Alan Bradley: Vorhang auf für eine Leiche – Flavia de Luce 4 (Buch)

Alan Bradley
Vorhang auf für eine Leiche
Flavia de Luce 4
(I am Half Sick of Shadows)
Aus dem Englischen übersetzt von Gerald Jung und Katharina Orgaß
Titelillustration von Isabelle Hirtz
Penhaligon, 2012, Hardcover, 314 Seiten, 19,99 EUR, ISBN 978-3-7645-3098-3 (auch als eBook erhältlich)

Von Carsten Kuhr

Auch in Bishop’s Lancy wird es einmal Weihnachten. All überall werden die Häuser geschmückt, herrscht eitel Sonnenschein. Nur in Buckshaw, dem Anwesen der altehrwürdigen de Luces, ist die Stimmung gedrückt. Die Schulden wachsen Colonel Haviland de Luce über den Kopf. Schweren Herzens beschließt er, sein Haus einer Filmcrew zur Verfügung zu stellen. So zieht ungewöhnliche Hektik in das Anwesen ein – und mit dieser Hektik auch ein richtiger Star: die Diva Phyllis Wyvern.

Um das durchlässige Kirchendach von St. Tankred zu Reparieren, stellt sich das Ensemble, angeführt natürlich von Wyvern, für eine Benefiz-Veranstaltung zur Verfügung. So sammeln sich die Honoratioren auf dem Familiensitz, um „Romeo & Julia“ in gediegener Umgebung zu goutieren. Der während der Vorführung rieselnde Schnee zwingt die Gäste dann, die Nacht auf Buckshaw zu verbringen. Während unsere naseweise Flavia noch den Leim anrührt, mit dem sie den Weihnachtsmann fangen will, um es ihren besserwissenden Schwestern endlich einmal so richtig zu zeigen, geschieht ein Mord. Verdächtige gibt es viele, doch nur einen, der bei den Ermittlungen die Übersicht behält – und das ist nicht etwa der ermittelnde Inspektor sondern einmal mehr die zwischenzeitlich 11jährige, naseweise Detektivin…

Wenn Sie die blutigen Gemetzel moderner Serienkiller nicht mehr ab können, wenn Sie es etwas geruhsamer und beschaulicher angehen möchten, dennoch aber auf den Kitzel eines perfiden Verbrechens und dessen Aufklärung nicht verzichten wollen, dann greifen Sie zu Alan Bradleys preisgekrönten Flavia-de-Luce-Romanen.

In deren mittlerweile vierten Ausgabe wandelt der Autor erneut auf den Spuren einer Agatha Christie, kombiniert dies aber geschickt und eigenwillig mit der Darstellung eines typisch britischen Dorfes Anfang der 50er Jahre und seinen ebenso liebevoll wie skurril gezeichneten Figuren. Zu den Schwestern Daphne alias Duffy, Ophelia und der Chemie besessenen Flavia gesellen sich die Köchin, Dogger, der eigenwillige Diener und der depressive Vater.

Inzwischen kennen wir diese und die anderen immer wieder auftretenden Nebendarsteller aus dem Effeff. Dennoch gelingt es Bradley, den Figuren immer neue Seiten abzugewinnen, andere Facetten ihres Charakters anzusprechen und sie überraschend aber nachvollziehbar agieren zu lassen. Gerade die Figuren sind es, die seine Romane prägen. In Details liebevoll gezeichnet nehmen sie den Leser an die Hand, zeigen ihnen nicht nur den Alltag in dem kleinen Dorf, sondern berichten auch von Geheimnissen und Abgründen, die sich bei näherer Betrachtung auftun. Nicht zu vergessen ist der typisch britische, unterkühlte Humor, der Flavia auszeichnet. Ihre Ideen, ihr Sarkasmus, mit dem sie sich ihrer älteren Schwestern erwehrt, aber auch ihr Charme mit dem sie sich voller Neugier und detektivischen Spürsinn an die Aufklärung der Morde macht, lassen sie uns schnell ans Herz wachsen. Dass dabei immer wieder, bei aller Bauernschläue und Spürsinn, eine gewisse Naivität durchscheint, passt nur zu dem Bild der 11Jährigen.

Dass Bradley dieses Mal eine typische Krimi-Kulisse – das eingeschneite Haus, in dem ein Mord geschieht – gewählt hat, tut dem Vergnügen der Lektüre keinen Abbruch. Immer wieder überrascht uns die Handlung mit so nicht erwarteten Wendungen, der Handlungsbogen ist straff, die Auflösung ebenso überraschend wie logisch, sodass der Leser das Buch zufrieden und beglückt zuschlagen kann.