Stoker, Dacre & Holt, Ian: Dracula – Die Wiederkehr (Buch)

Dacre Stoker & Ian Holt
Dracula – Die Wiederkehr
(Dracula, The Un-Dead, 2009)
Aus dem Amerikanischen von Hannes Riffel
Titelgestaltung von HildenDesign unter Verwendung eines Motivs von Shutterstock
Vignetten von Eva Widermann
Lyx, 2009, Hardcover, 592 Seiten, 19,95 EUR, ISBN 978-3-8025-8220-2

Von Irene Salzmann

Neben »Frankenstein« hat wohl kaum eine andere Figur die Gothic Novel und das Genre Horror so stark geprägt wie »Dracula«. Bram Stokers Roman zog zahlreiche Verfilmungen nach sich und inspirierte viele Autoren, Vampir-Geschichten zu schreiben oder Draculas Schicksal weiter zu spinnen. Beispielsweise hat in den 1990er Jahren bereits Freda Warrington mit »Dracula kehrt zurück« eine Fortsetzung verfasst, die man als Hommage an Bram Stoker und seine Titelfigur verstehen kann – und die bereits die Geschehnisse nicht mehr eindimensional schildert, sondern auch die Perspektive des ›Bösen‹ berücksichtigt.

Diese Veränderung findet man auch in »Dracula – Die Wiederkehr« von Dacre Stoker und Ian Holt. Aus dem Anhang erfährt man, dass Dacre Stoker ein Urgroßneffe des »Dracula«-Schöpfers und der Drehbuchautor Ian Holt ein großer Fan des Horror-Genres ist. Die Aufzeichnungen von Bram Stoker und das offene Ende von »Dracula« veranlassten sie, die Geschichte so fortzusetzen, wie sie der Urheber in einigen Teilen vielleicht geplant haben könnte.
Während die Autoren einerseits versuchten, an den Erzählstil der Gothic Novel anzuknüpfen und Bezüge zu »Dracula« herzustellen, versahen sie auf der anderen Seite die Handlung mit zeitgenössischen Werten und Motiven und bemühten sich, die Sichtweisen aller Hauptfiguren zu berücksichtigen. Sogar Bram Stoker hat einige Auftritte, mit denen an die Copyrights-Probleme der Familie erinnert wird, denn die Erben erhielten lediglich einen Bruchteil der Tantiemen, die ihnen zugestanden hätten, wäre dem Autor nicht ein kleiner Fehler bei den Urheberrechten unterlaufen.
»Dracula – Die Wiederkehr« spielt ca. 25 Jahre nach dem ersten Roman. Durch die Einbeziehung historischer Persönlichkeiten und Begebenheiten wie der ›Blutgräfin‹, Jack the Ripper, der Untergang der Titanic und neue Erfindungen, darunter das Automobil und die Glühlampe, wird die Atmosphäre des viktorianischen Zeitalters eingefangen. Den Bogen zu »Dracula« schlagen die Autoren, indem sie alle Figuren auftreten ließen, die man kennt und die zum Teil in den Filmen nur in kleinen Rollen oder gar nicht zu sehen sind.
Heraus kam eine spannende Fortsetzung, die man sich als Freund der Gothic Novel und als »Dracula«-Fan sicher nicht entgehen lassen möchte – von Lyx als edles Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen herausgegeben:

Dracula ist tot, und doch werden alle, die den Kampf gegen ihn überlebt haben, in ihren Albträumen von ihm verfolgt.
Der Erste, der herausfindet, dass ihr Feind damals nicht getötet wurde, ist Dr. Jack Seward, der seit Jahren Trost im Alkohol und in Drogen sucht. Allerdings macht er schon bald eine noch größere Entdeckung, die sein Schicksal besiegelt.
Advokat Jonathan Harker, der sich um Sewards Nachlass kümmert, ist ein verbitterter Mann. Seine Ehe mit Mina existiert nur noch auf dem Papier, da er ihr nicht vergeben kann, was sie mit Dracula verbindet. Er flieht in den Alkohol und in die Arme von Prostituierten – und damit in eine tödliche Falle.
Unter der Situation und der Geheimniskrämerei im Elternhaus leidet auch Sohn Quincey, der Rechtswissenschaften studieren soll, obwohl er viel lieber Schauspieler werden will. Schließlich sagt sich der junge Mann von seiner Familie los und schließt sich dem faszinierenden Theater-Mimen Basarab an, den er sogar für ein neues Stück gewinnen kann. Basarab soll die Titelfigur in Bram Stokers »Dracula« spielen. Dann überstürzen sich die Ereignisse: Wieso tragen die Figuren in dem schaurigen Drama die Namen von Quinceys Eltern und deren Freunden? Kann das Zufall sein? Der grausame Mord an seinem Vater bringt Quincey zurück nach Hause, und er erfährt Teile des großen Geheimnisses.
Vergeblich wendet sich Quincey an Arthur Holmwood, nun Lord Godalming, den einstigen Verlobten von Lucy Westenra. Der Abenteurer sehnt sich nach dem Tod, fühlt sich aber seiner Gemahlin Beth verpflichtet und hat kein Interesse daran, als Rächer die Vergangenheit erneut zu durchleiden. Das ändert sich, als sich ein hartnäckiger Polizist der aktuellen Morde annimmt und Lucys Grab öffnen lässt.
Der gebrechliche Abraham van Helsing warnt Qunicey und Holmwood, dass sie sich nicht in etwas einmischen sollen, was ihre Kräfte übersteigt, und dass der wahre Feind keineswegs Dracula ist. Aber van Helsing hat längst sein Schicksal gefunden, und auch das von Holmwood erfüllt sich.
Quincey ist mit einem Mal allein, denn sein Mentor Basarab ist nicht der, der zu sein er vorgab, und Mina muss eine schwere Entscheidung treffen, die zwar dem Wohl ihres Sohnes dient, diesen aber veranlasst, sich ganz von ihr abzuwenden. Es scheint, als würde der skrupellose, überlegene Feind triumphieren, denn nur noch drei Opfer fehlen.

