Dan Abnett: Planet 86 (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Freitag, 06. Januar 2012 21:13
Dan Abnett
Planet 86
(Embedded, 2011)
Übersetzung: Alfons Winkelmann
Titelbild: Nele Schütz Design
Heyne, 2011, Taschenbuch, 432 Seiten, 8,99 EUR, ISBN 978-3-453-52913-7 (auch als eBook erhältlich)
Von Thomas Harbach
Mit „Planet 86“ legt Heyne den ersten serienunabhängigen Roman des britischen „Warhammer 40.000“ und Comicbuchautoren Dan Abnett auf Deutsch vor. Der Originaltitel „Embedded“ umschreibt die Grundidee des Plots präzise. Neben einigen exklusiv für Marvel UK entwickelten Serie ist Dan Abnett in den USA in erster Linie für die Neuauflage der „Legion of Superheroes“, die Mitarbeit am „Punisher“ sowie eine Reihe von Miniserien teilweise basierend auf Kinofilmen oder Fernsehserien bekannt geworden.
Daher auch sein ausgesprochen visueller Stil, der selbst in der deutschen Übersetzung durch Alfons Winkelmann durchscheint. Der Heyne-Verlag hat das Titelbild der amerikanischen Originalausgabe übernommen, das zumindest eine kritische Distanz zum militärischen Hintergrund impliziert. Auch tituliert der Heyne Verlag den Roman als „Space Action“, der Start einer neuen Unterreihe im ausgedünnten Science Fiction Programm.
Insbesondere zu Beginn seines in den USA bei Harper Collins Tochter Angry Robot veröffentlichten Romans „Planet 86“ hat der Leser nicht das Gefühl, das Werk eines Europäers zu lesen. Der Grad zwischen ideologischer Blindheit und offener Kritik an der insbesondere amerikanischen Expansionspolitik und Paranoiahaltung nach den Anschlägen vom 11. September ist schmal, ausgesprochen schmal. Erst im Verlaufe der ausgesprochen stringenten Handlung mit leider eher eindimensionalen Charakteren und einem Hang zum Waffenfetischismus beginnt Abnett seine politische Haltung zu relativieren und lässt in erster Linie Kritik an der unheiligen Vermischung von Politik sowie reinen Wirtschaftsinteressen aufflackern. Die so propagierten höheren Ideale, für welche in erster Linie amerikanische Elitesoldaten ins Feld ziehen (und noch: schlimmer sterben), werden als zynisch entlarvt und „Planet 86“ gewinnt auf den letzten Metern die notwendige Tiefe, welche den Roman trotz einiger plottechnischer Kapriolen und unlogisch erscheinender Konstruktionen zu einem in einer Linie spannenden Buch reifen lassen.
Die vielleicht größte politische Überraschung des Buchs ist der Rückgriff auf die Zeiten des Kalten Krieges, denn nicht die Chinesen oder Asiaten sind die größten Konkurrenten der Amerikaner – eindeutig kürzt Abnett United States ab –, sondern die Russen. Auf dem Planeten 86 – Namen sind in dieser Zukunft wie Schall und Rauch – mit auch strategisch wichtigen Bodenschätzen stehen sich Amerikaner wie Russen in einem immerhin schon 300 Jahre andauernden Kalten Krieg gegenüber. Wie in den von den Amerikanern zur Befriedung besetzten Gebieten im Nahen Osten scheint es auch unter der Oberfläche 86s zu rumoren. Lex Falk ist eine Art klassischer Reporter, der für eine natürlich unter die Oberfläche gehende Sensationsreportage auf den Planeten geschickt worden ist. Anfänglich führen ihn die Militärs buchstäblich an der Nase herum und versuchen ihm die offizielle Propaganda einzutrichtern. Je länger sich Falk auf dem Planeten aufhält, desto ersichtlich wird, dass die Zivilbevölkerung – woher die wirklich kommt, macht Dan Abnett niemals überzeugend klar – gegen die militärischen Machthaber rebelliert. Da weitere Anschläge auch die wirtschaftlichen Interessen der Konzerne bedrohen, wird der Planet quasi medientechnisch isoliert und Lex Falks Arbeit blockiert.
Im ersten Drittel des Romans spult Dan Abnett im Grunde das klassische Klischeeprogramm mit dem selbstverliebten eitlen Reporter; seine Attraktivität hinsichtlich des weiblichen Geschlechts und seine zumindest in der Theorie vorhandene Spürnase. Durch einen Zufall erhält Falk die Chance, quasi im Bewusstsein eines der Soldaten mit in den Krieg zu ziehen. Die Aktion muss rasend schnell durchgeführt werden, da sich alle Freiwillige diesen Prozess aus unterschiedlichen Einheiten bereit machen. Der Konzern sucht in Lex Falks Beobachterstatus auf Augenhöhe die Chance, die Russen für die Aufstände verantwortlich machen zu können. Lex Falk ist der Überzeugung, eine vollkommen neue Art der Reportage kreieren zu können. Eine Mischung aus „Blair Witch Project“ und „Cloverfield“ folgt. Sein Partner Nestor Bloom hofft, den eher ungebetenen Gast schnell wieder loszuwerden und der Leser weiß, in welche Richtung Dan Abnett sehr geradlinig zielt. Bei zwei Bewusstseins in einem Körper kann es nur einen geben. Nestor Bloom wird bei einem Angriff durch einen Kopfschuss schwer verletzt und Lex Falk bleibt nichts anderes übrig, als den Körper zu übernehmen.
