Richard Harland: Liberator (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Sonntag, 01. Mai 2011 11:42
Richard Harland
Liberator
(Liberator)
Aus dem australischen Englisch übersetzt von Nicola T Stuart
Titelillustration von Hans Baltzer,
Verlag Jacoby & Stuart , 2011, Hardcover, 412 Seiten, 16,95 EUR, ISBN 978-3-941787-35-3
Von Carsten Kuhr
Willkommen auf dem Juggernaut „Worldshaker“ des britischen Königreichs unter Queen Victoria II. So zumindest wären wir noch vor drei Monaten auf dem gigantischen, vom Dampf angetriebenen Moloch begrüßt worden.
Mittlerweile aber wurden die „Protzer“ von den oberen Decks in einem Handstreich abgesetzt, die meisten davongejagt und die „Dreckigen“ wie sie sich selbst stolz nennen, haben die Herrschaft über den Leviathan, den sie in „Liberator“ umgetauft haben, übernommen. Seitdem kreuzt das Ungetüm wie gewohnt über Meer wie Land. Doch die Kohle in den Bunkern geht zur Neige, Bodenschätze, mit denen die Adeligen bislang die Bunkerung des Brennstoffes bezahlten, haben die Revolutionäre auf ihrer Fahrt nicht weiter aufgenommen. Damit nicht genug, wird einer der Revolutionäre ermordet, Sabotageakte erschüttern die so schon fragile neue Führung. Eine Gelegenheit für den skrupellosen Shiv und die eiskalte Lye, ihre persönliche Machtposition auszubauen und Riff und ihren Freund, den Adeligen Col, auszubooten.
Mit geschickt inszenierten Provokationen wird Unfriede gestreut, Verdächtigungen lanciert und Hass gesät. Natürlich können nur die Protzer vom Oberdeck hinter den Sabotageakten stecken, und schnell eskalieren die Vorkommnisse. Selbst die junge Liebe zwischen der Revolutionsheldin Riff und Col droht in den Wirren des Machtkampfes zu zerbrechen. Zu geschickt manipuliert die eiskalte, bezaubernde Taktikerin Lye die Stimmung, drängt ungestüm und ohne jegliche Gewissensbisse an die ultimative Macht. Haben die Revolutionäre eine Diktatur nur durch eine neue abgelöst, eine Herrschaftsclique durch einen vorgeschobenen, radikalisierten Revolutionsrat ersetzt?
Während sich die Juggernauts der anderen Großmächte anschicken, den Revolutionär aufzubringen um die Bedrohung für ihre eigenen Herrschaftspyramiden zu beseitigen, muss sich Col entscheiden – riskiert er erneut für die Revolution und für Riff sein Leben, oder lässt er den Geschehnissen seinen Lauf?
Richard Harland hat mich in dem zweiten Band des „Worlshaker“-Zyklus’ überrascht. Wer meinte, er wüsste, in welche Richtung sich die Handlung weiterentwickeln würde, der reibt sich verwundert die Augen. Die junge Liebe zwischen den beiden so unterschiedlichen Menschen gerät ins Wanken, ja die beiden Hauptpersonen des ersten Bandes treten immer weiter in die zweite Reihe zurück. Die Bühne übernimmt stattdessen eine skrupellose Karrieristin und brillante Demagogin. Voller Hass, Intoleranz und Zielstrebigkeit macht sich Lye auf den unaufhaltsamen Weg an die Spitze der Machtpyramide. Hier hat der Autor in zunächst unauffällig in die Handlung eingestreuten Szenen, später in aufrüttelnden Kapiteln, die Entstehung einer Diktatur beschrieben. Die Helden der Revolution, die aufopfernd gekämpft und geblutet haben, werden von den Apparatschiks verdrängt, Propaganda und Manipulation ersetzen die Wahrheit und Gerechtigkeit.
In den wiederum recht kurzen Kapiteln braucht die Handlung, insbesondere im Mittelteil, ein wenig, bis sie richtig in Schwung kommt. Insbesondere der Wechsel der Perspektive vom engagierten Duo Col und Riff hin zur machtbesessenen Lye war und ist für eine jugendliche Zielgruppe ein Risiko. Wird sich der Leser mit einer zwar interessanten und in sich überzeugend ausgestalteten, aber eben auch negativ besetzten Protagonistin, anfreunden können, in deren Haut er nicht schlüpfen will? Gleichzeit aber bietet dieser Wechsel dem Autor die Möglichkeit, viel detailreicher und überzeugender die Abläufe der post-revolutionären Intrigen und Machtspiele zu beschreiben.
Ähnlich wie im ersten Band der Reihe liegt ein Schwergewicht auf der Zeichnung der Personen. Vorliegend wird dieses aber durch die Darstellung der Mechanismen der Machtergreifung der Apparatschiks mehr und mehr in den Hintergrund gedrängt. Dabei gelingt es dem Autor, die Entwicklungen deutlich aufzuzeigen, dabei zwar vor entsprechenden Vorgängen zu warnen, nie aber oberlehrerhaft oder belehrend zu wirken.
Gerade bei einem Jugendbuch unabdingbar gelingt ihm die Synthese zwischen Anspruch und Action, Tiefgang und Abenteuer, auch wenn er im Mittelteil ein wenig schwächelt.