Harris, Charlaine: Ein eiskaltes Grab (Buch)

Charlaine Harris
Ein eiskaltes Grab
(An Ice Cold Grave)
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Christiane Burkhardt
Titelillustration von Darren Winter
dtv, 2010, Taschenbuch, 302 Seiten, 8,95 EUR, ISBN 978-3-423-21196-3

Von Carsten Kuhr

Harper Connelly, die Frau, die, nachdem ein Blitz durch ihren Körper fuhr, die Geister der Toten entdecken und ihre Todesart sehen kann, wird nach Doraville, in ein kleines Kaff in North Caroline, gerufen.
Es ist Winter, und das heißt in North Carolina, dass es kalt ist, bitterkalt. In dem kleinen Ort sind in den letzten Jahren immer wieder Jungen zwischen vierzehn und achtzehn Jahren verschwunden. Die Polizei hat sich zunächst damit herausgeredet, dass die Jungs von zu Hause ausgerissen sind, Selbstmord begangen haben oder verunglückt sind. Doch einige der Verwandten lassen nicht locker.

Kaum angekommen findet Harper denn auch den Ort, an dem die geschundenen, gefolterten und missbrauchten Leichen der Opfer vergraben wurden. Jetzt ist es an den Ermittlungsbehörden, den Fall zu übernehmen und den Serienkiller zu jagen. Wenn dieser nicht ein Auge auf Harper geworfen hätte um Rache zu nehmen. Ein erster Anschlag misslingt, befördert Harper aber mit einem angebrochenen Arm und Gehirnerschütterung ins örtliche Krankenhaus. Kurz drauf wird der Täter mit Harpers Hilfe gefasst, die Verbrechen scheinen aufgeklärt. Scheinen – denn irgendetwas an der zu einfachen Lösung stört Harper. Und sie muss für ihren Spürsinn einen hohen Preis bezahlen ...

Bestsellerautorin Charlaine Harris ist sowohl in den Staaten als auch bei uns vornehmlich für ihre »Sookie Stockhause«-Titel bekannt. Mittlerweile in einer sehr einfühlsam umgesetzten TV-Serie hat sie mit diesen zurecht die Bestsellerlisten erobert, warten Fans in aller Welt auf entsprechenden Lesenachschub.

Die »Harper Connelly«-Romane spielen in einer anderen Liga. Bereits von ihrem Ansatz her – die Protagonisten reisen in den USA umher, um jeweils vor Ort ihre Diensten anzubieten – unterscheiden sie sich markant von dem überaus treffend und einfühlsam portraitierten Leben in Bontemps.
Während sich dort in der kleinen Gemeinde sich fast alle kennen und in der viel Interaktion zwischen den Figuren herrscht, wird Harper in jedem Band in ein neues Umfeld gesetzt. Angefeindet ob ihrer Gaben, verwunschen und nur zu oft angegriffen muss sie sich nicht nur ihrer Gegner, allzu oft auch ihrer Auftraggeber, erwehren. Da gibt es kaum Momente des Triumphs, der Freude oder des gemütlich Zurücklehnens.

Genauso, wie unsere Hauptperson sich nirgends wirklich heimisch fühlt, werden auch wir mit den Handlungsorten meist nicht richtig warm. Das liegt nicht an der mangelnden Fertigkeit der Autorin, sondern an der Grundsituation, in der die Handlung abläuft. Zwar versucht Harris auch vorliegend mit ihrer Stärke in der Zeichnung kleiner, ländlicher Ortschaften und deren Bewohner zu punkten, hat es dabei aber ungleich schwieriger als bei der netten, geschätzten und umworbenen Sookie.
Dazu kommt, dass uns nicht etwa eine dezidierte Welt des Übernatürlichen erwartet, sondern wir Verbrechen und deren Täter nachspüren. Meist tun sich hier Abgründe auf. Menschen, Frauen und Kinder werden misshandelt, gefoltert und umgebracht. Das ist kein locker-leichtes Lesefutter wie die Vampir-Saga der Sookie, das ist weit näher an der Realität angesiedelt. Und dies ist auch der Grund, warum sich die flotte Lesefreude, das spritzige Erzählen, bei dieser Serie nicht einstellen kann und wird. Das heißt nicht, dass die Romane nicht faszinieren, doch hier spielt die Autorin auf einer ganz anderen Bühne, so dass die Leser, die nur auf einen weiteren Sookie-Klon warteten, enttäuscht werden.

Vorliegender Band ist, von den drei bislang bei uns publizierten Romanen, definitiv der Stärkste. Atmosphärisch unheimlich dicht erinnert er mich an die Ausstrahlung der legendären TV-Serie »Twin Peaks«. Hier wie dort verbirgt sich hinter der scheinbar idyllischen Fassade eines kleinen Ortes viel mehr, als ursprünglich gedacht oder vermutet. Hier wie dort tun sich Abgründe auf, muss man immer wieder mit- und umdenken, neu bewerten und hinterfragen. Das ist geschickt, ja fast meisterhaft in Szene gesetzt, das weckt Appetit auf mehr.