Federica de Cesco: Die Schwingen des Falken (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Donnerstag, 05. Mai 2011 19:38
Federica de Cesco
Die Schwingen des Falken
(1991)
Heyne, 2007, Taschenbuch, 288 Seiten, 7,95 EUR, ISBN 978-3-453-40503-5
Von Irene Salzmann
Die Studentin Jun Hatta lernt in einer Vorlesung Nina Kobayashi kennen. Das große, trampelig und ungepflegt wirkende Mädchen hat einen japanischen Vater und eine deutsche Mutter. Aus beruflichen Gründen mussten sie ihr deutsches Heim aufgeben und nach Japan ziehen, wo Nina alles schrecklich findet. Trotz aller Unterschiede und einiger nerviger Eigenarten findet Jun das unglückliche Mädchen sympathisch, und sie werden Freundinnen.
Warum – das kann sich Jun selber nicht erklären. Vielleicht hat es damit zu tun, dass sie sich selber innerlich zerrissen fühlt, umso mehr, seit sie weiß, dass ein Geheimnis ihre Familie belastet. Behutsam versucht sie, von ihren Eltern mehr über die Großeltern zu erfahren, doch sobald es interessant wird, mauern beide. Zufällige Gesprächsfetzen, die Jun aufschnappen kann, wecken in ihr den Verdacht, dass vor Jahren etwas Schlimmes geschehen sein muss, unter dem ihr Vater immer noch leidet. Erst der Brief einer in Kanada lebenden Tante, der ein schnell voranschreitender Krebs nicht mehr viel Zeit lässt, rückt die Puzzlestücke an die richtigen Stellen. Kann Jun ihren Eltern vergeben, dass sie die Vergangenheit so lange vor ihr geheimgehalten haben?
Die Jugendbuchausgabe von „Die Schwingen des Falken“ erschien in Deutschland bereits 2003 im Arena Verlag. Nun hat Heyne den Titel in sein Belletristik-Programm aufgenommen, sicherlich auch aus dem Grund, weil sich viele Leserinnen und Leser, die regelmäßig Mangas kaufen, auch für Romane, die in Japan spielen, interessieren.
Federica de Cesco, die seit ihrer Kindheit viel reiste und in mehreren Ländern eine Heimat fand, bis sie sich mit ihrem Mann, einem japanischen Fotograf, in der Schweiz niederließ, erzählt in dem vorliegenden Buch von den Identitätsproblemen japanischer Auswanderer, Heimkehrer und Kindern aus gemischten Ehen. Was in vielen traditionsbewussten Familien als Makel gesehen wird, ist für spätere Generationen kaum noch ein Thema, und doch beeinflusst es auch ihr Leben, wie Jun und Nina erfahren müssen. In diesem Zusammenhang werden die Schicksale vieler japanischer Immigranten während des Zweiten Weltkriegs verarbeitet: Obwohl sie sich meist als (gebürtige) Amerikaner oder Kanadier etc. verstanden, sich sogar zum Militärdienst meldeten, wurden sie – im Gegensatz zu anderen Einwanderern aus ‚verfeindeten‘ Ländern – enteignet und interniert. In diesen Lagern verlor so mancher sein Leben oder musste, schwer gezeichnet, seine Existenz ein zweites Mal neu aufbauen. Diesen Punkt, der für jene, die sich noch erinnern können (Juns Vater), eine schwere Last ist, greift zum Beispiel auch Sujata Massey in „Brennender Hibiskus“ auf.
Ganz natürlich fließen kurze Erklärungen zum japanischen Alltag und Denken ein, da Nina so manche Lektion benötigt, bis sie sich langsam ihrer neuen Heimat zu öffnen beginnt. Leider übertreibt es die Autorin, indem sie diese Figur zur ’Klischee-Ausländerin‘ macht, die eine totale Abwehrhaltung einnimmt und jedes Fettnäpfchen findet, obwohl sie durch ihre Eltern und eine Spezialschule vorbereitet wurde (mangelnde Reinlichkeit, Anstarren, laute Meinungsäußerungen und Kritik und so weiter). Durch die Verknüpfung von der Moderne und einer immensen Technologiebegeisterung mit Tradition und Geisterglaube werden vage Mystery-Elemente in die Handlung getragen. Beispielsweise bekommt Jun Kopfschmerzen, wenn ein Erdbeben droht, und ihre Kyudu-Lehrerin spürt, dass etwas an der jungen Frau ‚anders‘ ist. Nina zweifelt an all diesen Dingen, die für Japaner Bestandteile ihres Lebens sind und ihnen helfen, ihren Alltag zu regeln (günstige und ungünstige Tage für eine Unternehmung, die Vermittlung einer passenden Partie, Zeremonien zur Besänftigung zorniger Geister und anderes mehr). Dem Leser bleibt es selbst überlassen, sich eine eigene Meinung zu bilden.
Trotzdem haftet dem Titel nichts Mysteriöses oder Mystisches an. „Die Schwingen des Falken“ ist ein Drama, das sich mit einem komplizierten Aspekt der japanischen Gesellschaft und der Vergangenheitsbewältigung befasst und nebenbei einen kleinen Einblick in die Kultur dieses Landes gewährt – interessant und spannend zu lesen für alle Japan-Freunde.