Der große Tote 2: Pauline (Comic)

Der große Tote 2: Pauline (Comic)', 'Der große Tote 2
Pauline
Régis Loisel (Idee, Szenario), JB Djian (Szenario), Vincent Mallié (Zeichnungen), Francois Lapierre (Farben)
Aus dem Französischen von Uwe Löhmann
Titelillustration von Vincent Mallié
(Le Grand Mort 2: Pauline, 2008)
Ehapa, 2009, Hardcover, 60 Seiten, 12,00 EUR, ISBN 978-3-7704-3168-7

Von Frank Drehmel

Das Ritual, welches Erwans Anwesenheit in der Anderswelt erfordert, steht kurz bevor. Allerdings ist es Pauline nicht gestattet an der Zeremonie im Kopf des Großen Toten teilzunehmen, sodass die Elfen und der junge Mann sie ungeachtet der Tatsache zurücklassen müssen, dass die junge Frau krank zu sein scheint. Als die Beschwörer zurückkehren, ist Pauline verschwunden; und kurze Zeit später geschieht etwas so Ungeheuerliches, dass Erwan selbst überstürzt zurück in seine Welt des Jahres 2011 flieht.

Hier muss er sich zunächst einmal zurecht finden, da die Zeit in seiner Realität deutlich schneller verlaufen ist. Er erfährt, dass sein Mentor, der alte, blinde Cristo, zwischenzeitlich verstorben ist und sein gesamter Besitz einschließlich der wertvollen magischen Manuskripte und der »Tränen der Bienen« an einen Trödler verhökert wurden. Halt– und orientierungslos entschließt er sich dazu, Pauline, die aufgrund der Zeitdifferenz einen Vorsprung von etwa sechs Monaten hat, in einer Welt zu suchen, die seit ihrer gemeinsamen Reise in das Elfenreich deutlich düsterer geworden ist. Eine Energiekrise, die Umweltverschmutzung und soziale Verwerfungen haben in einem Maß zugenommen, dass in den Industrienationen die politische Lage insbesondere in Großstädten wie Paris mehr als angespannt ist; verschärft wird die Situation durch neue pandemische Krankheiten, denen schon Tausende zum Opfer fielen.
Nicht nur wegen dieser tristen Umstände erweist sich die Suche nach Pauline als schwieriges Unterfangen. Zwar kommt Erwan ihr mit jedem Tag näher, aber die Frau gleicht einem Phantom, das er nicht greifen kann. Zudem erfährt der junge Mann, dass Pauline kurz nach ihrer Rückkehr ein Kind geboren haben soll, dessen Existenz und Alter mit jedem Tag neue Fragen aufwerfen.

Wer hoffte, dass die Autoren im zweiten Band Licht in das Dunkel um wenigstens einige Geheimnisse der Anderswelt bringen, muss sich weiterhin gedulden, denn im vorliegenden zweiten Album werfen Loisel und Djian neue Fragen auf, ohne alte zu beantworten. Im ersten Teil der Geschichte, welcher im Land der Elfen spielt, stehen abgesehen von einigen Allgemeinplätzen nicht das »Warum«, die Hintergründe des Rituals im Mittelpunkt der Geschichte, sondern vielmehr das »Wie«, das konkrete Procedere, so dass, als die Handlungsebene radikal wechselt, der Leser kaum schlauer ist als nach Band 1. Auch wenn die spezifisch mystischen Aspekte der Story nun zugunsten der konkreten, äußerst spannend und stimmig inszenierten Suche nach Pauline in einer überspitzt gezeichneten, tristen Realität in den Hintergrund treten, so sind die mit ihnen verwobenen Fragen dennoch ständig unterschwellig vorhanden, von denen die beiden zentralen lauten: hat das Geschehen im Drüben die Ereignisse im Hier forciert beziehungsweise ausgelöst und was hat es mit Paulines rätselhaftem Kind auf sich?
Äußerst gelungen ist in diesem Zusammenhang die Charakterisierung Erwans, der einem ruhenden Pol in einer zerfallenden Welt gleicht, den aufgrund seiner Langmütigkeit, seiner Freundlichkeit, Friedfertigkeit und Mitleidsbereitschaft eine beinahe messianische Aura umgibt.

Vincent Malliés und Francois Lapierres leichtes Artwork erweckt – wie im ersten Album – zwiespältige Gefühle. Den Szenen in der Anderswelt fehlt es nach wie vor an exotischem Flair, dem Sense of Wonder, so dass es an dieser Stelle zwar stimmungsvoll, aber auch relativ banal wirkt. Zur Hochform laufen die beiden Künstler erst in der Darstellung einer nun nicht mehr pittoresken ländlichen, sondern tristen urbanen Realität auf. Zahlreiche kleine Details – ein ausgebranntes Auto am Straßenrand, ein Bretterkreuz im Fenster, die Graffitis an den Wänden, die deprimierten Gesichter – vermitteln ein authentische, beklemmende Atmosphäre.

Fazit: Der ungewöhnliche Story-Aufbau, das hochspannend inszenierte, gesellschaftskritische Grundthema, eine Portion Mystik sowie das in weiten Teilen atmosphärisch stimmige Artwork machen diesen zweiten Band zu einer uneingeschränkten Empfehlung nicht nur für Freunde von Urban-Fantasy.