Gesa Schwartz: Nephilim – Die Chroniken der Schattenwelt 1 (Buch)

Gesa Schwartz
Nephilim
Die Chroniken der Schattenwelt 1
Titelillustration von Max Meinzold
Lyx, 2011, Paperback mit Klappenbroschur, 64 Seiten, 12,99 EUR, ISBN 978-3-8025-8457-2 (auch als eBook erhältlich)

Von Carsten Kuhr

Ich bin der Teufelssohn, Gejagter und Jäger zugleich, gefürchtet, gehasst und verfolgt. Ich bin ein Nephilim, aber auch weit mehr – und ich habe keine Heimat, denn ich gehöre nirgends dazu. Manches Mal denke ich, es wäre für alle besser, wenn ich mich den mich verfolgenden Engeln stellen würde. Dann wäre es endlich vorbei.

Ich bin ein Seiltänzer zwischen Licht und Schatten, dazu verdammt, ein Krieger der Schatten zu werden, immer in Versuchung, den Einflüsterungen des Teufels nachzugeben. Und eines Tages werde ich den Verlockungen des Fürsten der Hölle nicht mehr widerstehen können – und dann wird die Erde fallen, die Menschheit vernichtet und Gott weinen.

Doch beginnen wir am Anfang. Vor ein paar wenigen Wochen noch lebte ich als Tellerwäscher und Schüler in Rom. Seit dem Unfalltod meiner Eltern, der mich neben meiner Seelenruhe auch noch die Kraft meiner linken Hand beraubte, wuchs ich bei meiner Tante auf. Dass ich neben der Schule bei einem Ausbeuter von Wirt für die Sauberkeit des Bodens und der Teller zuständig war, ermöglichte es mir, meinen Freunden, den Obdachlosen, ab und an eine warme Mahlzeit zukommen zu lassen. Als einer dieser Freunde von Bhrorok. einem Dämon, entstanden aus dem Zorn des Donners als Himmel und Hölle zerbarsten, verdorben in den Ruinen des faulenden Fleisches der Welt, der auf der Suche nach dem Teufelssohn ist, zu Tode gefoltert wird, wird mein bis dahin eher beschauliches Leben so richtig interessant.

Antonio, ein Engel, der sich von den himmlischen Heerscharen losgesagt hat, klärt mich über die wahre Welt auf. Verfolgt von Engeln und Dämonen gleichermaßen bringt er mich an den einzigen Ort, an dem die von den Engeln gnadenlos gejagten Nephilim sicher sind – nach Bantoryn. Doch selbst hier, in der von Antonio gegründeten Stadt, bin ich weder willkommen noch sicher. Ständig in Gefahr, den Einflüsterungen des Teufels zu verfallen, verfolgt von Dämonen und von den Nephilim-Schülern, verachtet und ausgegrenzt, nehme ich meine Ausbildung auf. Denn eines ist klar – wenn ich auch noch den Hauch einer Chance auf Überleben haben will, muss ich meine magischen Kräfte entwickeln, meine Schwingen zum Fliegen nutzen können und lernen zu kämpfen...

Grim legt eine Pause ein. Statt uns mit dem dritten Band ihrer Urban-Fantasy-Bestsellerer-Reihe zu verwöhnen, präsentieren Autorin und Verlag den Start einer neuen Serie. Nicht um Gargoyles geht es dieses Mal, sondern um Engel, Dämonen und deren Abkömmlinge. Dabei sind aber auch Ähnlichkeiten festzustellen. Erneut besucht die Autorin eine ihrer Lieblingsstädte – vorliegend Rom – und berichtet uns von tief unter der Erde gelegenen Städten.

Geschickt baut die Autorin ihren Erzähler auf. Ein junger Mann wird uns vorgestellt, ein entwicklungsfähiger Charakter, der wahrlich nicht auf Rosen gebettet aufwächst. Statt sich aber im Elend seines Schicksals zu suhlen hat Nando die innerliche Größe, mit den Ausgegrenzten, den Vergessenen und Verelendeten Mitleid zu haben. Als dieser dann die Wahrheit über sich selbst und sein drohendes Schicksal erfährt, ist er – nachvollziehbar – zunächst geschockt. Die Anfeindungen, denen er ausgesetzt ist, belasten ihn zusätzlich. Diese Entwicklung hat Gesa Schwartz sehr überzeugend herausgearbeitet.

Auch in Hinsicht auf die Ausgestaltung ihrer übersinnlichen Schöpfung geht sie dabei eigene Wege. Die Engel werden als gnadenlose Mörder dargestellt, denen das Schicksal der Menschen herzlich wenig bedeutet, die Unschuldige, ja Kinder foltern und ermorden und sich gnadenlos der Hatz nach den Nephilim widmen. Dafür gibt es Dämonen, die selbstlos für Schwache und Unschuldige eintreten, sich von Luzifer losgesagt haben und als integere Charaktere geschildert werden.

Ein ganz wichtiges Thema das der spannend aufgezogenen Handlung zugrunde liegt, ist die Einsamkeit. Nando aber auch der Engel Antonio oder der Dämon Drengur sind zutiefst einsame Wesen. Doch wie gehen sie mit ihrer Einsamkeit um? Suchen sie sich anzubiedern, anzugleichen oder stehen sie zu sich selbst? Das sind interessante Fragen die sich nicht nur den Romangestalten, sondern auch ihren Lesern stellen. Nando zweifelt an sich, aber er verzweifelt nicht und diese Botschaft ist der Autorin, das merkt man dem Text an, wichtig. So durchzieht eine philosophische Grundaussage den Plot, wird der Rezipient angeleitet nachzudenken und Stellung zu beziehen.

Daneben geht es um Angst und Heldentum. Lässt man sich von seiner Furcht beherrschen, lähmt einen die Angst, oder findet man in sich selbst die Kraft für sich und andere einzustehen, sich seiner Furcht zu stellen? Das sind Fragen, die nicht nur unserem Erzähler, sondern auch jedem Leser gestellt werden. Schließlich die Frage, was sind Helden. Sind es wirklich nur die von den Medien aufgebauschten Stars, die aus mehr Schein als Sein bestehen? Oder sind es doch die Menschen, die sich ihren Prüfungen, und davon gibt es im Leben immer mehr als genug, stellen, die mutig ihre Ängste bekämpfen und nicht nur sich selbst, sondern auch das Leid Anderer erkennen und etwas dagegen tun?

Mit diesen Themen und Fragen hat Gesa Schwartz sich und ihren Lesern wichtige Überlegungen beigegeben, die den Roman für jugendliche Leser wie auch für Erwachsene nicht nur zu einem spannenden Erlebnis machen, sondern die auch zum Nachdenken anregen – und das ist es doch, was gute Bücher auszeichnet.