Robert Aickman: Sub Rosa - Sämtliche Erzählungen 3 (Buch)

Robert Aickman
Sub Rosa
Sämtliche Erzählungen 3
Übersetzung: Usch Kiausch
Einführung: R. B. Russell
Titelbild: Louis Finson
Festa, 2024, Hardcover, 492 Seiten, 36,99 EUR

Rezension von Carsten Kuhr

Es ist sehr zu bedauern, dass die „Weird Fiction“-Edition ohne ISBN erscheint und somit nur über den Verlag erhältlich ist. Warum ich dies nicht gut finde, möchten Sie wissen?

Nun, zum einen werden Bücher ohne ISBN in der Regel nicht in den beiden deutschen Nationalbibliotheken aufgenommen, an die von allen mit ISBN erscheinenden Titeln jeweils zwei Belege gesandt werden müssen. Zum anderen wären die mustergültig ausgewählten und übertragenen Erzählungen meines Erachtens auch für ein breiteres Publikum interessant, gilt es hier doch Entdeckungen zu machen, zu Unrecht vergessene oder nie ins Deutsche übertragene Autoren zu feiern und in ganz eigenen, im wahrsten Sinne des Wortes phantastischen Welten zu schwelgen.

Dies vorangestellt, zum Inhalt des dritten Teils der Erzählungen Robert Aickmans.

 

Wie R. B. Russel in seinem Vorwort zutreffend ausführt, sind Aickmans Protagonisten immer Menschen, die psychisch eine schwere Zeit durchmachen. Sie, zumeist Männer in ihren vierziger Jahren aus gutem Haus, befinden sich in der „Misere des Individuums“, sind getrieben von inneren Ängsten. Die Erzählungen sollen beim Leser Unsicherheit und Unbehagen (S. 16) auslösen, was ihnen - bei mir auf jeden Fall - gelungen ist. Nie gibt es ein wie auch immer geartetes Happy End, selbst die auf den ersten Blick vertraut wirkenden Motive erweisen sich im Verlauf des Textes als trügerisch, verändern sich und gehen in ungewohnte, unerforschte Richtungen.

Geradezu exemplarisch zeigt sich dies an der Novelle „Besuche niemals Venedig“. Aickman stellt uns hier einen Einzelgänger vor, der das Leben nie gelernt hat. Sein Beruf füllt ihn ebensowenig aus, wie die wenigen Bekanntschaften, die er macht. Er will nicht befördert werden, verzichtet lieber auf die Gehaltserhöhung, löst von sich aus die beiden Verlobungen mit Frauen, die ihm letztlich nichts geben können, und sich daher ohne große Zerwürfnisse oder emotionale Ausbrüche aus seinem Leben verabschieden. Urlaube sind kurz nach dem Zweiten Weltkrieg mangels seiner Unfähigkeit sich in Gruppen einzubringen, sowie der finanziellen Beschränktheit der Mittel, nur in Europa möglich. Nach einer auch für ihn überraschende und ungewollten Beförderung reist er für ein paar Wochen in die italienische Lagunenstadt. Am letzten Abend seines Aufenthalts begegnet ihm eine mysteriöse vermeintliche Fremdenführerin, die ihm, free of charge, eine nächtliche Gondelfahrt anbietet. Da ihn die Unbekannte frappierend an eine Frau erinnert, von der er mehrfach geträumt hat, willigt er ein - nähert sich, ganz untypisch für sein Naturell, dieser. Nach dem Beisammensein verschlägt es die plötzlich führerlose Gondel aufs Meer und auch die so laszive Fremde verwandelt sich vor seinen Augen…

Aickman spielt hier versiert mit der Kulisse der langsam zerfallenden, vor sich hin modernden Lagunenstadt, die allein auf ihre einstige Größe vertrauen kann und zeigt uns hier einen zutiefst einsamen Menschen. Das Unheimliche schleicht sich auf leisen Sohlen, behutsam und fast unmerklich in die Handlung ein. Erst spät bemerken wir mit unserem Erzähler, dass sich hier etwas geändert und verändert hat, dass das Erlebte dem Erwarteten und Erhofften entfleucht.

Daneben gibt es Geschichten über ein höchst sonderbares, lebendiges Puppenhaus, den Nachlass eines scheinbar untalentierten Malers, die Erlebnisse eines Sonderbeauftragten für die Erhaltung historischer Gebäude…


Auffällig ist, dass der Verfasser nie plakativ die übernatürlichen Geschehnisse in den Mittelpunkt seiner Erzählungen stellt. Diese fußen in aller Regel ganz in der oft tristen Realität, die der Autor mit messerscharfem Blick porträtiert.

Ausgangspunkt der Geschichten sind weiterhin gesittete Herren mittleren Alters aus einer guten, letztlich aber an Bedeutung verlorenen Familie. Statt standesgemäß in den Clubs ihre Zeit zu verbringen, müssen sie für ihren Unterhalt einer profanen Tätigkeit nachgehen und begegnen dann, zumeist bei Ausübung der ungeliebten Arbeit, etwas Unerklärlichem. Geister, Heimsuchungen und Erscheinungen werden dabei eher angedeutet, als grell beleuchtet - Vieles überlässt der Verfasser der Phantasie seiner Leserinnen und Leser, die die Andeutungen selbst ausschmücken dürfen. Dies wirkt erstaunlich gut, zumal Aickman bewusst darauf verzichtet, die Geschehnisse zu erklären.

So ist dieser Abschlussband ein Buch, das dem Freund der unheimlichen Literatur erneut Freude bereiten wird. Eine Zusammenstellung, die es verdient, in Ruhe goutiert zu werden. Sie stellt uns einen Autor vor, der zu den ruhigen, zurückhaltenden Vertretern seiner Zunft zählt, dabei aber die Gabe besaß, das Unheimliche unauffällig in seine Plots einfließen zu lassen - und uns damit zu verblüffen und zu gruseln.