Nicole C. Vosseler: In dieser ganz besonderen Nacht (Buch)

Nicole C. Vosseler
In dieser ganz besonderen Nacht
cbj, 2013, Hardcover, 480 Seiten, 18,99 EUR, ISBN 978-3-570-15534-9 (auch als eBook erhältlich)

Von Irene Salzmann

Amber ist gerade 16 Jahre alt geworden, als ihre Mutter an Krebs stirbt. Zuvor hat diese noch alles geregelt, so dass das Mädchen nicht, wie gehofft, bei der Freundin der Mutter oder den Großeltern unterkommt, sondern nach San Francisco ziehen muss zu einem Vater, den sie in all den Jahren selten sah und kaum kennt. Ted trifft der Tod der Frau, die er noch immer liebt, tief. Er möchte versuchen, Amber endlich der Vater zu sein, der er immer hatte sein wollen. Allerdings lässt sie ihn lange nicht an sich heran, trauert um ihre Mutter, wünscht sich, so schnell wie möglich nach Deutschland zurückkehren zu dürfen und zählt die Tage bis zu ihrem 18. Geburtstag, an dem sie über sich und ihre Zukunft entscheiden darf.

Als Amber eines Abends versehentlich in eine Gegend gerät, die sie besser hätte meiden sollen, wird sie prompt von einigen üblen Typen bedrängt. Knapp kann sie in ein leerstehendes Haus flüchten, das sofort eine eigentümliche Anziehungskraft auf sie ausübt und sie veranlasst, es am nächsten Tag und wieder und wieder aufzusuchen. Plötzlich steht ein etwas älterer Junge vor ihr, der sich Nathaniel nennt, ihr zuhört und ihr die Geborgenheit gibt, nach der sie sich sehnt. Aber als sie ihn berühren will, ist da – nichts! Entsetzt flieht sie vor dem Geist und wagt sich eine Weile nicht mehr in das Haus. Mut fasst Amber erst wieder, als sie erfährt, dass sie nicht die Einzige ist, die die Seelen Verstorbener sehen kann, die aus einem bestimmten Grund nicht weiterziehen können. Kann es sein, dass Nathaniel etwas Schlimmes getan hat und dies seine Strafe ist? Tatsächlich hat sich Amber längst in ihn verliebt, und es spielt für sie keine Rolle, dass er nahezu alles über sich vergessen hat und seine Berührung kaum mehr ist als ein Windhauch. „In dieser ganz besonderen Nacht“ an Halloween wird Nathaniels Körper vorübergehend substanziell, und die beiden beschließen trotz der Warnung, dass es für sie beide gefährlich sei, wenigstens einmal richtig zusammen zu sein. Und damit nimmt das Verhängnis seinen Lauf…

Nicole C. Vosseler schildert aus der Sicht der Protagonistin – nur gelegentlich unterbrochen durch die Eindrücke und Erinnerungen ihrer ersten großen Liebe – das Schicksal eines jungen Mädchens, das erst seine Mutter verliert, dann alle Freunde und die vertraute Umgebung hinter sich lassen muss, um bei einem unbekannten Vater in einem fremden Land neu anzufangen. Immerhin hat sie den Vorteil, dass sie zweisprachig aufwuchs und darum problemlos ihre schulische Laufbahn weiterverfolgen kann. Darüberhinaus zieht sie in eine für zwei Personen sehr große Wohnung, und der Vater erweist sich als überaus geduldig, verständnisvoll, hilfsbereit und spendabel. In der Realität dürfte so etwas eher die Ausnahme sein. Trotzdem beginnt das Familienleben für Amber und ihren Vater Ted unnötig schlecht. Das Mädchen verschließt sich und will lange nicht wissen, wieso die Eltern niemals geheiratet haben und der Vater so selten zu Besuch kam. Er bleibt eine Randfigur, die jedoch wie ein Fels aus der Brandung ragt und immer als Anlaufstelle da ist, wenn etwas schief geht, auch wenn Amber das erst nicht wahrhaben will.

Halt geben ihr die wenigen Freunde an der Schule, die wie sie selbst Geister sehen können. Zuerst ist jeder von ihnen mit seinen Problemen und Ängsten allein, doch als Amber, Matt, Shane und Abby sich als Leidensgenossen erkennen, ist das Ganze nicht mehr gar so schwer zu ertragen. Außerdem finden sie Hilfe bei der etwas älteren Holly, die zwar nicht über die Gabe verfügt, sich aber intensiv mit dem Übersinnlichen befasst hat. Natürlich bahnen sich Romanzen zwischen den sympathischen, fast schon zu sehr auf Individualität und modische Szene-Kids getrimmten Charakteren an, welche aber immer wieder von Konflikten und Tragödien überschattet werden. Dreh- und Angelpunkt ist die Liebe zwischen Amber und Nathaniel, durch die sich beide in große Gefahr bringen und die mehr als schmerzliche Enthüllungen und den Tod überstehen muss. Letztlich findet jedoch jeder Topf seinen Deckel, teils auf unerwartete und zuckersüße Weise. Damit bleibt sich die Autorin selbst treu, die ihren Protagonisten ein recht günstiges Umfeld mitgibt, ihnen nicht zu viel zumutet, spannende Situationen kaum eskalieren lässt und immer wieder eine gefällige Lösung bietet. Stellenweise hat man sogar den Eindruck, dass den Beschreibungen San Franciscos, die auf persönlichen Eindrücken beruhen, Vorrang gegenüber wirklich packenden Entwicklungen eingeräumt wurde.

„In dieser ganz besonderen Nacht“ liest sich angenehm und flüssig, doch die Handlung wirkt trotz verschiedener Problematiken ‚weichgespült‘: Noch bevor Spannung aufkommen kann, wird der Konflikt bereits wieder entschärft. Die Protagonisten sind schon zu zeitgenössisch gestylt – nach Sicht Erwachsener, zum Beispiel Baggy Pants sind, vor allem in gehobeneren Kreisen, inzwischen so was von out –, zu sympathisch und zu ideal, um wirklich überzeugen zu können. Das Happy End setzt dem noch das zuckrige i-Tüpfelchen auf. Von daher möchte man den Titel romantischen Leserinnen zwischen 12 und 15 Jahre empfehlen, die sich freuen, wenn die heile Welt nie ganz zerstört und letztlich wiederhergestellt wird.