Shanghai 1: Kind des Regens (Comic)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Sonntag, 22. Mai 2011 19:44
Shanghai 1
Kind des Regens
(Shanghai: L'Enfant De La Pluie)
Text: Mathieu Mariolle
Zeichnungen und Farben: Yann Tisseron
Übersetzung: Tanja Krämling
Splitter, 2011, Hardcover, 56 Seiten, 13,80 EUR, ISBN 978-3-86869-229-7
Von Frank Drehmel
Shanghai zu Beginn des 20 Jahrhunderts. Im Zuge der Opiumkriege Mitte des 19. Jahrhunderts und der damit von Großbritannien erzwungenen Öffnung für den Welthandel hat sich die Stadt zu einer prosperierenden Metropole und einem zentralen Marktplatz Ostasiens entwickelt, in der nicht nur Briten, sondern mittlerweile auch Franzosen, westliche Konzessionäre sowie mächtige Triaden mehr oder weniger im Untergrund um Einfluss, Kontrolle und damit wirtschaftliche Macht streiten.
Nach wie vor stellt der Umschlag von Opium eines der wichtigen Standbeine des größten Hafens der Welt dar, wobei die Haltung der Kolonialmächte zum Drogenhandel eine gespaltene ist. In diesem Moloch von Stadt soll die Auftragsmörderin Yu Xin im Namen des mächtigen Triaden-Paten Kien Tang ein Exempel am Uhrmacher Wu Tau statuieren, da sich dieser augenscheinlich weigert, Schutzgeld an die Triaden zu zahlen. Als Yu Xin in der Werkstatt des Handwerkers auftaucht, muss sie jedoch feststellen, dass die Räume verwüstet wurden und Wu Tau verschwunden ist. Obgleich alle Spuren auf die Soldaten des Kaisers aus Peking als Drahtziehers des Überfalls hindeuten, zweifelt die kluge Frau an deren Täterschaft, zumal der Sohn des Uhrmachers, den sie verängstigt in einem Versteck findet, keine sachdienlichen Beobachtungen gemacht hat. Für Kien Tang bedeutet die Entführung dennoch, dass er aktiv werden muss, denn sollten tatsächlich kaiserliche Truppen in Shanghai aktiv sein und damit einen neuen Krieg zwischen China und den Besatzungsmächten riskieren, könnte am Ende und für den Fall des Sieges seiner Landsleute auch die vollkommene Entmachtung der Triaden stehen. So bemüht sich der Alte um eine vorübergehenden Frieden zwischen den Verbrecherorganisationen und setzt zugleich Yu Xin auf die Fährte der Hintermänner.
Während die Mörderin ihre Ermittlungen führt, sucht eine andere junge Frau namens Jade mit Unterstützung eines Schmugglers in der riesigen Stadt nach einem Gegenstand, der einst ihrer Familie gehört haben soll. Jade, ihres Zeichens Artistin des chinesischen Staatszirkus, verfügt über erstaunliche Fähigkeiten, die sie trotz ihres sanften Auftretens zu einer tödlichen Gegnerin machen.
Und nicht nur die beiden Frauen, deren Wege sich schließlich kreuzen, tragen Geheimnisse, auch der Sohn des Uhrmachers ist von ganz besonderer Natur.
Das erste, was bei diesem ersten von geplanten drei Bänden ins Auge fällt, ist das ungewöhnliche Artwork Yann Tisserons. Vom Eröffnungspanel an gelingt es dem Künstler mit seinem malerischen Ansatz, die intensive, schwüle, bedrückende und zugleich exotisch-historische Atmosphäre des Molochs Shanghai durch den Einsatz von Licht- und Beleuchtungseffekten sowie einer Farbgebung einzufangen, die seitenweise auf starke Farbkontraste – mit Ausnahme von Hell-Dunkel – weitgehend verzichtet. Die weiche, gleichsam entrückte Stimmung wird nicht zuletzt dadurch befördert, dass Tisseron fast vollständig auf Schwarz verzichtet und selbst die Konturen von Figuren und Objekten in jeweils passenden, stimmigen Farben zeichnet. Bemerkenswert ist zudem die Darstellung der Figuren, die in ihrer leicht stilisierten, kantigen Form und flächigen Koloration zuweilen an klassenkämpferische Plakatkunst des frühen 20. Jahrhunderts erinnert und insofern visuell den Bogen zur Story selbst schließt.
Mathieu Mariolles Geschichte ist ein munteres, wendungsreiches Crossover aus Historien-Drama und Crime Noir mit Steampunk- beziehungsweise Mystery-Einschlag, wobei die beiden letztgenannten Elemente erst gegen Ende des Albums zutage treten und die gesamte Story zuvor in durch und durch irdischen Gefilden verhaftet ist. Das angesichts mehrerer Handlungsbögen, einer komplexen politischen Gemengelage, einiger Rätsel und vieler Protagonisten die beiden Hauptfiguren – Jade und Yu Xin – in ihrer Charakterzeichnung etwas zu kurz kommen, ist zwar bedauerlich, aber gut zu verschmerzen, da die Story insgesamt intensiv, dicht und dynamisch daherkommt.
Fazit: Das grandios stimmungsvolle Artwork Tisserons, der außergewöhnliche historische Hintergrund sowie die verwicklungsreiche Story machen dieses erste Album der „Shanghai“-Trilogie zu einer unbedingten Empfehlung für Freunde gehaltvoller Comics.