Das Autoren-Gespann schafft es, die Geschichte von »Dracula« auf interessante Weise fortzusetzen und jeder Figur den Platz einzuräumen, der ihr zusteht. Es sind jedoch zwei neue Charaktere, die zum Dreh- und Angelpunkt der Ereignisse werden:
Da wäre zunächst Quincey Harker – gewissermaßen der Platzhalter des verstorbenen Quincey Morris –, der nicht versteht, weshalb die Eltern seinen Lebensweg kontrollieren wollen und wichtige Geheimnisse von ihm fernhalten. Als er schließlich die Wahrheit erfährt, zieht er die falschen Konsequenzen und arbeitet dadurch dem Feind in die Hände. Zum anderen ist die Gräfin Erzsébet Báthory zu nennen, deren weiteres Leben durch die Ehe mit einem sehr viel älteren, grausamen Mann bestimmt wurde. Als ›Blutgräfin‹ ging sie in die Geschichte ein, und auch diese gequälte Frau hat Gründe für einen Racheplan.
Das an sich lobenswerte Bestreben, alle Charaktere sowie hinreichende Erklärungen einzubinden und an die Tradition der Gothic Novel anzuknüpfen, hat durchaus Nachteile, denn die Handlung weist stellenweise Längen auf. Ferner will das Autoren-Duo zu viel auf einmal erreichen, in dem sie dem Jack-the-Ripper-Mythos zu einer neuen Variante verhelfen und zahlreiche Bezüge zu realen Persönlichkeiten herstellen, die für die Geschichte nicht relevant sind.
Dem heutigen Zeitgeist entspricht, dass die Perspektive von jedem Beteiligten berücksichtigt wird und keiner das ›Gute‹ beziehungsweise ›abgrundtief Böse‹ schlechthin ist. Die Charaktere werden differenziert mit Stärken und Schwächen, Hoffnungen und Ängsten dargestellt. Hinter allen stehen Einzelgeschichten, die die Protagonisten geprägt haben, ihre Schicksale beeinflussten und schließlich zur Vollendung führten.
Leider schießen die Autoren aber auch hier über das Ziel hinaus, indem die Motive der Gräfin Báthory zunehmend diffus erscheinen und auf simple Eifersucht, Rachsucht und Größenwahn reduziert werden. Noch schlimmer ergeht es Mina Harker, die zwischen zwei Männern, gesellschaftlichen Konventionen und Leidenschaft hin und her gerissen ist und gar, legitimiert durch die Liebe zu ihrem Sohn, zur Superheldin mutiert. Dracula scheint ein ganz anderer zu sein und agiert in Form des sich rechtfertigenden ›dunklen Prinzen‹ nur noch wie ein Schatten seines alten Selbst.
Der in »Dracula« angedeutete Aspekt des Verbotenen – vor allem der Lust und Leidenschaft – wird nun beim Namen genannt und dadurch entwertet. ›Böse Frauen‹ sind mal wieder lesbisch und haben Begierden, die der ›normale‹ Mann nicht erfüllen kann... Die Gräueltaten beschränken sich nicht auf Andeutungen, sondern werden ausgewalzt, so dass der Phantasie des Lesers nicht mehr viel überlassen bleibt.

Die Ereignisse sind schon bald vorhersehbar, und man errät die letzten Geheimnisse früh. Insofern wundert auch das offene Ende nicht, erlaubt es den Autoren doch, sollte der Roman ein Erfolg sein, einen weiteren Band folgen zu lassen.
Alles in allem ist »Dracula – Die Wiederkehr« eine weitere interessante Fortsetzung, über deren Qualität sich jeder Fan am besten selbst ein Bild macht, denn die Geschmäcker sind verschieden. An das Original von »Bram Stoker« und seine schaurige Atmosphäre heranzukommen, wird für jeden Autor immer schwer sein.