Daddy (Comic)

Daddy
Text & Zeichnungen: Matthias Schultheiss
Splitter, 2011, Hardcover, 72 Seiten, 15,80 EUR, ISBN 978-3-86869-442-0

Von Frank Drehmel

Im Jahre 2010 reüssierte der in Hamburg lebende und arbeitende Künstler Matthias Schultheiss, der – lässt man seine Karriere Revue passieren – fast schon zum Urgestein der deutschen Neunten Kunst gehört, nach Ausflügen in andere Tätigkeitsfelder mit dem Comic „Die Reise mit Bill“ erneut in Deutschland. Für den Splitter Verlag, der ohnehin zunehmend deutschen Künstlern eine Plattform bietet, war das Anlass genug, mit „Daddy“ ein zweites Album auf den Markt zu bringen, dessen Story bis dato noch nicht in Deutschland veröffentlicht wurde.

Im Mittelpunkt der Geschichte steht die Theodizee-Frage, also – vereinfacht gesprochen-– die Suche nach einer Erklärung für das Leid in der Welt; eine Frage, auf die Schultheiss eine ihm ganz typische düster-humorvolle, originelle und fast schon philosophische Antwort gibt. Aber der Reihe nach.

Irgendwann in einer mehr oder weniger nahen Zukunft: Gott schickt seinen Sohn ein zweites Mal auf die Erde, damit er sich den Menschen offenbare und sie zurück zum Glauben führe. Doch Jesus vermutet hinter all dem eine perfide Intrige seines allmächtigen Vaters und weigert sich daher, seine Rolle in diesem Spiel zu spielen. Zur Strafe schlägt ihn Gott mit Blindheit, stellt ihm jedoch einen höllischen Wiedergänger als Führer und Versuchung zugleich an die Seite, damit er trotz allem die Welt der Menschen relativ unbeschadet durchschreiten kann und Entsagung vom Bösen erlerne.

Fortan wandert also ein blinder Jesus in Begleitung eines bösartigen „Narren“ – Adolf Hitler – durch eine Zeit des Todes und Verwüstung. Insbesondere das Leiden der Kinder dieser Welt zerreißt dem Sohn Gottes sprichwörtlich so das Herz, dass er selbst sein Dasein nur im Drogenrausch ertragen kann. Verlassen von seinem bösen, perfiden Herrn und Vater, wirkt der wiedergeborene Heiland vereinzelte Wunder an sterbenden Kleinen, auch wenn dieses Wirken einem Kampf gegen Windmühlen gleichkommt. So vereinzelt die Wunder auch sind, sie entgehen nicht dem Klerus, der in dem gütigen Blinden den Messias erkennt und der seine eigene Macht bedroht sieht. Auf Geheiß des Papstes nimmt man Jesus gefangen, um ihn im Petersdom ein zweites Mal in aller Heimlichkeit zu kreuzigen. .., ein schwerer Fehler, wie sich alsbald herausstellt!

Nicht ohne Pathos rechnet Schultheiss in seiner Erlöser-Geschichte nicht nur radikal mit der Institution der Kirche ab, sondern bemüht sich redlich, die Fundamente des christlichen Glaubens an sich zu zertrümmern. Zwar spricht er Gott nicht die Allmächtigkeit ab, dafür jedoch jegliche selbstlose Güte, welche Christen landläufig als Prämisse setzen. Konsequent setzt er Gott und Teufel gleich, um diese (ethische) Gleichheit ein ums andere Mal mit einleuchtenden, emotional nahe gehenden Beispielen illustriert.

Dabei vollzieht sich diese Illustration in visueller Hinsicht weniger in den wuchtigen, düster kolorierten, ganzseitigen Panels, sondern in zahlreichen kleinen, wie zufällig eingestreuten und über die eigentlichen Bilder gelegten, kindlichen Skizzen, die genau die Traumata thematisieren, die unzähligen Kindern täglich widerfahren, vom Missbrauch, über häusliche Gewalt, Krieg und Trennung, Skizzen in denen sich Kinder selbst als verstümmelte, leidende, missbrauchte und hilflose Menschen zu sehen scheinen. Ergänzt wird dieser bildhafte pathetische Ansatz textlich sowohl düsteren in den Dialogen zwischen Jesus und seinem Narren, Hitler, als auch insbesondere durch „Narrative Box“-Erläuterungen eines neutralen Erzählers, die in ihrer Diktion an Bibel-Passagen erinnern.

Abgemildert wird die Düsternis und Hoffnungslosigkeit von Bildern wie Texten zum einen durch einen rabenschwarzen Humor, zum anderen durch eine durchaus vorhandene Dynamik und Actionorientierung

Fazit: Auch wenn das Gottesbild und die Theodizee-Lösung, die Schultheiss in seiner Geschichte vertritt beziehungsweise vorschlägt, auch im Comic nicht ganz neu sind – Garth Ennis’ „Preacher“ oder „Chroniken von Wormwood“ zielen zumindest in eine ähnliche Richtung –, so ist die gleichermaßen düstere und emotional anrührende wie actionreich, dynamische Inszenierung auf jeden Fall ein weiteres Highlight im Splitter-Programm.