Volker Kutscher: Rath - Der zehnte Rath-Roman (Buch)

Volker Kutscher
Rath
Der zehnte Rath-Roman
Piper, 2024, Hardcover, 624 Seiten, 26,00 EUR

Rezension von Gunther Barnewald

Autor Volker Kutscher hat angekündigt, dass der vorliegende zehnte Roman um den ehemaligen Polizisten Gereon Rath der letzte dieser Serie sein soll. Wer die ganze Geschichte liest, dem kommen allerdings erhebliche Zweifel, ob es dies nun endgültig gewesen ist, denn das Ende lässt doch einige Fragen offen. Anknüpfungspunkte gäbe es so viele; ein Interesse beim Leser wäre allemal vorhanden, sind die Bücher doch Bestseller und die Fans noch lange nicht müde.

Viele würden gerne immer wieder in diese Erzählungen um Gereon Rath, seine Frau Charlie und all die anderen Charaktere eintauchen, obwohl die Krimis längst zu wahren Horror-Geschichten geworden sind, denn der Autor ist schonungslos und ehrlich in der Beschreibung der Zustände im Dritten Reich.

Gnadenlos kulminiert dieser Roman in der berühmten Reichspogromnacht (von den Nazis verklärend „Reichskristallnacht“ genannt) vom 9. November 1938 und zerstört leider auch die geordneten Handlungsabläufe. Und so dürften viele Leser mit dem Ende eher hadern und unzufrieden sein, war die Geschichte bis dahin doch stringent und schien zielführend auf eine Konfrontation bestimmter Charaktere hinauszulaufen. Aber bis dahin erleben die Lesenden auf den ersten 500 Seiten wieder alles, was sie so sehr schätzen: Kutschers flüssigen und hervorragend lesbaren Stil, die wunderbaren Charaktere (zum Beispiel die verschiedenen „Kommissare“ der mittlerweile diversen Behörden des Nazireichs), die authentisch wirkende Atmosphäre und die vielen Details und lebendigen Beschreibungen, welche die Serie so unnachahmlich machen. Von den tollen Kriminalfällen und cleveren Plots ganz zu schweigen.

Auf den ersten Blick irreführend scheint jedoch der Titel des Buchs, denn Gereon Rath, offiziell im Dienst getötet, kann selbst nur sehr eingeschränkt agieren. Aber ich vermute, der Autor möchte mit dem Titel „Rath“ noch auf eine andere Person hinweisen, nämlich den in Paris 1938 von einem „Juden“ getöteten Diplomaten vom Rath, dessen Ermordung den Nazis als Vorwand diente, für ihre dreiste Einschüchterungs- und Zerstörungsorgie, die den angeblich jüdischstämmigen Deutschen ein für allemal zeigen sollte, wo sie in Zukunft stehen sollten, nämlich im rechtsfreien Raum als Opfer für alle nur denkbare Willkür (bis zum Tod!).

Dies am Ende der Geschichte als Lesender miterleben zu müssen, ist erschreckend, furchteinflößend und hinterlässt in einem eine ungeheure Wut und Ohnmacht.


Ausgangspunkt des Buchs ist jedoch am Anfang im September 1938 der brutale Mord an zwei Hitlerjungen aus der Einheit von Gereons und Charlys ehemaligem Adoptivsohn Fritze Thormann, wofür dieser beschuldigt wird. Der 17jährige ist jedoch längst auf der Flucht, denn HJ-Führer Rademann hat dessen Freundin Hannah Singer durch einen Arzt in einer Klinik töten lassen, der eigentlich eine Zwangssterilisation bei der jungen Frau vornehmen sollte. Erst Charlys Ermittlungen führen zu Rademann, der den Verdacht aber geschickt von sich ablenkt. Hat Rademann auch etwas mit den Morden an den beiden HJ-Mitgliedern zu tun? Oder war es jemand anders? Und warum wurden die beiden so derb „beseitigt“?

Charly macht sich auf die Suche, während der Polizeiapparat beziehungsweise die Mordkommission um Kurt Gennat einen Taximörder jagt und eine andere Behörde lange blind nur falschen Spuren folgt (in Abwandlung von Reinhard Meys berühmtem „Der Mörder ist immer der Gärtner“ hieß dies bei den Nazis „Der Mörder ist immer ein Jude oder ein Kommunist“).


Und so nimmt eine unheilvolle Geschichte ihren Lauf, in der Autor Kutscher es sogar schafft, die massenhafte illegale Abschiebung jüdischstämmiger Menschen aus dem Dritten Reich über die polnische Grenze im Herbst 1938 einzubauen, bei der erste Konflikte zwischen Deutschland und Polen offen zutage treten. Denn Fritze, der mit einem neuen Freund nach Polen fliehen will, scheitert hier kläglich am ebenfalls illegalen Grenzübertritt, denn dort herrscht gerade ein gewaltiger Massenauftrieb von Menschen, die wie Vieh behandelt werden. Boten einer neuen Zeit und anstehender krasser Veränderungen.

Insgesamt ist der zehnte Band dieser grandiosen Reihe ebenfalls wieder ein Volltreffer, auch wenn das Ende seltsam unbefriedigend bleibt. Aber vielleicht ist auch einfach das Leben so; nicht immer führen alle Handlungsstränge zu einem festen Abschluss oder gar einem Happy End. Und in der Zeit zwischen 1933 und 1945 in Deutschland sowieso nicht!