Robin LaFevers: Grave Mercy – Die Novizin des Todes (Buch)

Robin LaFevers
Grave Mercy – Die Novizin des Todes
(His Fair Assassin. Grave Mercy, 2012)
Aus dem Amerikanischen von Michaela Link
Titelgestaltung von init. Büro für gestaltung unter Verwendung des Originalumschlags mit einem Motiv von Richard Jenkins; mit einer Landkarte von Cara Llewellyn
cbj, 2012, Paperback mit Klappenbroschur, 542 Seiten, 14,99 EUR, ISBN 978-3-570-40156-9 (auch als eBook erhältlich)

Von Irene Salzmann

Die junge Ismae Rienne hat in ihrem Leben nur Ablehnung, Hass und Gewalt erfahren, erst durch ihren Vater, dann durch ihren Mann. Als dieser erkennt, dass sie ein Kind ist, das der Tod gezeugt hat, will er sie töten. Der Priester und die Kräuterhexe des Dorfes sorgen jedoch dafür, dass Ismae fortgebracht wird auf eine Insel, ins Kloster St. Mortain.

Dort wird sie, wie andere Mädchen mit einem ähnlichen Schicksal, zur Assassine ausgebildet, um der alten bretonischen Gottheit Mortain als Werkzeug zu dienen und jene zu töten, deren Ende er bestimmt hat. Dass Ismae immun ist gegen Krankheiten und Gifte, zudem den Tod spüren und die Seelen der Verstorbenen sehen kann, erweist sich bei den Aufgaben, die auf die nun 17-jährige zukommen, von Vorteil.

Die Äbtissin sendet sie an den Hof von Herzogin Anne. Zum einen soll sie der jungen Fürstin zur Seite stehen, die immer mehr in Bedrängnis gerät, weil Frankreich sich das Herzogtum einverleiben will und ihre Ratgeber wünschen, dass sie eine Zweckehe mit einem alten, grausamen Grafen eingeht, der im Gegenzug das Land mit seiner Armee zu verteidigen verspricht. Zum anderen soll Ismae Annes Bastard-Bruder Gavriel Duval als Verräter überführen und jeden töten, der ihr aufgetragen wird.

Schon bald muss Ismae erkennen, dass vieles, was ihr im Kloster beigebracht wurde, im Widerspruch zu den wahren Begebenheiten steht und dass nicht alles, was ihr befohlen wird, richtig sein kann. Wie sonst ist zu erklären, dass Annes wahre Feinde nicht das Todesmal tragen und Ismae jemanden – den Mann, den sie liebt – ermorden soll, an dessen Treue keinerlei Zweifel besteht?

Robin LaFevers bedient sich einer historischen Kulisse, die sie mittels einiger Fantasy-Elemente leicht verfremdet und zu einem packenden, romantischen Abenteuer-Roman für Leserinnen ab 14 Jahre ausarbeitet.

Schade, dass der Band keine entsprechenden Anmerkungen enthält, doch erkennt man unschwer, dass die Geschichte gegen Ende des 15. Jahrhunderts in der Bretagne spielt, deren letzte souveräne Herrscherin Anne de Bretagne (1477-1514) war. Während im Buch eine Ehe mit dem Kaiser des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation eingefädelt wird, um das Herzogtum davor zu bewahren, von Frankreich eingenommen zu werden, war sie tatsächlich mit zwei französischen Königen, Karl VIII. (Valois) und Ludwig XII. (Valois-Orleans), verheiratet und nicht mit ihrem deutsch-österreichischen Zeitgenossen, dem Habsburger Friedrich III. 1532 erfolgte die Eingliederung der Bretagne unter Franz I., der mit einer Tochter von Anne verheiratet war.

Der Roman geht nicht näher auf diese historischen Hintergründe ein, sondern macht Anne zu einem jungen Mädchen, das sich verzweifelt dagegen wehrt, von ihren Vormündern, Ratgebern und Feinden als Spielball missbraucht zu werden. Jede vermeintliche Lösung, um dieser Falle entfliehen zu können, fordert einen hohen Preis: die absolute Entmachtung durch die Kapitulation vor dem übermächtigen Frankreich oder durch die Ehe mit einem Adligen, der dann zum Herzog und Herrscher über die Bretagne wird.

