Anna Sheehan: Während ich schlief (Buch)

Anna Sheehan
Während ich schlief
(A long, long Sleep, 2011)
Aus dem Amerikanischen von Karin Diemerling
Titelgestaltung von UNO Werbeagentur unter Verwendung von Motive von Corbis/Judith Haeusler und FinePic
Goldmann, 2011, Paperback, 352 Seiten, 12,00 EUR, ISBN 978-3-442-47565-0

Von Irene Salzmann

Die 16-jährige Rosalinda Fitzroy erwacht in einer ihr völlig fremden Welt. Über 60 Jahre sind vergangen, seit sie von ihren vermögenden Eltern in Stasis versetzt wurde. Viel ist geschehen. Alle, die sie kannte, sind tot, und die Erde hat sich radikal verändert. Nur eines ist geblieben: die Firma der Eltern, die Rose gehört, wenn sie erwachsen ist.

Bis dahin soll sie in der Obhut eines Ehepaares bleiben, die Schule besuchen und Fuß fassen in einer Zeit, in der sie rund 100 Jahre alt wäre, hätte sie ein normales Leben geführt. Sehr schnell erfährt Rose, dass sie in den Augen anderer ein Freak ist. Vor allem ihre Mitschüler neiden ihr die Position, die sie eines Tages innehaben wird.

Allein Brendan Sabah, der die Stase-Röhre zufällig entdeckte und Rose erweckte, ist nett zu ihr und stellt sie seinen Freunden vor. Doch auch diese wahren Distanz, und vor allem Otto Sextus, der als Embryo Alien-DNA injiziert bekam, reagiert sehr extrem. Seine Gründe erfährt Rose später, und was in ihm vorgeht, ist völlig anders, als das verwirrte Mädchen annahm.

Die Situation wird komplizierter, als Rose Bren gesteht, dass sie ihn mag, und zurückgewiesen wird. Um sich peinliche Momente zu ersparen, legt sie sich in ihre Stase-Röhre und wird erneut von Bren geweckt, der sein Verhalten bereut. Aber der Zeitpunkt, ihre Freundschaft auf ein neutrales Level zu heben, ist denkbar ungünstig, denn ein Plastobot wurde auf Rose angesetzt, und es gibt sehr wohl Personen, die froh wären, würde die Firmen-Erbin eliminiert…

Die Hauptfigur Rose, aus deren Sicht die Ereignisse geschildert werden, ist ein Mensch der nahen, düsteren Zukunft: Überbevölkerung, sehr wenige Superreiche und die Masse der Armen, abgeschottete Wohnkomplexe und Ghettos, Ressourcenknappheit und die Rückkehr ausgerottet geglaubter Seuchen etc. Als Rose in einer ferneren Zukunft erwacht, haben die Überlebenden eine neue Ordnung geschaffen.

Obwohl die Veränderungen nicht allzu krass scheinen, da sich Technologie und Sprache nicht sprunghaft entwickelten – man kann Vergleiche ziehen zwischen den Mobil-Telefonen/Handys der 1980er Jahre und den aktuellen i-Pads oder den Computern der 1960er Jahre und den Notebooks von heute –, hat Rose Probleme, sich anzupassen, da sie extrem behütet aufwuchs und andere ihr stets Arbeiten und Entscheidungen abnahmen. Die Jargon-Ausdrücke der Jugendlichen begrenzte die Autorin auf etwa ein halbes Dutzend, um den Lesefluss nicht zu hemmen.

Die Welt, die Rose kannte, und jene, die sie kennenlernen muss, erschließen sich dem Leser erst nach und nach. Geschickt platzierte Rückblenden schieben spannende Entwicklungen weiter nach hinten und erklären so Manches, was Rose beschäftigt beziehungsweise ihr Handeln beeinflusst und sich weiterhin auswirkt. Besondere Bedeutung kommt dabei Xavier zu, der als Krabbelkind zu ihrem Spielkameraden wird und im Laufe der Zeit im Alter zu ihr aufschließt, ihr Freund und Vertrauter, schließlich ihr Liebster wird. Seinetwegen rebelliert sie gegen ihre übermächtigen Eltern, aber…

Da Xavier ein begnadeter Hacker ist, vermutet man zunächst, dass er den Plastobot schickt, damit dieser ihm seine große Liebe zurückbringt. Doch nach all den Wirren, während denen die Bevölkerung dramatisch schrumpfte, vermutet man ihn unter den Opfern und das Maschinenwesen kontrolllos. Das Puzzle hält jedoch noch eine bessere Überraschung parat, das ein ganz neues Licht auf Roses Familie, die Stase-Röhre und die Minderwertigkeitsgefühle des Mädchens wirft.

Interessant sind die Beziehungen, die Rose nach ihrem Erwachen knüpft. Es gibt Menschen, die sie benutzen wollen, um sich Vorteile zu verschaffen, solche, die sie eliminieren wollen, um die eigene Macht zu bewahren – und die wenigen, die es gut mit ihr meinen. Dabei spielen Bren und Otto variable Rollen, und alles bleibt offen. Das und auch einige weitere Informationen lassen den Schluss zu, dass die Autorin wenigstens noch einen Roman schreiben könnte, um auch noch die letzten Fragen zu beantworten und vielleicht doch ein ‚richtiges Happy-End‘ zu inszenieren.

Zwischen all den derzeit romantischen Vampiren und Werwölfen oder den geheimnisvollen Elfenkriegern ist ein SF-Roman, selbst wenn das Thema des zeitversetzten Protagonisten alles andere als neu ist („Andrax“, „Storm“, „Dani Futuro“, „Captain America“, „Buck Rogers“ etc.), eine wohltuende Abwechslung. Hat man beispielsweise Spaß an Titeln wie Jackie Kesslers „Icarus Project“ oder Lilith Saintcrows „Dante Valentine“, dürfte man auch von diesem Roman sehr angetan sein.