Elena Melodia: Nacht – Das Land der verlorenen Seelen 1 (Buch)

Elena Melodia
Nacht
Das Land der verlorenen Seelen 1
(Buio, 2009)
Aus dem Italienischen von Karin Diemerling
Titelgestaltung von ZERO Werbeagenturunter Verwendung eines Motivs von FinePic
Pan, 2011, Hardcover, 448 Seiten, 16,99 EUR, ISBN 978-3-426-28333-2 (auch als eBook erhältlich)

Von Irene Salzmann

Alma ist 17 Jahre alt, und ihr bisheriges Leben verlief wenig glücklich. Der Vater verlässt die Familie und kümmert sich nicht um die Tochter. Der Stiefvater, dem Alma einen Bruder, Evan, und eine Schwester, Lina, verdankt, bringt sich um, und seither ist Lina stumm. Alma überlebt als Einzige einen Autounfall, bei dem ihre beiden Freundinnen sterben. Seither hat sie eine kleine Narbe, Kopfschmerzen und Albträume.

Da sie hübsch und ‚cool‘ ist, wird sie von den meisten anderen Schülern bewundert. Zusammen mit Naomi, Selina und Agatha bildet sie ein Kleeblatt, das füreinander einsteht. Als Selina durch ein Nacktfoto kompromittiert wird, üben die vier Rache an dem Jungen, der es heimlich geschossen und verbreitet hat. Dabei zeigt Agatha eine Grausamkeit, die alle erschüttert. Obwohl Adam teuer zahlen muss, stürzt Selina in eine tiefe Krise.

Wenig später ist es Naomi, die in Schwierigkeiten gerät, weil sie sich mit einem Jungen und einer Clique einlässt, die ein furchtbares Geheimnis hütet und dem ahnungslosen Mädchen schlimme Dinge antut. Allein Alma und Morgan, ein mysteriöser Mitschüler, der mehr weiß, als er verrät, ist es zu verdanken, dass Naomi noch lebt. Auch Agatha, die nach dem Tod ihrer Eltern bei einer schwerkranken Tante lebt, versucht Alma zu helfen. Doch Agatha zieht sich immer mehr zurück, wird aggressiver – und weshalb verbringt sie so viel Zeit mit dem Chemie-Lehrer? Alma bricht in das Haus von Agathas Tante ein und entdeckt Schreckliches.

Und auch Alma selbst bleibt nicht von Ereignissen verschont, die sie ängstigen. Wieso träumt sie von grässlichen Morden und schreibt diese Visionen im Schlaf in einem Heft nieder? Wer sind die seltsamen Männer, die sie verfolgen? Was will Morgan ihr nicht verraten? Kann sie ihm wirklich vertrauen, oder stellt auch er eine Gefahr für sie dar? Und welche Rolle spielt der antiquiert wirkende Schreibwarenladen, in dem Alma das Heft und den Füller erstand?

„Nacht“ ist der Auftaktband einer erfolgreichen phantastischen Serie aus Italien – so wird für das Buch geworben. Leider findet man wenige Informationen über die Autorin und ihr Werk. Elena Melodia wurde in Verona geboren, wo sie auch heute noch lebt, und arbeitete für einen Jugendbuchverlag, bevor sie selbst zu schreiben anfing.

Ihr Debüt-Roman beginnt sehr geheimnisvoll. Man lernt zunächst die Hauptfiguren und ihre wichtigsten Bezugspersonen kennen, erfährt von merkwürdigen Vorkommnissen in der Vergangenheit und Gegenwart beziehungsweise von Tragödien und ist sogleich mittendrin in einer komplexen Handlung. Im ersten Moment wirkt Alma kühl, unnahbar, arrogant und nicht wirklich sympathisch. Auch Leserinnen zwischen 15 und 18 Jahre, denen sie als Identifikationsfigur angeboten wird, dürften etwas irritiert sein, da Alma nicht der übliche schräge Außenseiter ist, sondern jemand, der selbstbewusst Beachtung entgegennimmt und keine Hemmungen hat, Ärger zu machen, beispielsweise die Strafaktion gegen Adam und die Mutproben, denen sich Schüler unterziehen müssen, die mit ihr befreundet sein wollen (ohne dass jene Namen erhalten, in die Handlung einbezogen werden und tatsächlich zu Freunden werden).

Als die Probleme eskalieren, beginnt Alma, sich zu verändern. Ihre Fassade bröckelt, sie wird emotionaler und sorgt sich um die Menschen, die ihr nahe stehen. Sie hat Angst, verliert ihre Überheblichkeit und ist auf die Hilfe anderer angewiesen, als sie selber in den Fokus Unbekannter rückt. Trotzdem bringt sie Steine ins Rollen und hat dabei viel Glück, zum Beispiel als sie zu ermitteln beginnt und dabei das Wissen eines Polizisten und eines Journalisten nutzt und als sie in Agathas Haus eindringt. Almas Familie dient in erster Linie als Kulisse, ihre Freundinnen als Opfer und Morgan als ihr geheimnisvoller love interest, der mit jeder Antwort wenigstens drei neue Fragen aufwirft. Die Romanze bleibt harmlos und nimmt keinen großen Raum ein, teils weil Alma nicht recht weiß, was sie von Morgan halten soll, teils weil auch das Verhältnis der beiden wichtig für die Story ist und aus diesem Grund nicht zu schnell vorangetrieben wird. Darüber hinaus gibt es nur wenige weitere Figuren.

Zusammen mit Alma entdeckt der Leser viele Geheimnisse, die zum Spekulieren einladen. Vermutlich gibt es Zusammenhänge, die erst später deutlich werden. Die vagen Hinweise sind erst der Anfang und wecken die Neugier, so dass man gespannt auf die Fortsetzung wartet. Das Buch endet offen – und das ist unbefriedigend.

Elena Melodia schreibt flüssig und zieht den Leser schnell in die Handlung hinein. Anfangs übertreibt sie es noch etwas mit den kryptischen, gewollt mysteriösen Formulierungen, doch je weiter die Autorin kommt, umso sicherer wird sie, die Handlung entwickelt sich kontinuierlich und ist schließlich auf solche Hilfen nicht mehr angewiesen.

Mystery-Freunde, die auf Vampire und Werwölfe verzichten können, werden fasziniert von diesem etwas anderen Thema sein. Man merkt, dass Elena Melodia von ihrer Arbeit geprägt wurde, denn eigentlich ist „Nacht“ ein Jugendbuch – oder für young adults, was die Zielgruppe besser beschreibt. Auch das reifere Publikum wird gut unterhalten, sofern es sich auf die jungen Protagonisten einlassen kann. Schätzt man Serien wie „House of Night“, „Evermore“, „Evernight“ oder „Vampire Academy, wird man auch an “Nacht” und den Folgebänden, die hoffentlich nicht lange auf sich warten lassen, viel Freude haben.