Guy Newell Boothby: Der Palazzo des Doctor Nikola(Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Mittwoch, 07. September 2011 10:13

Guy Newell Boothby
Der Palazzo des Doctor Nikola
Doctor Nikola 4
(Farewell, Nikola)
Aus dem australischen Englisch übersetzt von Michael Böhnhardt
Titelillustration von Franz Richard Unterberger
Wurdack, 2011, Paperback mit Klappenbroschur, 190 Seiten, 12,95 EUR, ISBN 978-3-938065-74-7
Von Carsten Kuhr
Schon einmal, ganz zu Beginn der Abenteuer des genialen Verbrechers Doktor Nikola, trafen Richard Hatteras und seine jetzige Gemahlin, aber auch Herzog von Glenbarth, auf den charismatischen Forscher. Damals ging es um den Besitz eines mysteriösen chinesischen Stäbchens, nun trifft man sich, zufällig, im Café auf dem Markusplatz wieder, und trotz all der erlittenen Schmach verfallen unsere hochherrschaftlichen Freunde nur zu bald wieder dem Charme Nikolas.
Auf seine Einladung hin besuchen sie ihn auf seinem Anwesen, einem inzwischen baufällig gewordenen Palazzo, wo er erstmals Hinweise auf seine bis dato im Unbekannten liegende Vergangenheit preisgibt. Ein dunkles Geheimnis umgibt seine Jugend, erlittenes Ungemach, ja Folter haben ihn zu der Persönlichkeit werden lassen, die uns zwischenzeitlich leidlich bekannt ist. Hinter dem genialen Geist, dem rastlosen Forscher und begnadeten Arzt verbirgt sich eine Tragödie, wie sie Shakespeare nicht ergreifender hätte in Szene setzen können. Missbraucht, seiner Ehre beraubt, gefoltert hat er sich, nachdem er sein großes Ziel, ein Heilmittel gegen das Altern zu finden vorerst ad acta gelegt hat, ganz der Rache an seinem einstigen Peiniger verschrieben.
Wie es der Zufall so will, besucht auch der Schuldige die Stadt der Kanäle und Gondeln. Hier, wo sich Nikola mit seinen Gaben, seinem selbstlosen Einsatz für die Kranken der ihm treu ergebenden Geheimbünde einen Ruf erworben hat, soll, mit unfreiwilliger Hilfe der alten Bekannten, der letzte Akt der Rache vollzogen werden. Dass Nikola dabei sein unsterbliches Seelenheil aufs Spiel setzt, ist ihm einerlei, zumal das Opfer sein Schicksal mehr als verdient hat.
Die Geschichte wird einmal mehr aus Sicht Richard Hatteras’ erzählt. Eingebettet in eine ergreifende Liebesgeschichte voller dramatischer Wendungen wird uns nicht nur die erschreckende Vergangenheit Nikolas vorgestellt, sondern auch dessen Foltermeister präsentiert.
Im Vergleich zu dem Gentleman-Verbrecher Nikola kommt Senõr Don José de Martinos uns wie der geborene Schurke vor. Ein verdorbener Bösewicht wie aus dem Buche, mit stechenden Augen und finsterer Gesinnung, der gerade im direkten Vergleich Nikola fast menschlich aussehen lässt, ihn einmal mehr als getriebene Seele portraitiert, die aus der eigenen dramatischen Kindheit und dem Missbrauch geprägt wurde.
Dass der Roman von den vier Büchern, was den abenteuerlichen Inhalt anbelangt, der schwächste ist, sei erwähnt. Es mangelt an den exotischen Handlungsorten der ersten beiden Romane oder der an Frankenstein erinnernden Dramatik des dritten Romans. Venedig als Handlungsort kann nie die Faszination der anderen Schauplätze erreichen, auch wenn die Atmosphäre des alten, verfallenen Palazzos die fast morbide Grundstimmung Nikolas gut widerspiegelt. Dazu kommt, dass die als Handlungsgerüst eingebaute Liebesgeschichte doch arg vorhersehbar daherkommt, und ein Duell der beiden Bewerber um die Gunst der bezaubernden Dame im Morgengrauen nicht fehlen darf. Gleichzeitig aber macht sich Boothby über diese beim damaligen Publikum so in Mode gekommenen Versatzstücke der dramatischen Fortsetzungsromane insgeheim ein wenig lustig, in dem er sie überzeichnet, ja fast persifliert.
Alles aber wird von der Tatsache aufgewogen, dass wir die ergreifende Lebensgeschichte unseres Anti-Helden kennenlernen, seinen Charakter, den Drang, nein, die Sucht, die ihn Zeit seines Lebens vorwärts trieb, verstehen lernen, und sein so zwiespältiges Verhalten neu einzuschätzen vermögen. Schade nur, dass auch dieser Veröffentlichung die Originalillustrationen der englischen Ausgabe, die es teilweise unter http://doctornikola.blogspot.com/ zu bewundern gibt erneut nicht beigefügt wurden. Die sachkundige und werktreue Übersetzung von Michael Böhnhardt verdankt der Leser vergnügliche Stunden der Lektüre.
Eigentlich war geplant, die „Docto Nikola“-Edition mit diesem vierten Roman abzuschließen. Ein fünfter Band, in dem Nikola lediglich eine kleine Nebenrolle einnimmt, war für die Veröffentlichung nicht vorgesehen. Nach dem Erfolg der Bände haben sich der kongeniale Übersetzer und Boothby-Kenner Michael Böhnhardt und der Verlag entschlossen, die Reihe mit neuen Romanen fortzusetzen. So ist für das Frühjahr 2012 „Das Luftschiff des Doctor Nikola“ angekündigt.