Marano, Michael: Dawn Song (Buch)

Michael Marano
Dawn Song
(Dawn Song, 1998)
Aus dem amerikanischen Englisch von Eva Bauche-Eppers
Suhrkamp, 2009, Paperback, 570 Seiten, 14,90 EUR, ISBN 978-3-518-46139-6

Von Gunther Barnewald

»Dawn Song« ist der erste Roman einer neuen Reihe im Suhrkamp Verlag, die sich »Newgothic« nennt und von Dietmar Dath herausgegeben wird, der auch ein kenntnisreiches Vorwort geschrieben hat über Michael Maranos bisher einzigen Roman, für den der US-amerikanische Autor immerhin den Bram Stoker Award und den International Horror Guild Award verliehen bekommen hat.

Dabei hinterlässt »Dawn Song« einen durchaus ambivalenten Eindruck beim Leser.
Während Vorwortschreiber Dath berechtigterweise auf die herausragenden stilistischen Fertigkeiten des Autors hinweist, packt einen bei längerer Lektüre des Werks doch etwas Befremden darüber, dass es dem Buch nicht gelingt, eine Geschichte kontinuierlich zu erzählen und den Leser damit zu fesseln.
Was daran liegt, dass der Autor ständig hin- und herspringt zwischen verschiedenen Protagonisten, deren großes Manko es ist, dass sie flach und wenig überzeugend geraten sind, da sie vom Autor ohne Gefühlswelt oder nachvollziehbare Motivationen erschaffen werden. Einzige Ausnahme ist der junge homosexuelle Buchverkäufer Lawrence, dem man gerne länger und öfter folgen würde. Stattdessen sieht sich der Leser aber immer wieder mit anderen Handlungsschauplätzen konfrontiert, bei denen es Marano zwar aufgrund seiner formidablen stilistischen Fertigkeiten gelingt für Atmosphäre zu sorgen, die aber bald nicht mehr darüber hinwegtäuschen, dass die Handlung kaum noch voranschreitet, die hier erzählte Geschichte nicht wirklich ansprechen, packend oder gar interessant und frappierend ist.
Stattdessen geistern verschiedene Menschen und auch übernatürliche Wesen durch eine unterkühlte US-amerikanische Großstadt (in diesem Fall Boston) des Jahres 1990, beseelt von dämonischen Aufträgen und/oder der Suche nach dem finalen Lebensglück oder -unglück.
Dass Michael Marano dies mit Meisterhand dem Leser so verkauft, dass dieser geblendet wird von der Wortgewalt des Autors, spricht zweifellos für den brillanten Stilisten, was aber gegen ihn spricht, ist die Auswalzung der nicht besonders innovativen Geschichte auf über 500 Seiten. Hätte der Autor die gleiche Handlung kurz und knackig auf ca. 250 Seiten eingedampft und seine wunderbaren stilistischen Kunstgriffe hier zielgerichtet eingesetzt, so hätte ein absolutes Meisterwerk entstehen können.

So bleibt der Eindruck verschenkter Möglichkeiten, wie bei einem toll hergerichteten und superb verpackten Geschenk, welches sich beim Entblättern als profanes Stück Durchschnittsseife entpuppt.
Schade eigentlich, denn dass der Autor schreiben kann wie nur wenige seiner Kollegen, wird ihm niemand absprechen können. Dass dies aber wirklich alleine ausreicht, um den Leser durch die 570 Seiten zu tragen, darf bezweifelt werden.
Aus literarischer Sicht erscheint »Dawn Song« unbedingt lesenswert, was aber seinen Unterhaltungswert betrifft, da scheiden sich sicherlich die Geister.
Trotzdem ist zu hoffen, dass sich die neue Reihe mit niveauvoller Phantastik am Markt etablieren kann, denn seitdem Suhrkamp seine »Phantastische Bibliothek« eingestellt hat, fehlt ein solches Format leider völlig in Deutschland und wird schwerlich vermisst.