Julia A. Jorges: Hochmoor (Buch)

Julia A. Jorges
Hochmoor
H.P. Lovecrafts Schriften des Grauens 38
Blitz, 2024, Taschenbuch, 300 Seiten, 12,95 EUR

Rezension von Elmar Huber

Unverhofft erhält Olve über ein Notar-Büro einen zwölf Jahre alten Brief seiner Jugendfreundin Nathalie „Nihil“ Halbstetter, die vor über zwanzig Jahren - kurz nach dem Abitur - spurlos verschwunden ist. Sie bittet ihn, in den nächsten Tagen nach Goslar zu kommen, bei dem genannten Notar den Schlüssel ihrer Wohnung abzuholen und dort auf sie zu warten. Nach einem überfallartigen Wiedersehen führt Nihil Olve zum Petersberg, wo er sie damals zuletzt gesehen hat, und weiter in den Berg hinein, wo sie - nach einem Durchgang durch einen beinahe lebendig wirkenden Stollen - in Hochmoor ankommen, der Ort, in dem Nihil die letzten vierundzwanzig Jahre gelebt hat.

Nach anfänglichem Befremden gelingt es Olve sehr gut, sich in den darauffolgenden Wochen mit der neuen Situation abzufinden und sich auf eigenständige Art in die Dorfgemeinschaft zu integrieren. Er erfährt, das Hochmoor und das geheime Tal nicht nur ein Zufluchtsort für die Alteingesessenen - die letzten einer großen Rasse, die menschliches Aussehen angenommen haben - und einiger Menschen ist, die den Übergang geschafft haben, sondern auch ein Ort, an dem das Wirken mächtiger Geschöpfe noch sicht- und spürbar ist.


Mit „Hochmoor“ präsentiert Julia Annina Jorges einen Fantasy-Horror-Roman, der ganz bewusst die Stimmung der Geschichten von W. H. Pugmire aufgreift. Dieser hat sich selbst als Lovecraft-Schüler und -Nachahmer begriffen, in dieser Rolle allerdings einen persönlichen kleinen Kanon erschaffen; zwar mit einer Schnittmenge zu Lovecraft, doch mit überzeugend eigener Stimmung. Julia Annina Jorges hat nun mit der verzauberten Region um Hochmoor ihre Version des pugmire’schen Sesqua-Tals erschaffen, in dem viele Dinge der bekannten Realität entsprechen, es jedoch immer wieder zu unerklärlichen oder gar „unmöglichen“ Situationen jenseits von Vernunft und Logik kommt. Als Filme mit ähnlichem Effekt kann man Justin Benson & Aaron Mooreheads „Resolution“ und vor allem „The Endless“ nennen.

Hauptfigur Olve ist zunächst der typische zurückhaltende und etwas unselbstständige Protagonist solcher Abenteuer, mit dem der Leser in ein fremdes Szenario übergeben wird. Mit dem Brief der lange verschollenen Nihil als Katalysator der Ereignisse ist dies schön rätselhaft konstruiert. Über Olves sofortige Bereitschaft, seiner alten Freundin ohne weitere Erklärung zu folgen, kann man sich wundern, doch so wird die Entwicklung der Figur im Lauf der Handlung umso deutlicher.

Nach einiger Zeit in „Hochmoor“ wächst Olves Persönlichkeit zusehends. Er gewinnt Eigenständigkeit und löst sich schließlich ganz aus der emotionalen Abhängigkeit von Nihil, nicht ohne, dass es hier noch eine interessante Wendung gibt.

Das Dorf und dessen Bewohner überraschen ebenso. Man erwartet zunächst mittelalterliche Zustände, doch der Alltag der Bewohner lässt ebenso Zeit für musische und wissenschaftliche Aktivitäten. Olve selbst verschreibt sich der Erforschung der Flora des Tals und des umgebenden Moors, was mit einigen mysteriösen Vorkommnissen einhergeht. Beinahe nebenbei erfolgt die Erkenntnis, dass im Tal um Hochmoor unsichtbare Kräfte am Werk sind und Götter verehrt werden, die möglicherweise sogar in verschiedene Lager einzuteilen sind.

In einigen Belangen ist die „Willentliche Aussetzung der Ungläubigkeit“ gefordert. Dabei ist das Motiv geheimer und zeitlich befristet geöffneter Übergänge in eine andere Welt für den geneigten Leser Standard; ein oft genutztes Motiv der Phantastischen Literatur. Eher könnte man darüber stolpern, dass die Bewohner von Hochmoor aufgrund dessen eigentlich nur sehr beschwerlich Dinge aus der „zivilisierten“ Welt beschaffen können, und trotzdem scheint es kein Problem zu sein, unbegrenzt an Medikamente, Alkoholika, moderne Baustoffe und sogar Karnevalsverkleidungen zu kommen. Dass sich die Autorin hier gar nicht in Erklärungsversuchen verliert ist eine willkommene Abwechslung. Es sind diese Unschärfen, die nicht gelösten Rätsel dieser Welt, die den Zauber und das Mysterium des Romans aufrechterhalten.

Wie schon in ihrem Roman „Glutsommer“ gelingt es der Autorin auch hier, sich einen grundsätzlich bekannten Topos zu eigen zu machen, in ihrem Sinne weiterzuentwickeln und so ein ganz und gar originelles Ganzes zu schaffen.

Insgesamt hebt sich „Hochmoor“ angenehm von Standard-Dramaturgie der meisten Romane ab. Olve muss nicht DAS EINE Abenteuer bestehen. Stattdessen erkundet der Leser mit ihm schrittweise diese neue Umgebung, in der noch Vieles vage und unbeantwortet bleibt. Tatsächlich wirkt der Roman wie der Prolog, als der er gedacht ist. „Hochmoor 2“ ist für Frühjahr 2025 angekündigt.