Allerdings ist Anne, obwohl sie viele Handlungsanteile hat, nicht die Hauptfigur. Vielmehr dient sie – wie die meisten Protagonistinnen – als tragisches Beispiel, welchen Stellenwert Frauen lange Zeit innehatten. Stets waren sie abhängig von Männern; dem Vater, den Brüdern, sonstigen männlichen Verwandten, in deren Obhut sie sich befanden, später dem Ehemann oder Geliebten. Sie besaßen keinerlei Rechte, wurden an den nützlichsten Heiratskandidaten verschachert, mit Gewalt zum Gehorsam gezwungen, misshandelt und missbraucht. Genau das haben Ismae und die meisten Nonnen des Klosters St. Mortain erlebt, so dass sie nicht lange zögern, als ihnen die Chance geboten wird, dieser frauenfeindlichen und frauenverachtenden Welt zu entkommen, sich sogar an den Männern rächen zu können, die sie bloß als Ungeheuer kennenlernten. Die Mädchen sind richtig versessen darauf, im Namen ihres Gottes beziehungsweise Heiligen morden zu dürfen.

Das trifft auch auf Ismae zu, die ihre Bereitschaft zu töten, ständig betont und ihre Aufträge anfangs erledigt, ohne sie zu hinterfragen. Der Glaube und der Gehorsam gegenüber Mortain und der Äbtissin, die als unfehlbar gelten, bestimmt das Denken und Handeln der Novizinnen, die als Assassinen ausgesandt werden. Erst die Begegnung mit dem Edelmann Duval bringt Ismae dazu, selbständig zu denken und ihr Umfeld, ihren Auftrag neu zu bewerten. Natürlich sträubt sie sich lange dagegen, schließlich hat sie mit Männern nur schlechte Erfahrungen gesammelt, Duval ist ein Verdächtiger, und die Gefühle, die er in ihr weckt, sind fremd und beängstigend. Als sie ihnen nachgibt, scheint es jedoch zu spät für ein gemeinsames Glück zu sein.

Der Schwerpunkt der Handlung liegt auf den historischen und romantischen Aspekten. Die Fantasy-Elemente halten sich in Grenzen und beschränken sich auf einige besondere Fähigkeiten der Nonnen und das Vorhandensein mehr oder minder aktiver Gottheiten/Heiliger. Ihre Fertigkeiten haben die jungen Frauen jedoch durch Unterweisungen in verschiedenen Disziplinen erworben, darunter das Mischen von Giften, der Gebrauch von Waffen und so weiter. Ausnahmslos sind die Kinder ihrer Zeit. Die Gottheiten tragen nicht immer vertraut klingende Namen aus dem Latein oder dem keltischen Sprachraum. Mortain ist tatsächlich eine Ortschaft in der Normandie an der Grenze zur Bretagne, und mort = tot (franz.), nomen est omen.

Robin LaFevers schreibt flüssig und unterhaltsam, das Thema hat seinen Reiz, die Protagonisten sind interessant – ein wahrer Pageturner. Nur hin und wieder, wenn die Novizinnen sich besonders blutrünstig gebärden, übertreibt die Autorin ein wenig, doch schmälert das nicht den insgesamt sehr positiven Eindruck.

Auch optisch gefällt der Band: Paperback mit Klappenbroschur, Glanzcover, die Innenseiten bedruckt, großzügiges, gut leserliches Layout, als Extras eine Landkarte und ein Personenverzeichnis.

„Grave Mercy – Die Novizin des Todes“ ist spannendes Lesefutter, für das sich auch Erwachsene begeistern können. Nach der Lektüre ist man gespannt auf das zweite in sich abgeschlossene Buch „Dark Triumph – Die Tochter des Verräters“, das sich mit dem Schicksal von Ismaes Freundin Sybella befasst.