklich, auch traurig aber bereichert zurücklassen.