Neal Shusterman: Vollendet (Buch)

Neal Shusterman
Vollendet
(Unwind, 2007)
Aus dem Englischen von Anne Emmert und Ute Mihr
Titelgestaltung von Suse Kopp unter Verwendung eines Motivs von struck dumb
Sauerländer, 2012 Hardcover, 432 Seiten, 16,99 EUR, ISBN 978-3-411-80992-9 (auch als eBook erhältlich)

Von Andrea Tillmanns

Connor, Risa und Lev wachsen in einer nicht allzu fernen Zukunft auf, in der der Mangel an Spenderorganen und ein Übermaß an ungewünschten Kindern bizarre Folgen hat: Eltern können ihre Kinder zwischen dem dreizehnten und achtzehnten Geburtstag ‚rückwirkend abtreiben‘. Sie werden dann in sogenannte Ernte-Camps ‚umgewandelt‘ – das heißt, all ihre Körperteile werden als Spenderorgane genutzt.

Dieses Schicksal droht Connor, dem durch einen Zufall auf dem Weg zum Ernte-Camp die Flucht gelingt. In dem Chaos, das er daraufhin verursacht, kann auch Risa aus ihrem Transportbus fliehen. Lev schließlich, ein Zehntopfer, der seit seiner Geburt auf die Umwandlung vorbereitet wurde und trotz Angst davor sein Schicksal ergeben angenommen hat, wird von Connor entführt.

Auf der Flucht erfahren die drei unfreiwilligen Gefährten sowohl Verrat als auch unerwartete Hilfe, bis sie sich endlich in Sicherheit glauben. Doch auch in ihrer kleinen, versteckten Oase ist nicht alles, wie es scheint…

Der Roman greift gleich mehrere moralisch wichtige Themen auf, die gar nicht so weit von unserer Realität entfernt liegen: Was geschieht, wenn die Transplantationsmedizin immer weiter verbessert wird und eigentlich niemand mehr mit kranken Organen oder fehlenden Gliedmaßen leben müsste – wenn es nur genug Spenderorgane gäbe? Ist ein Leben mehr wert als ein anderes? Und schließlich – ist der Mensch mehr als die Summe seiner Teile? Gibt es ein Bewusstsein, und hat dieses einen festen Ort im menschlichen Körper?

Immer wieder stellt man beim Lesen erschrocken fest, wie nah die hier geschilderte Dystopie sich an unserer heutigen Realität entlang bewegt. Vieles von dem, was auf den ersten Blick völlig undenkbar erscheint, wird im Roman mit einer bizarren Logik erklärt, die sicherlich auch im wirklichen Leben nicht von jedem abgelehnt würde.

Nicht nur im Roman ist es leicht, wegzusehen, wenn nur unbekannte, vielleicht auch unbequeme Menschen betroffen sind und man eine Vision nachplappern kann, die die schlimmsten Taten rechtfertigt – so wie im Roman die schweigende Masse die Meinung vertritt, die ‚Umwandlung‘ sei kein Mord, da jeder Körperteil wiederverwertet werden müsse und die Jugendlichen daher in anderen Menschen weiterlebten. Abgesehen von der bitterbösen Grundidee bietet das Buch vor allem gegen Ende auch einige sehr harte Szenen, die nur konsequent die Handlung weiterführen, aber dennoch nicht leicht zu verkraften sind.

Eine Dystopie nicht nur für Jugendliche, die für jüngere und zartbesaitete Leser stellenweise etwas zu drastisch sein mag – und doch ein Buch, dem man gerade angesichts der aktuellen Diskussion zum Thema Organspende viele Leser wünscht.