Terry Pratchett: Das Mitternachtskleid – Ein Märchen von der Scheibenwelt (Buch)

Terry Pratchett
Das Mitternachtskleid – Ein Märchen von der Scheibenwelt
(I Shall Wear Midnight)
Aus dem Englischen übersetzt von Regina Rawlinson
Titelillustration von Tom Steyer
Manhattan, 2011, Paperback mit Klappenbroschur, 416 Seiten, 17,99 EUR, ISBN 978-3-442-54638-1 (auch als eBook erhältlich)

Von Carsten Kuhr

Seitdem Oma Weh das Kreideland verlassen hat und die sechzehnjährige Tiffany ihre Nachfolge als Hexe der Hügel angetreten hat, ist viel Wasser das Bächlein herabgeflossen, wurden viele Feste gefeiert und Schafe geboren. Doch nichts, wirklich gar nichts hat unsere Hexe auf das vorbereitet, was ihr jetzt bevorsteht.

Da kann sie noch bei so vielen Geburten und Todesfällen Hilfe geleistet, oftmals schwierigste Entscheidungen getroffen und Trost gespendet haben, als der alten Baron das Zeitliche segnet und Roland, den sie dereinst aus den Klauen der Elfenkönigin gerettet hat, die Herrschaftsbürde übernimmt, sieht sie sich erstaunt einer Welle von Anfeindungen ausgesetzt. Dass Roland sich eine andere als Braut ausgeschaut hat wäre noch lange nicht das Schlimmste. Dass seine Zukünftige aber einen Fluch auf Tiffany legt, dass der Tückische, ein vor langer Zeit verbrannter Hexenjäger, sich einen neuen Körper sucht und sich auf die Jagd nach der Hexe vom Kreideland begibt, bereitet ihr dann doch Kopfzerbrechen. Da können selbst Wir-sind-die-Größten ihr nicht wirklich helfen, da muss sie selbst durch, auch wenn dabei die Häppchen und Nickerchen ein wenig arg zu kurz kommen. Doch unter den wachsamen Augen ihrer Kolleginnen muss sie sich und ihren Schäfchen – vier- wie zweibeiniger Art – beweisen, dass sie das Zeug zur waschechten Kreideland-Hexe besitzt...

Wie allgemein bekannt, leidet Pterry, wie ihn seine Fans respektvoll nennen, unter einer erblich verursachten Alzheimer-Erkrankung. Es kann gemutmaßt werden, wie lange es ihm überhaupt noch möglich sein wird, seine Gedanken zu ordnen und zu Papier zu bringen. Vielleicht, so wird zumindest unter seinen Fans gemunkelt, hat er darum in vorliegendem Roman nochmals viele der aus unzähligen, bereichernden Lesestunden bekannten und ans Herz gewachsenen Figuren auftreten lassen. Ist „Das Mitternachtskleid“, das von Regina Rawlinson mustergültig ins Deutsche übertragen wurde, vielleicht gar sein „Scheibenwelt“-Vermächtnis? Fakt ist, dass neben Tiffany auch Nanny Ogg, Oma Wetterwachs, Eskarina Schmied, die Kelda, Nobby und Hauptmann Mumm, Karotte und Werwölfin Angua, Margrat Knoblauch und ihr König Verence, nicht zu vergessen TOD ihren Auftritt haben.

Unzählige Erinnerungen werden hier wach, Reminiszenzen an unvergessene Leseerlebnisse, an Situationen, über die ich lauthals in Lachen ausgebrochen bin, aber auch an Geschehnisse, die mich traurig und nachdenklich stimmten. Denn Pratchetts Scheibenwelt ist beileibe nicht einfach nur eine Fantasy-Welt. Weit gefehlt, sie ist der Spiegel, den der begnadete Autor sich und seinen Lesern ein ums andere Mal vorgehalten hat. In den vergnüglich zu lesenden Romanen hat er immer wieder Probleme thematisiert, die viele seiner Kollegen bewusst außen vor gelassen haben, hat er auf seine ganz eigene Art und Weise Stellung bezogen.

Dies ist vorliegend nicht anders. Einmal mehr macht er sich für Toleranz und Emanzipation stark, spricht sich gegen jede Art von intoleranten Verunglimpfungen und Verfolgung Andersdenkender aus, würdigt die aufopfernde Arbeit der Pfleger und derer, die zu Hause oder in Hospizen Menschen auf ihrem letzten Gang begleiten und hält die Fahne in Sachen Eigenverantwortung hoch. Dabei unterhält er amüsant und kurzweilig, prägt seine Personen gewohnt liebevoll und differenziert.

Selbst wenn der Roman nicht ganz an seine größten Werke heranreicht, hat er das in überreichem Maße, was die Titel aus der Feder Terry Pratchetts immer auszeichneten: Menschlichkeit und Weisheit. Als solches ist „Das Mitternachtskleid“ sicherlich nicht das schlechteste literarische Vermächtnis, wenn es denn dieses sein sollte, und allemal die Lektüre wert.