Während die erste Hälfte des Buches inklusiv einer Reihe von kleinen Insiderwitzen – so wird eine Waffe nach dem Science-Fiction-Autor H. Beam Piper benannt – eher vorhersehbar und stellenweise recht langatmig geschrieben worden ist, unterhält Dan Abnett in der zweiten, deutlich dynamischeren und stellenweise kritischeren zweiten Hälfte auf einem deutlich höheren Niveau. Die Konstellation des Plots ist dabei ein wenig fragwürdig und erinnert teilweise an eine Variation James Camerons „Avatar“. Es stellt sich unwillkürlich die Frage, warum insbesondere die Amerikaner Milliarden in die High-Tech-Ausbildung ihrer Soldaten stecken, wenn anscheinend ein wacher wie unabhängiger Geist ausreicht? Lex Falk übernimmt zu sehr nach anfänglichen Schwierigkeiten das Kommando nicht nur über Nestor Blooms intellektuell verwaisten Körper, sondern über die Teile der noch nicht aufgeriebenen Kommandoeinheit. Parallel findet er heraus, dass alleine die Rohstoffe des Planeten 86 nicht ausreichen, um einen derartigen Krieg zu führen. Natürlich gibt es Geheimnisse hinter den Kulissen, die Lex Falk überwiegend in einer Art Solomission in fremden Körper eruiert. Dan Abnett impliziert, dass Lex Falk nach Blooms Verletzung auf dessen Erinnerungen und Erfahrungen zurückgreifen kann, diese absolute Vernetzung wird aber weder medizinisch extrapoliert, noch wirkt sie überzeugend.
Viele Kleinigkeiten wirken ein wenig zu simpel konstruiert und Dan Abnett versucht in einer Art flächendeckenden Kritik alles eher schwarzweiß über einen abgenutzten Kamm zu scheren. Als Engländer unterliegt er zwar nicht dem überwiegend amerikanischen Hurra-Patriotismus, kritisch differenzieren möchte er allerdings auch nicht. Hinzu kommt eine – wie schon angesprochen – durchgehend eher eindimensionale Charakterisierung der wichtigsten Protagonisten, die eher an Science-Fiction-Streifen wie „Soldier“ oder mit Abstrichen „Aliens“ erinnert. Ein wenig mehr Persönlichkeit hätte dem Buch auch in den Actionszenen sehr gut getan. Es fällt stellenweise schwer, die einzelnen Figuren mit Ausnahme Falks auseinander zu halten.
Positiv dagegen stellt Dan Abnett insbesondere den Krieg in einem unwegsamen Gelände trotz des Einsatzes von modernster Technik und ausgebildeten Elitesoldaten als militärisches Glücksspiel dar. In dieser Hinsicht folgt der Autor dem gegenwärtig militärkritischen Hollywood, das in einer Reihe von warnenden Filmen die Grausamkeit der Krieg insbesondere im Irak und Afghanistan förmlich gegeißelt hat. Zwar fehlt dem Buch die kritische Tiefe, die Joe Haldemans „Der ewige Krieg“ im Gegensatz zu Robert A. Heinleins „Starship Troopers“ auszeichnete, aber Dan Abnett bemüht sich zumindest um eine zeitkritische Haltung. Trotz der anfänglich drohenden archaisch erscheinenden Konzeption eines Ost-West Kalten Krieges, verzichtet der Autor auf politisch schwarzweiß Malerei und konzentriert sich insbesondere gegen Ende auf die ausschließlich wirtschaftlichen Interessen, die anscheinend hinter jeder militärischen Auseinandersetzung stehen und der Reichweite der Leser erst auf Augenhöhe mit dem agierenden Protagonisten sowie einzigen zu positiv gezeichneten „Helden“ erahnen kann.
Dass der Autor teilweise der Faszination der Technik, des militärischen Gemeinschaftssinns unterliegt, steht auf einem anderen Blatt und darf nicht gänzlich, trotz aller guten Ansätze unter den Tisch gekehrt werden. Immer wieder hat der Leser das unbestimmte Gefühl, als befände er sich eher in einem „Warhammer 40.000“-Roman denn in einer Military-SF-Geschichte. Im Grunde arbeitet sich der Autor durch die einzelnen Sujets, beginnend mit der kurzen Erholungszeit der Soldaten zwischen den einzelnen militärischen Aktionen; dem geplanten Beginn der Mission über das logische wie unabwendbare Chaos hinter den Linien bis zur Auflösung insbesondere der wirtschaftlich politischen Hintergründe. Wie John Scalzi kann Dan Abnett dem teilweise ideologisch verbrannten Subgenre der Military SF interessante neue Impulse einhauchen. Im Gegensatz zum Amerikaner ist seine Charakterisierung wichtiger Handlungsträger noch zu eindimensional, zu bemüht, sowie zu wenig natürlich. Der in erster Linie dialogtechnische Humor wirkt teilweise eher gezwungen als natürlich. Auf der anderen Seite kann Abnett insbesondere militärische Actionszenen hervorragend schreiben und eine beklemmende, bedrohliche Atmosphäre entwickeln, die den interessanten Plot über die ruhigeren und nicht immer überzeugend geschriebenen Passagen hinweg trägt.
„Planet 86“ ist trotz der angesprochenen Schwächen ein interessanter Roman mit einer nicht unbedingt neuen Idee, die aber ausgesprochen effektiv in einen harten Military-SF-Roman integriert worden ist.