The Unwritten oder das wirkliche Leben 1 (Comic)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Donnerstag, 03. November 2011 21:14
Mike Carey & Peter Gross
The Unwritten oder das wirkliche Leben 1
Tom Taylor und die gefälschte Identität
(The Unwritten #1-5, 2009)
Aus dem Amerikanischen von Gerlinde Althoff
Titelbild & Zeichnungen von Mike Carey & Peter Gross
Panini, 2011, Paperback mit Klappenbroschur, 148 Seiten, 16,96 EUR, ISBN 978-3-86201-209-1
Von Frank Drehmel
Tommy Taylor ist ein Medienstar ganz ohne eigenes Zutun. Als Kind diente er seinem Vater, Wilson Taylor, deutlich erkennbar als Vorlage für die gleichnamige jugendliche Hauptfigur einer Romanserie, die mittlerweile zu einem kulturellen Massenphänomen avancierte und deren Hype selbst Harry Potter in den Schatten stellt.
Für Tommy allerdings bedeuten der Kult, das Leben im Rampenlicht, die Signierstunden und Pressekonferenzen auf einschlägigen Conventions nicht nur Stress, er fühlt sich zunehmend auch als Experiment seines Vaters; nur dass er eben den nicht mehr fragen kann, da Wilson Taylor vor einigen Jahren spurlos verschwunden ist.
Während einer dieser Pressekonferenzen äußert die Reporterin Lizzie Hexam den Verdacht, dass Tommy nicht der leibliche Sohn Wilson Taylors sei und belegt diese These auch so eindrucksvoll, dass der Hype der Massen in blanken Hass umschlägt und sich der junge Mann auf einmal in der Rolle des Verfolgten wiederfindet, gejagt von den Medien, gehetzt von enttäuschten Fans und bedroht von Mächten, die noch seine Vorstellung übersteigen. Ehe er sich versieht befindet sich Tommy im Zentrum einer Verschwörung quasi am Rande seiner Realität, einer Verschwörung, die lange zurückreicht und die von Personen getragen wird, die wissen, dass Worte Macht bedeuten und die vor nichts zurückschrecken, um ihre dubiosen Ziele zu verfolgen und durchzusetzen. Und je näher Tommy der Wahrheit kommt, desto gefährlicher wird es für ihn; würden nicht Eingeweihte wie Lizzie hinter ihm stehen, wäre sein Leben keinen Pfifferling mehr wert.
„The Unwritten“ ist ein gleichermaßen ungewöhnliches Comic wie eine leichte, unterhaltsame Abrechnung mit der Mediengesellschaft, mit Social Networks und Stereotypen literarischer, – allgemeiner – kultureller und generell gesellschaftlicher Art.
Ungewöhnlich ist zunächst der Aufbau der Geschichte, der mehrere Erzähl- und Wahrnehmungsebenen miteinander verflechtet: neben der Haupthandlung um den „realen“, den fast erwachsenen, von den Medien profitierenden und an den Medien leidenden Tommy, stehen sowohl kurze Szenen, in der die im Comic-Kontext fiktive Romanfigur – der kindliche Tommy Talyor – als Protagonist fungiert und die visuell durch eine blassere und farbreduzierte Koloration erkennbar sind, als auch gleichsam kurze Einblendungen aus (fiktiven) Chatroom-Dialogen, Website- und TV-Nachrichten. Die dadurch erzeugte Authentizität untermauerte Carey durch unprätentiöse, lockere Bezugnahmen auf Figuren wie Harry Potter und Timothy Hunter – ein Kniff übrigens, der selbst dem nörgeligsten Leser Carrey gewogen macht, denn der fiktive Tommy sieht in der Tat aus wie ein Klon dieser beiden Helden –, auf historische Persönlichkeiten wie Mary Shelley, Samuel Clemens, Rudyard Kipling und H.P. Lovecraft oder auf landläufige Spielarten der Horror-Literatur. Doch die authentische Atmosphäre währt nie sonderlich lange, da sie immer wieder durch surreale Geschehnisse und Ereignisse durchbrochen wird, welche neben einigen Action-Momenten maßgeblich die Spannung befördern, da sie nahelegen, dass hinter der medialen, gesellschaftlichen Realität etwas Unbestimmtes wirkt.
Während die Story ungewöhnlich originell daherkommt, wirkt das klare Artwork zwar nicht langweilig, bietet aber jenseits mainstreamhafter Gefälligkeit nur wenige visuell aufregende Momente. Immerhin steht es durch die Rücknahme eines eigenen künstlerischen Anspruch ganz im Dienst der Geschichte und läuft nicht Gefahr, dass die verwickelte Handlung in visuellem Bombast oder Nebensächlichkeiten verloren geht.
Fazit: Ein munteres, originelles und für das Comic-Genre ungewöhnlich tief- und hintergründiges Spiel mit Phänomenen einer modernen Medien-Gesellschaft. Nicht ohne Grund mehrfach für den Eisner Award nominiert.