Die Odyssee (Comic)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Samstag, 15. Dezember 2012 11:06
Die Odyssee
(La Odisea)
Text: Pérez Navarro
Zeichnungen: Josá Maria Martin Saurí
Übersetzung: Bernd Leibowitz
Ehapa, 2012, Hardcover, 72 Seiten, 19,99 EUR, ISBN 978-3-7704-3542-5
Von Frank Drehmel
Welcher gebildete oder halbgebildete europäische Comic-Leser hat nicht zumindest eine vage Vorstellung von den Abenteuern Odysseus’, eines großen Helden der griechischen Mythologie, der als König von Ithaka um das 12. vorchristliche Jahrhundert gelebt, gekämpft und gelitten haben soll?
Wem ist nicht das geflügelte Wort „Odyssee“ ein Begriff, das seine Wurzeln in eben jenem gleichnamigen alten Epos hat, das sich zentral um die chaotische Heimreise dieses tapferen Recken aus dem Trojanischen Krieg rankt, ein Epos, das landläufig dem Dichter Homer zugeschrieben wird, der – weder verwandt noch verschwägert mit den Simpsons und daher frei vom „Duff Beer“-Einfluss – dereinst in der „Ὀδύσσεια“ immerhin 24 Gesänge und 12200 Verse zustandegebracht haben soll?
Obschon dieses Epos quasi europäisches Gemeingut ist und in Motiven in unzähligen Filmen, Bühnenstücken und Büchern adaptiert, analysiert, zitiert oder persifliert wurde, hat sich die Neunte Kunst trotz der epischen, heldischen Elemente bislang nur zurückhaltend an einer vergleichsweise werknahe Umsetzung des Themas versucht, sondern eher den Weg der Persiflage beschritten.
Sauri und Navarro hingegen nehmen sich mit einer Ernsthaftigkeit des Homer’schen Epos’ an, die sowohl in der szenisch-erzählerischen, als auch der künstlerischen Umsetzung zum Ausdruck kommt und die das vorliegende Album zu einem eleganten, zeitlosen Klassiker macht.
Im Mittelpunkt ihrer Adaption stehen der neunte bis zwölfte Gesang Homers, die Aufnahme des schiffbrüchigen Odysseus im Hause König Alkinoos’. Hier gibt der Held, überwältigt vom anrührenden Gesang des Rapsoden Demodokos’, die Abenteuer seiner Rückreise zum Besten, beginnend mit der Blendung eines Menschen fressenden Zyklopen, über die Einkehr im Palast Circes, die einen großen Teil der überlebenden Mannen in Schweine verwandelt, und einem Abstieg in die Unterwelt bis hin zum mehrjährigen Aufenthalt in Kalypsos Reich. Nachdem sich die Zeit bei den Phaiaken und ihrem König Alkinoos ihrem Ende zuneigte, kehrt Odysseus heim nach Ithaka, wo er sich einem letzten großen Kampf stellen muss, bevor er sein Weib Penelope in die Arme schließen kann.
Trotz der Fülle und der Komplexität des Originals gelingt Navarro das Kunststück, daraus eine eigene Geschichte von geradezu eleganter Schlichtheit zu entwickeln, welche zentrale Momente des Epos verkürzt – zuweilen auf wenige Panels –, ohne es seines Zaubers oder epischen Anspruchs sowie seines Wiedererkennungswertes zu berauben. Dass der Grundtenor erhalten bleibt, ist nicht zuletzt auch Saurís grandiosem schwarz-weißen Artwork zu verdanken: mit feinen und feinsten Strichen entwirf er hochdetaillierte Bilder, welche durch präzise Schraffuren, feine Verschattungen und Schwarzweiß-Kontraste einerseits visuell äußerst lebendig wirken, andererseits dank einer antik anmutenden Ikonografie dennoch eine würdevolle Ruhe ausstrahlen.
Fazit: Die elegante-klassische, inhaltliche und visuell spannende wie würdevoll ruhige, werknahe Adaption eines der größten europäischen Epen.